Essay - Die italienische Comic-Heldin Valentina

Die Traum-Frau

In den sechziger Jahren schuf der italienische Zeichner Guido Crepax eine Comic-Heldin, wie es sie zuvor noch nicht gegeben hatte. Valentina, die dem Stummfilmstar Louise Brooks äußerlich nachempfunden war, wurde zu einer Ikone der italienischen Popkultur und zum Lieblings­objekt der semiotischen Theorie. Im Avant-Verlag erscheint nun die Gesamtausgabe des in Schwarzweiß gehaltenen Comic-Klassikers, der in Deutschland kaum beachtet wurde.

Von allen Heldinnen der erotischen Pop-Art-Comics jener Jahre, Barbarella, Jodelle, Pravda, Phoebe Zeit-Geist, Modesty Blaise und andere, war Valentina die konsistenteste. Sie überlebte sie alle, sie überlebte sogar die große Zeit der genüsslich provokanten Comics aus den höheren Pop-Etagen, deren Phantasien und Stile bald von der graphischen Massenware übernommen wurden. (Decken wir übrigens den Mantel der kulturellen Nachsicht über die von Silvio Berlusconi produzierte Fernsehserie »Valentina«, die als verklemmte Sexploitation ohne Stilgefühl zu bezeichnen noch schmeichelhaft wäre.) Spätestens in den achtziger Jahren war an Crepax’ graphischer Kunst nichts Skandalöses mehr, nicht einmal dort, wo er, mechanisch gesehen, die Grenze zur Pornographie ziemlich eindeutig überschritt. Dafür hatte er sich redlich den Status eines Klassikers erarbeitet. Ein Künstler, der die Ausdrucksmöglichkeiten des Comic ungeachtet seiner Manien und Themen enorm erweitert hatte.

Crepax veränderte die Ausdrucksweise des Comic: Die Raum- und Zeit-Konstruktion folgt hier nicht mehr dem gewohnten Schema des »Und dann« oder »Unterdessen am anderen Ort«, nicht mehr dem Schema von Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung, und auch nicht dem klassischen Schema von Problem, Konfrontation und Lösung. Es geht nicht mehr um eine Haupt-handlung mit Ausschmückungen und Zutaten. Die Details sind stärker als das Ganze, das sie ergeben sollen; der Schnitt ist spürbar, denn wo jede Bilderzählung sich zusammenfügt aus Schnitt und Montage, da ist auch zu wählen zwischen einem unsichtbaren, fließenden und einem bruchhaften, schmerzenden Konzept. Die Zeit, die zwischen zwei Panels vergeht, ist nicht identisch mit der Zeit, die in der Handlung (oder dem, was von ihr übrig bleibt) vergeht; mögen die Details und die Persistenzen in »Valen­tina« noch einigermaßen verlässlich sein, so ist die Erzählzeit vollkommen unwirklich, ein wenig so, wie man es beim Genuss bestimmter Drogen erfahren kann. In Situationen höchster Gefahr. Oder beim Sex.

 

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