Der Konzern Thyssen-Krupp steckt in einer schweren Krise

Fahrstuhl zum Bankrott

Die Lage ist bedrohlich für den Konzern Thyssen-Krupp. Eine Insolvenz träfe vor allem Arbeitnehmer und Pensionäre hart.

In Duisburg kann man in einigen Stadtteilen den Stahl noch riechen, oder besser gesagt: die Gase, die entstehen, wenn Metall schmilzt. Der Geruch war für das Ruhrgebiet über Jahrzehnte so typisch wie der Rauch aus den Schornsteinen der Häuser, in denen Kohleöfen für Wärme sorgten, oder der orange­farbene Schein, den man über ganzen Stadtteilen nach dem Stahlanstich ­sehen konnte.

Stahlproduktion war in den vergangenen Jahren Sache von Thyssen-Krupp. Der Konzern war 1999 aus der Fusion von Thyssen und Hoesch-Krupp hervorgegangen, aus Unternehmen, die sich über ein Jahrhundert lang befehdet und allmählich all ihre Konkurrenten übernommen hatten. Krupp hatte 1992 Hoesch in einer feindlichen Über­nahme hinzugewonnen, der »Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfab­rikation« hatte schon in den sechziger Jahren seine Unabhängigkeit verloren, Rheinstahl ein Jahrzehnt später.

Thyssen-Krupp ist immer noch ein gigantischer Industriekonzern, zu dem über 600 Tochterunternehmen mit über 150 000 Mitarbeitern gehören. In Essen steht die aus Stahl gebaute Zentrale. Doch könnte Thyssen-Krupp bald Geschichte sein. Die Krise des Konzerns nahm 2005 ihren Anfang. Im erfolgreichsten Jahr der Unternehmensgeschichte entschied sich Thyssen-Krupp, in Brasilien ein Werk zu bauen, um billigen Stahl zu erzeugen. Doch der dafür zuständige Tochterkonzern Steel Americas sorgte nicht für weiteres Wachstum, sondern kostete Thyssen-Krupp bis zum Verkauf der Tochter acht Milliarden Euro. Von dieser katastrophalen Fehlentscheidung des dama­ligen Managements hat sich das Unternehmen nie erholt, es folgten Jahre mit Verlusten oder nur kleinen Gewinnen, im vergangenen Geschäftsjahr blieb ein Verlust von 591 Millionen Euro.

Die Konzernleitung unter dem Anfang Juli zurückgetretenen Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger entschied sich wegen der anhaltenden Profitabilitätskrise zu einem großen Schritt: Die Stahlsparte sollte in einem Joint Venture mit dem indischen Konkurrenten Tata zusammengeschlossen werden. Was ein Befreiungsschlag werden sollte, geriet zum Desaster: Thyssen-Krupp schloss den Vertrag mit Tata im Frühsommer – zu einem Zeitpunkt, als die Stahlsparte als einziger Konzernbereich deutliche Gewinne ­erzielte.

Der damalige Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp trennte sich im Frühsommer von der Stahlsparte – als diese als einziger Konzernbereich deutliche Gewinne erzielte.

Da war Hiesinger schon ein Getriebener: Zwei Finanzinvestoren, der ­US-Hedgefonds Elliott und die schwedische Investmentfirma Cevian, ­kritisierten den Manager immer offener. Das wäre für den Vorstandsvor­sitzenden zu verschmerzen gewesen, hätte die Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung ihn unterstützt. Mit über 20 Prozent hält sie den größten Anteil an Thyssen-Krupp. Auch wenn die Stiftung seit 2013 bei den Anteilseignern keine Sperrminorität mehr besitzt, ist sie doch immer noch ein Machtfaktor.

Die Gewinne, die die Stiftung mit ihrem Aktienanteil am Konzern erzielt, gehen an Kultur- und Bildungseinrichtungen im Ruhrgebiet. Ein Großteil des Vermögens der Familie Krupp floss in die Organisation. Der Firmenpatriarch Berthold Beitz war bis zu seinem Tod 2013 ihr Vorsitzender. Er wollte die Einheit des Unternehmens bewahren, ein Ziel, das er auch in der Satzung der Stiftung festhalten ließ. Seine Nachfolgerin, die Rektorin der Technischen Universität Dortmund, Ursula Gather, betonte in ihren ­wenigen Interviews zwar auch dieses Anliegen. Doch sie hat ein Problem: Macht Thyssen-Krupp keine Gewinne, bringt auch der Aktienanteil der Stiftung weniger Einkünfte. Gather unterstützte Hiesinger nicht, dieser trat zurück. Gather nahm bislang keine große Rücksicht auf Traditionen: Sie baute die Universität Dortmund gegen den Widerstand vieler Professoren und Studenten zur Technischen Universität um und versucht, der Einrichtung ein neues Profil zu geben.

Bislang hat sich Gather nicht gegen die Investoren Elliott und Cevian ­gewandt. Ein Manager von Thyssen-Krupp kritisierte im Handelsblatt ­offen die Stiftung: »Sie funktioniert nicht mehr als Bollwerk gegen die ­Forderung von Finanzinvestoren, das Konglomerat zu zerschlagen.« Tatsächlich scheint Gather das Ziel der Investoren zu teilen: mehr Gewinn für die Anteilseigner. Den erhofft man aus einer Zerschlagung des Konzerns, ­darauf zielen die Finanzinvestoren. Mit einem Verkauf der erfolgreichen Aufzugsproduktion von Thyssen-Krupp könnten beispielsweise bis zu 15 Milliarden Euro erzielt werden. Das würde der Stiftung und anderen Aktionären eine ordentliche Dividende bringen. Doch ohne die profitable Aufzugssparte würden die Aussichten des Konzerns endgültig schwinden, sich noch einmal aus seiner Krise zu retten.

Die Stellung der Arbeiternehmer und Gewerkschaften würde nach der Zerschlagung und einer Insolvenz erheblich geschwächt: Die Montanmitbestimmung sorgt derzeit noch dafür, dass Unternehmer- und Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat der Bereiche Kohle und Stahl gleich stark vertreten sind, hier haben Gewerkschaften großen Einfluss auf das Unternehmen. Zudem ­haben mehr als 350 000 Pensionäre Ansprüche an Thyssen-Krupp. Im ver­gangenen Jahr zahlte das Unternehmen Betriebsrenten in Höhe von insgesamt 516 Millionen Euro aus. Eine Insolvenz wäre auch in dieser Hinsicht katast­rophal.