Die Dinosaurier im Fußball werden immer trauriger

Aufstieg oder Insolvenz

Viele dritt- und viertklassige Fußballvereine spielen ein finanzielles Vabanquespiel, um möglichst schnell nach oben zu kommen. Zuletzt hat das die beiden ostdeutschen Traditionsclubs Chemnitzer FC und Rot-Weiß Erfurt in die Insolvenz gebracht.

Die Saison 2017/18 war keine gute für sogenannte Dinosaurier. Aus der Fußballbundesliga verabschiedete sich der Hamburger Sportverein (HSV) nach knapp 55 Jahren Zugehörigkeit. Der vierfache Deutsche Meister 1. FC Kaiserslautern, wie der HSV Gründungsmitglied der Bundesliga, stieg sogar erstmals in die Drittklassigkeit ab, und die Mannschaften aus der 3. Liga müssen in diesem Jahr auf die Auswärtsfahrt ins thüringische Steigerwaldstadion verzichten. Es ist die erste Saison dieser 2008 eingeführten Spielklasse ohne Rot-Weiß Erfurt. Der zweifache DDR-Meister musste wie auch der Chemnitzer FC (CFC) vergangene Saison ­einen Insolvenzantrag stellen. Beide Traditionsvereine müssen in der viertklassigen Regionalliga neu anfangen. Doch die vereinsinternen Turbulenzen sprechen derzeit gegen eine erfolgreiche Zukunft.

In den vergangenen Jahren landeten beide Vereine trotz großer sportlicher Ambitionen zumeist im Niemandsland der Tabelle. Insbesondere der CFC bemühte sich bei der Kaderplanung regelmäßig um Spieler aus höheren Ligen und verpflichtete etwa Marc Hensel, Anton Fink und Daniel Frahn. Doch der angestrebte Erfolg, der Aufstieg in die 2. Bundesliga, blieb den Sachsen versagt.

Der Neubau des Stadions durch die Stadt Chemnitz bedeutete für den Club eine höhere Miete, ohne dass sich die Zuschauerzahlen signifikant erhöht hätten. In Erfurt lief es mit der Erneuerung des Steigerwaldstadions ähnlich.

Beinahe alle Regionalligavereine wollen so schnell wie möglich in die finanziell deutlich attraktivere 2. Bundesliga – dafür müssen sie aber durch das Nadelöhr 3. Liga.

Die 3. Liga so schnell wie möglich zu verlassen, ist das Ziel praktisch aller dort spielenden Vereine, der dazu betriebene wirtschaftliche Aufwand entspricht aber nur selten den an Ort und Stelle gegebenen Möglichkeiten. Allein vier Insolvenz­anmeldungen gab es seit dem Frühjahr 2017. Einzig der VfR Aalen konnte sich trotz des Punkteabzugs, der mit einer Insolvenz einhergeht, noch retten. Erfurt und Chemnitz meldeten, wie auch der FSV Frankfurt, erst Insolvenz an, als der sportliche Abstieg ohnehin so gut wie besiegelt war.

Dabei spielten vor allem die Chemnitzer ein gefährliches Spiel. Aufstieg oder Insolvenz – die Führungsgremien des CFC setzten in der vergangenen Saison alles auf eine Karte. Trotz Verbindlichkeiten in Millionenhöhe lag das strukturelle Defizit im Jahresetat nach Angaben von Detlef Müller, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, weiterhin bei 500 000 bis 600 000 Euro. Die wirtschaftlichen und organisatorischen Defizite des Vereins seien seit Jahren bekannt gewesen und nie wirklich angegangen worden, sagte die CDU-Stadträtin Almut Patt der Freien Presse. Ihre Kritik richtete sich speziell an die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD). »Alles musste neu sein, alles musste schick sein, und es durfte nicht das Sportforum sein«, sagte Patt in Anspielung auf ein bereits bestehendes Stadion, in dem der CFC zeitweilig gespielt ­hatte. Nachdem der sportliche Erfolg ausgeblieben war, kam es, wie es kommen musste. Im April meldete der CFC Insolvenz an.

Doch damit war das Drama noch längst nicht beendet. Die Turbulenzen im Verein erreichten im Sommer einen neuen Höhepunkt. Der eingesetzte Insolvenzverwalter Klaus Siemon erteilte Mitte Juli dem CFC-Prä­sidenten Andreas Georgi sowie dem Aufsichtsratsvorsitzenden Uwe Bauch Haus- und Stadionverbot. An Spieltagen dürfen sich die beiden Funktionäre nicht mehr im VIP-Bereich und in der Geschäftsstelle aufhalten, des Weiteren wurde für sie ein Betretungsverbot für das Sportforum ausgesprochen, in dem der CFC sein Training abhält. Hin­tergrund sind unterschiedliche Auffassungen, wie es mit dem Verein weitergehen soll. Während Siemon die Ausgliederung der Profiabteilung favorisiert, um Investoren den Weg in den Verein freizumachen, hat die Vereinsführung eine Satzungsänderung auf den Weg gebracht. Den Mitgliedern soll damit mehr Einfluss auf das Geschehen im CFC ermöglicht werden.

Das Vorgehen des Insolvenzverwalters sorgte für weitere Verunsicherung. Der Versuch von Siemon, den Bauunternehmer Gunther Kermer als neuen Aufsichtsratsvorsitzenden zu installieren, scheiterte am Widerstand des Aufsichtsrats. Gleichzeitig düpierte Siemon den Großsponsor »Eins Energie«, indem er ein Angebot des Chemnitzer Energieversorgungsunternehmens zur Fortsetzung der Zusammenarbeit ablehnte und die bisherige Kooperationsvereinbarung mit ihm kündigte. Geplant war dem Unternehmen ­zufolge ein »langfristiges Engagement mit einem sechsstelligen Betrag pro Jahr«.

Zudem verbot Siemon dem Pressesprecher des CFC, Akkreditierungen an Mitarbeiter von Radio Chemnitz für ein Testspiel auszustellen. Auch hier soll der Auslöser für die rigide Maßnahme eine Auseinandersetzung über eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem Radiosender und dem Verein gewesen sein.

Bei Rot-Weiß Erfurt (RWE) wurden bereits seit Herbst vergangenen Jahres Chaostage veranstaltet. Der Aufsichtsrat entließ am 1. November den langjährigen RWE-Vereinsprä­sidenten Rolf Rombach. Einen Tag später wurde Aufsichtsratsmitglied Frank Nowag zum Präsidenten ernannt. Allerdings kehrte Rombach nach einer Aussprache zwei Tage später wieder auf seinen Posten zurück – nur um wenige Tage später selbst zurückzutreten. Die im Januar neu gewählten Gremien des Vereins traten keine drei Monaten später ebenfalls wieder zurück – gerade als der Abstieg des Vereins beinahe feststand. Einige Aufsichtsratsmitglieder warfen Präsident Nowag vor, ohne Absprache ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung, also ohne Insolvenzverwalter, beantragt zu haben.

Im Sommer berappelte sich der Verein jedoch einigermaßen. Dank des Geldes, das der Wechsel des ehemaligen Spielers Dominick Drexler zum 1. FC Köln einbrachte, ist der Etat für die Regionalligasaison »im Mittelfeld der Liga« angesiedelt, wie Sportdirektor Oliver Bornemann mitteilte.

In Chemnitz dagegen hängt der Haussegen weiterhin schief. So fordern der Vorstand und der Aufsichtsrat schon länger eine personelle Verstärkung in der Geschäftsstelle. Deren Mitarbeiter seien vollkommen überlastet. So lägen beispielsweise manche Mitgliedsanträge ein Jahr lang unbearbeitet in der Geschäftsstelle. Der Insolvenzverwalter Siemon soll dagegen alles verfüg­bare Geld komplett in die Mannschaft gesteckt haben – bislang offenbar mit Erfolg, die ersten drei Saisonspiele in der Regionalliga gewann der CFC.

Doch die Konkurrenz ist auch in der vierthöchsten Spielklasse nicht zu unterschätzen. Es gibt mindestens vier aussichtsreiche Kandidaten für den einzigen Aufstiegsplatz. ­Neben CGC und RWE rechnen sich zumindest noch Wacker Nordhausen und Lokomotive Leipzig gute Chancen aus. Ähnlich wie in der 3. Liga wollen beinahe alle Regionalligavereine so schnell wie möglich in die finanziell deutlich attraktivere 2. Bundesliga – dafür müssen sie aber durch das Nadelöhr 3. Liga.

Langfristig die besten Chancen darauf könnte der FC Viktoria 1889 Berlin haben. Der Fusionsverein mit Tradition, dessen Vorläufer BFC Viktoria 1889 vor dem Ersten Weltkrieg zweimal Deutscher Meister wurde, hat nicht nur die größte aktive Fußballabteilung in Deutschland. Er hat sich nun auch noch einen finanzkräftigen Sponsor aus Fernost ge­angelt, wie der Verein Ende Mai bekanntgab.