Antisemitismus vor Gericht und auf der Straße

Antisemiten nur im Ganzen

Vergangene Woche ließ erneut ein deutsches Gericht mit einer eigenwilligen Urteilsbegründung zum Thema Antisemitismus aufhorchen. Derweil fühlen sich immer mehr Juden in Deutschland unsicher.

Jüdinnen und Juden in Deutschland sind bedroht wie vielleicht noch nie nach 1945. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PSK) gab es im Jahr 2017 fast 1 500 antisemitische Straftaten, im Vorjahr lag die Zahl ähnlich hoch. ­Zugleich legen deutsche Gerichte die Latte relativ hoch, wenn es darum geht, von Äußerungen als antisemitisch anzuerkennen. Josef Joffe, einer der Herausgeber der Zeit, konstatierte bereits im Jahr 2013 nach den Debatten um Günter Grass und Jakob Augstein, dass es heutzutage schlimmer sei, ­»jemanden einen Antisemiten zu nennen, als einer zu sein«.

Indizien für die Richtigkeit dieser Aussage fanden sich auch in dem Prozess Jürgen Elsässer gegen Jutta Ditfurth (Jungle World 37/15 und 50/16). ­Elsässer, der Herausgeber des extrem rechten Magazins Compact, hatte im Rahmen einer der »Montagsmahnwachen für den Frieden« unter anderem gesagt: »Internationale Finanzoligarchie klingt vielleicht ein bisschen abstrakt. Deswegen möchte ich mit Bertolt Brecht sagen: Das Verbrechen hat Name und Anschrift und Telefonnummer. Und man kann doch durchaus einige ­Namen nennen: (…) die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkow­ski.« Die linke Autorin und Kommunalpolitikerin Ditfurth nannte Elsässer daraufhin einen »glühenden Antisemiten«.

»Um die Sicherheit von Juden in Deutschland steht es katastrophal.«
Michael Szentei-Heise, Jüdische Gemeinde Düsseldorf

Die Vorsitzende Richterin befand damals, »ein glühender Antisemit in Deutschland« sei jemand, »der mit Überzeugung sich antisemitisch ­äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt«. Anti­semitismus sei ein Totschlagargument. Ditfurth verlor in erster Instanz und darf Elsässer seither nicht mehr als »glühenden Antisemiten« bezeichnen. Auch ein Berufungsgericht sah »nach wie vor keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte« für antisemitische Ansichten Elsässers.

Seit der vergangenen Woche ist diese Geschichte um ein Kapitel reicher: Das Landgericht Regensburg untersagte es einer Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung, den Sänger Xavier Naidoo als Antisemiten zu bezeichnen. Die Referentin hatte im vergangenen Jahr bei einer Veranstaltung vor Publikum ­gesagt: »Er ist Antisemit, das ist strukturell nachweisbar.«

Naidoo, der auch bei Demonstrationen auftrat, die aus dem Umfeld der »Reichsbürger« organisiert wurden, singt in einem seiner Lieder in An­spielung auf die jüdische Bankiersfamilie Rothschild, »Baron Totschild« gebe den Ton an. In seinem Lied »Marionetten« vergleicht er Politiker mit Marionetten, die von Puppenspielern kontrolliert werden.

Die Richterin sagte bei der Urteilsverlesung, es bei dem Verfahren um die Frage gegangen, ob Naidoo »in seinem ganzen Tun und Denken als Antisemit einzustufen ist«. Das wirft die Frage auf, ob Antisemiten anders reden, singen, essen, atmen oder schlafen? Immerhin müssen sie ja in ihrem »ganzen Tun« antisemitisch sein.