Die Ergebnisse des EU-Gipfels sind keineswegs Ausdruck von europäischer Kooperation in der Flüchtlingspolitik

Die europäische Lösung

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Die EU-Regierungschefs wollen auch die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache verstärken, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Bereits im Mai erhoben 17 Überlebende eines Schiffsunglücks, unterstützt von der Organisation Sea Watch, italienischen NGOs und Universitäten aus Italien, Großbritannien und den USA, Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Sie werfen der italienischen Regierung vor, durch ihre Kooperation mit der libyschen Küstenwache am 6. November 2017 den Tod von Flüchtlingen verursacht zu haben. Zwar ist in Straßburg nur Italien angeklagt, eine Verurteilung könnte aber einen wichtigen Präzedenzfall schaffen. Über finanzielle Zuwendungen darf sich auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan freuen. Die EU will weitere drei Milliarden Euro an den türkischen Staat für die Versorgung von Flücht­lingen überweisen. Die fortgesetzte Kooperation in der Flüchtlingspolitik dürfte Erdoğan aber vor allem als außenpolitischen Freifahrtschein nutzen, um den autoritären Umbau der Türkei ungestört voranzutreiben.

Das Konzept der Freiwilligkeit beim Bau der Zentren und der Aufnahme von Flüchtlingen ist ein Erfolg für die osteuropäischen Visegrád-Staaten – ­Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Die Gruppe verweigert sich grundsätzlich einer verpflichtenden Umverteilung von Flüchtlingen.

Ähnlich wie beim Konzept der Ausschiffungsplattformen bleibt die Abschlusserklärung auch an anderen Punkten vage. Solange die Plattformen in Nordafrika nicht etabliert sind, sollen Bootsflüchtlinge in europäische »kontrollierte Zentren« verbracht werden, um dort ihren Schutzstatus zu überprüfen. Der Aufbau der Zentren und die Umverteilung von Flüchtlingen auf andere EU-Staaten soll auf rein freiwilliger Basis erfolgen, bisher hat sich kein EU-Staat dazu bereit erklärt. Die Zentren dürften dem Vorbild der bereits bestehenden »Hotspots« in Griechenland und Italien folgen. Im griechischen Lager Moria, faktisch ein Freiluftgefängnis, warten Tausende Menschen seit Jahren darauf, dass ihre Asylanträge geprüft werden.

Das Konzept der Freiwilligkeit beim Bau der Zentren und der Aufnahme von Flüchtlingen ist ein Erfolg für die osteuropäischen Visegrád-Staaten – ­Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Die Gruppe verweigert sich grundsätzlich einer verpflichtenden Umverteilung von Flüchtlingen. Sie hat erreicht, dass von einer verbindlichen Quote, wie sie der Rat noch im Sommer 2015 beschlossen hat, heutzutage keine Rede mehr ist.

Die Regierung von Viktor Orbán verabschiedete erst Mitte Juni eine Verfassungsänderung, derzufolge »fremde Volksgruppen« nicht in Ungarn angesiedelt werden dürfen. Anfang Juli will sich Angela Merkel mit dem ­ungarischen Ministerpräsidenten treffen, womöglich um über bilaterale Abkommen zu verhandeln. Durch solche Abkommen können im Rahmen der Dubliner Verordnungen Asylverfahren beschleunigt und Überstellungen an die zuständigen Staaten vereinfacht werden. Solche Abkommen sind Merkels europäische Alternative zur »nationalen Lösung« der CSU, die Asylsuchende ohne multilaterale Absprachen direkt an der deutschen Grenze zurückweisen will. Polen, Tschechien und Ungarn dementierten nach dem Gipfel, dass sie über solche Abkommen verhandeln wollen. Ohnehin führen die Hauptfluchtrouten durch Europa dank Grenzzaun, Transitzonen und der Einstufung Serbiens als sicherer Drittstaat nicht mehr durch Ungarn, sondern haben sich via Albanien (Interview S. 5) nach Kroatien und Slowenien verlagert.

Während sich die europäische Rechte bei der geplanten Abschottung an den EU-Außengrenzen durchgesetzt hat, zeigt sich zugleich die Uneinigkeit der Regierungen bei der Reform des europäischen Asylsystems. Bereits seit dem Frühjahr 2016 liegt ein Vorschlag der EU-Kommission vor, auch das Europäische Parlament hat mittlerweile eigene Konzepte erarbeitet. Im Rat gibt es hingegen bislang keine Einigung über die neue Asylverfahrensverordnung und die Dublin-IV-Verordnung. Dabei geht es gerade bei diesen Rechtsverordnungen um die konkrete Zukunft des europäischen Asylrechts. Die Dublin-IV-Verordnung sieht unter anderem einen verbindlichen Umverteilungsmodus für Flüchtlinge vor, wenn ein Aufnahmestaat überlastet ist. ­Daneben sollen aber auch verbindliche Fristen für Dublin-Überstellungen und das humanitäre Selbsteintrittsrecht abgeschafft werden – damit ist gemeint, dass ein Staat Asylverfahren prüfen kann, auch wenn er eigentlich gar nicht zuständig ist; die deutsche Bundesregierung machte im Herbst 2015 davon Gebrauch.

Im Abschlussdokument wird mit keinem Wort erwähnt, wie die bisherigen Konflikte bei der Asylreform überwunden werden sollen. Nun übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft und ist dafür verantwortlich, ein Ergebnis zu liefern. Wie die österreichischen Pläne zur Migrationspolitik aussehen könnten, ließ sich in der ­vergangenen Woche beobachten. Innenminister Herbert Kickl von der extrem rechten FPÖ ließ im österreichischen Ort Spielfeld an der Grenze zu Slowenien die neue Spezialeinheit für Grenzschutz namens »Puma« unter dem Slogan »Pro Borders« aufmarschieren – der Slogan wurde zuletzt von der rechtsextremen Identitären Bewegung genutzt. Der EU-Gipfel mag Bundeskanzlerin Merkel kurzfristig ihre Kanzlerschaft gesichert haben. Das Euro­päische Ratstreffen könnte aber auch der Anfang vom Ende der europäischen Freizügigkeit sein.