Der angebliche BAMF-Skandal in Bremen verdeckt die wirklichen rechtsstaatlichen Probleme

Schnell geprüft, schlecht entschieden

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Die hitzige Diskussion über den »BAMF-Skandal« lenkt indes von den eigent­lichen Problemen im Asylverfahren ab, die sich negativ für die Flüchtlinge ­auswirken. Ab dem Herbst 2015 wurden das BAMF und das Asylverfahrenssystem neu organisiert, ökonomische Kriterien wie Effizienz und Leistung verdrängten die ohnehin im Lauf der Zeit herabgesenkten rechtsstaatlichen Standards immer stärker. Für diesen Prozess ist insbesondere Frank-Jürgen Weise verantwortlich, dem die Bundesregierung im Herbst 2015 als »Krisenmanager« die Leitung des BAMF mit dem Auftrag übergab, die Asylverfahren zu beschleunigen. Eine der ersten Entscheidungen Weises bestand darin, Unternehmensberatungen wie McKinsey, Ernest & Young und Roland Berger damit zu beauftragen, die Verwaltungsabläufe im BAMF zu begutachten und ein neues »integriertes Flüchtlingsmanagement« zu entwickeln.

Einer Anfrage der Linkspartei im Bundestag ­zufolge, über die die Wirtschaftswoche Anfang Mai berichtete, soll alleine McKinsey bis Ende 2020 bis zu 47 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern ­erhalten. Mehr als die Hälfte der Beraterverträge wurden nicht einmal ­öffentlich ausgeschrieben.

Schon während seiner Zeit in der Bundesagentur für Arbeit (BA) hatte Weise mit den Unternehmensberatern eine ganze Behörde auf Effizienz getrimmt. Die Ergebnisse der Umstrukturierungen ähneln sich frappierend: Zwar wurde in beiden Behörden die angefallene Aktenmenge schnell abgebaut, dafür nahm die Qualität der Bearbeitung aber dramatisch ab und viele Fälle müssen in aufwendigen Gerichtsprozessen überprüft werden. Das »integrierte Flüchtlingsmanagement« führte im BAMF dazu, dass der Einzelfall kaum noch sorgfältig geprüft werden konnte. Zeitweilig trennte die Behörde Anhörer und Entscheider systematisch; die Personen, die über den Asylantrag letztlich entscheiden sollten, bekamen die Antragsteller deshalb nie zu Gesicht. Dabei ist die Anhörung der Kern des Asylverfahrens und die Zuerkennung ­eines Flüchtlingsstatus hängt maßgeblich von der Glaubwürdigkeit des einzelnen Asylsuchenden ab.

Eine Folge dieser Trennung zwischen Anhörern und Entscheidern dürfte auch das häufig zu beobachtende Phänomen sein, dass sich in sehr vielen Bescheiden standardisierte Textbausteine finden, die sich gar nicht mit der Situation des Antragstellers in seinem Herkunftsland auseinandersetzen. Der Asylrechtsanwalt Christopher Wohnig sagte der Jungle World, kurdische Flüchtlinge, die er vertritt, würden wiederholt mit dem absurden Argument abgelehnt, in der Türkei habe sich die Lage der Kurden wegen des Friedensprozesses seit 2013 verbessert. Dabei hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bereits 2015 den Friedensprozess beendet und in den kurdischen Gebieten die Armee eingesetzt.

Die abnehmende Qualität Asylbescheide hat die Zahl der Gerichtsverfahren in die Höhe getrieben. Allein im Jahre 2017 mussten Verwaltungsgerichte 32 486 Bescheide korrigieren, gegen die Flüchtlinge geklagt hatten. In 4 582 Fällen änderte das BAMF selbst rechtswidrige Bescheide nachträglich. Insgesamt ist die Erfolgsquote für Flüchtlinge auf dem Klageweg sehr hoch. Wenn Verwaltungsgerichte inhaltlich über eine Klage entscheiden, enden die ­Verfahren in 40,8 Prozent der Fälle zugunsten der Flüchtlinge, bei syrischen und afghanischen Flüchtlingen liegt die Erfolgsquote sogar bei 62 beziehungsweise 61 Prozent, wie aus der Bundestagsdrucksache 19/1 371 her­vorgeht. In diesen Zahlen sind indes all diejenigen abgelehnten Asylsuchenden nicht berücksichtigt, die keine Rechts­beratung und keinen Anwalt in Anspruch genommen haben. Weil das BAMF die Verfahren so schnell abarbeitet, können viele Asylrechtsanwälte kaum noch Mandate annehmen.

Die Diskussion über den angeblichen »BAMF-Skandal« in Bremen verdeckt also die wirklichen rechtstaatlichen Probleme. Ohne angemessene öffentliche Kritik werden Flüchtlinge seit nunmehr drei Jahren in qualitativ schlechten Verfahren mit einer offenkundig hohen Zahl rechtswidriger Bescheide abgespeist. Der Angriff auf die rechtsstaatlichen Garantien für Erwerbslose und Flüchtlinge zeigt zudem, dass die politischen Kämpfe dieser Gruppen untrennbar miteinander verknüpft sind.