Griechische Rechtsextreme kämpfen um die Deutungshoheit bei nationalen Gedenkveranstaltungen

Rechtsextreme Geschichte

In Griechenland haben Rechtsextreme bei einer Gedenkfeier den 75jährigen Bürgermeister Thessalonikis zusammengeschlagen. Beim Kampf um die Hoheit über nationalistische Großveranstaltungen erhalten sie faktisch Unterstützung von Konservativen, weil diese die rechtsextreme Gewalt nicht eindeutig verurteilen.

Rechtsextreme Gewalt ist in Griechenland zwar trauriger Alltag, der Angriff auf den Bürgermeister von Thessaloniki sorgte aber dennoch für Aufsehen. Am 19. Mai wurde der 75jährige Bürgermeister der nordgriechischen Stadt, Giannis Boutaris, von einer wütenden Meute Nationalisten verprügelt. Boutaris ist der extremen Rechten verhasst: Er setzt sich für die Rechte von LGBT ein, pflegt engen Kontakt zur jüdischen Gemeinde und heißt türkische Touristen willkommen, die den Geburtsort Mustafa Kemal Atatürks im Stadtzentrum besuchen wollen. Des Weiteren sprach er sich gegen nationalistische Positionen in Konflikten mit Nachbarländern wie etwa Mazedonien aus.

Der Angriff erfolgte während einer öffentlichen Feier zum Gedenken an die gewaltsame Vertreibung der Pontosgriechen aus der Schwarzmeerregion in den Jahren 1919 bis 1923 durch die Türken. Rechtsextreme Anführer empfanden Boutaris’ Teilnahme als Provokation. Seit Jahren versucht die griechische extreme Rechte, historische Jubiläen zu vereinnahmen und sie als Bühne für ihre Hassbotschaften zu missbrauchen. Um sich als Hauptvertreter des nationalen Gedenkens zu präsentieren, stellt sie ihre historischen Interpretationen als unwiderlegbar dar und untermauert ihre radikalen Ansprüche mit Gewalt. Es ist nicht unüblich, dass derartige Veranstaltungen in Aufruhr und Konflikten enden. Während einer nationalistischen Großveranstaltung im Jahr 2013 in Meligalas griffen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) andere Nationalisten an, die nicht mit deren führender Rolle einverstanden waren. Historische Veranstaltungen haben sich zu Machtdemonstrationen und Kämpfen um die Interpretationshoheit entwickelt. Seit dem Ende der Militärjunta 1974 ist die griechische extreme Rechte zu einem wichtigen Faktor bei mehr als einem Dutzend nationaler beziehungsweise nationalistischer Jubiläen geworden, wobei sie mit Ressentiments und der Verfälschung historischer Fakten Politik macht.

Im Zentrum des rechtsextremen Zorns steht die »Mazedonien-Frage«. Bereits zu Beginn der Neunziger erschütterten nationalistische Proteste Griechenland, als die ehemalige jugoslawische Teilrepublik unabhängig wurde. Der Schlachtruf der Nationalisten damals und heute lautet: »Mazedonien ist griechisch«. Das Thema kam Anfang des Jahres erneut auf, als die Übergangslösung bei der Namensgebung nach 25 Jahren beendet werden sollte. Rechtsextreme Kräfte heizten den Konflikt emotional auf, Politiker wurden als »nationale Verräter« verunglimpft und erhielten Morddrohungen. Auch Boutaris wurde beschimpft, weil er sich gegen eine Eskalation des Konflikts aussprach. Im Verlauf einer nationalistischen Großdemonstration zur Mazedonien-Frage im Januar in Thessaloniki brannten Neonazis unter anderem ein anarchistisches Hausprojekt nieder und beschmierten ein Holocaust-Mahnmal (Jungle World 5/2018). Die Beteiligung faschistischer Gruppen wurde von den Veranstaltern des Marsches kaum problematisiert. Bei einer noch größeren Demonstration in Athen Anfang Februar nahm Chrysi Avgi eine zentrale Rolle ein, während andere faschistische Gruppen ein besetztes Theater in Athen angriffen.

Wie zu erwarten, stellte Chrysi Avgi den Angriff auf Boutaris als einen Ausdruck spontanen Volkszorns dar, während Konservative ihn als die Tat einiger weniger Extremisten herunterspielten. Beide liegen falsch: Videoaufnahmen zeigen, dass der Angriff organisiert erfolgte und die Mehrheit der Umstehenden applaudierte, als Boutaris, um sein Leben fürchtend, vor den Schlägern in Sicherheit gebracht wurde. Diese Brutalisierung ist Ergebnis der jahrelangen rechtsextremen Straßenpolitik. Heutzutage gibt es in Griechenland wenige nationale Gedenkfeiern, die nicht von rechtsextremen Gruppen dominiert werden.

Es ist ein gutes Zeichen, dass der Angriff auf Boutaris einhellig von allen demokratischen Parteien verurteilt wurde. Doch dauerte es nicht lange, bis die großen Parteien sich wegen des Angriffs entzweiten. Allen voran entpolitisierte der stellvertretende Vorsitzende der konservativen Partei Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, die Ausschreitungen und lehnt eine offene Debatte über die Wurzeln rechtsextremer Gewalt ab. Er kommt selbst von der rechtsextremen Partei Laos und pflegt Beziehungen zur nationalistischen Szene. Seine Einstellung ist leider typisch für Konservative, die es erlauben, bei Gewaltausbrüchen auf nationalistischen Demonstrationen ein Auge zuzudrücken.

Um solche Gewalttaten ernsthaft zu verurteilen, müsste man nationalistischen Erzählungen entgegentreten und rechtsextreme Anführer isolieren. Derzeit geschieht das Gegenteil. Rechtsextreme Kräfte dominieren die Gedenkfeiern und Konservative spielen dabei mit. Der Nationalismus dient zudem als Brücke in den Mainstream.

Griechenland braucht eine offene und ehrliche Debatte über die Potentiale und Grenzen einer demokratischen Gedenkkultur und eine eindeutige Abkehr von der Normalisierung rechtsextremer Gewalt.
Der Text ist eine übersetzte und bearbeitete Version eines Blogbeitrags für das Centre for Analysis of the Radical Right (CARR).