Der Attentäter von Toronto hatte Verbindungen zur antifeministischen »Mano­sphere« im Internet

Die Angst vor dem Feminismus

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»Chad Thundercock« und sein weibliches Pendant »Stacy« stehen in der Sprache dieser Foren sowohl für die »Normalos«, die blind für die vermeintliche Wahrheit der gekränkten Männer sind, aber auch für das unerreichbare Idealbild von Männlichkeit und Weiblichkeit. Chads und Stacys werden gehasst und begehrt, denn sie sind die Gewinner eines archaischen Wettbewerbes um Sex, der den tatsächlichen Kern der Gesellschaft bilde. Die »Betas« und »Incels« seien die Verlierer auf diesem sozialen und sexuellen Markt, der Feminismus nur eine Strategie von Frauen, diese sexuelle Öko­nomie zu ihren Gunsten zu wenden. Um mit dieser Kränkung umzugehen, verkaufen sogenannte Pick-up-Artists wie RooshV, Julien Blanc oder Owen Cook diesen Männern manipulative und übergriffige »Flirt«-Strategien oder verbreiten frauenfeindliche Brandschriften auf Websites wie »Return of Kings«. Der Social-Media-Star, Verschwörungsideologe und Alt-Right-Anhänger Mike Cernovich vertreibt fragwürdige Nahrungsergänzungsmittel und rät Männern zur Kultivierung eines »Gorilla Mindset« (Gorillamentalität). In fast ­biblischer Sprache offenbart der Psychologe Jordan Peterson, der an der University of Toronto lehrt, männlichen Studenten seine »zwölf Regeln für das Leben« als »Gegengift zum Chaos«, das angeblich die Gegenwart bestimme, und kritisiert »politische Korrektheit« und Feminismus.

Andere Bereiche der Manosphere empfehlen Askese: Die Mitglieder der Gruppe »Men Going Their Own Way« (MGTOW) entsagen längerfristigen und romantischen Bindungen zu Frauen komplett, da sie von Anfang an ein Abhängigkeitsverhältnis darstellten. Einige von ihnen sehen sich als »Volcels« für voluntary celibate (freiwillig enthaltsam), um sich vom Wettbewerb um Sex unabhängig zu machen. Sie zelebrieren absolute Autonomie und Individualismus. Die obskursten Ecken der Manosphere geben sich nihilistischen Vorstellungen hin. Für die Vertreter der »Black-Pill«-Community scheint die Macht des Feminismus so systematisch und tiefgreifend, dass jegliche Form des individuellen Widerstands zwecklos sei. Inneres Exil, Amoralität, Inaktivität und Akzeptieren dieses Zustands seien die Konsequenzen dieser Einsicht.

Die Manosphere überschneidet sich in vielen Punkten mit rechten und reaktionären Ideologien, die sich auf den Feminismus als gemeinsam Feind einigen können und eine Art Sozialdarwinismus vertreten. Wie viele Menschen genau in diesen Sphären unterwegs sind, ist unklar. Die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center spricht von mehreren Hundert Websites und Blogs. Incel.me und love-shy.com geben über 5 000 registrierte Mitglieder an, sluthate.com fast doppelt so viele.

Mit Attentätern wie Rodger, Harper-Mercer und Minassian produziert diese misogyne Männerszene mit erschreckender Regelmäßigkeit Gewalttäter. Offizielle Reaktionen zu den Tathintergründen von Toronto blieben bislang aus. 2016 schloss Reddit das misogyne Forum »r/thephilosphyofrape/«, vergangenen November nahm die Website auch das populäre »r/incel/«-Board vom Netz. Der Frauenhass und die Vergewaltigungsaufforderungen auf dem 40 000 Mitglieder starken »Incels«-Unterforum gingen sogar den Betreibern von Reddit zu weit. Doch Rodgers Manifest kursiert weiterhin, seine ­Ideen werden mit genauen Seitenangaben diskutiert. Auf Youtube findet es sich als zehnstündiges Hörbuch. Der Begriff »höchster Gentleman« ist zu ­einem Insider-Witz geworden und »going ER« (in etwa: »den Elliot Rodger machen«) steht in manchen Kreisen für die Rache an allen »Normalos«, die Schuld an der eigenen Demütigung trügen.

Solche gewaltsamen »Racheakte« sollen dem US-amerikanischen Soziologen Michael Kimmel zufolge eine verlorene, gekränkte und destabilisierte Männlichkeit wiederherstellen. Die Manosphere zeigt Männern, die sich alleine und zurückgewiesen fühlen, die angebliche Ursache für ihre negativen Emotionen: Frauen, die Vertreterinnen eines vermeintlich konspirativen Feminismus, die es entweder zu besitzen oder zu zerstören gilt.