Der Attentäter von Toronto hatte Verbindungen zur antifeministischen »Mano­sphere« im Internet

Die Angst vor dem Feminismus

Der Attentäter von Toronto gehörte zu einer antifeministischen und misogynen Männerszene, die sich in Internetforen wie Reddit.com und 4chan.org austauscht. Ihre Mitglieder entwerfen ein Bild unterdrückter und gekränkter Männlichkeit. Gewalt stellt in ihren Augen einen legitimen Ausweg dar.

»Der Aufstand der Incels hat bereits begonnen! Wir werden alle Chads und Stacys stürzen! Hoch lebe der höchste Gentleman Elliot Rodger!« Diese Worte schrieb Alek Minassian auf seiner Facebookseite, bevor er am 23. April im ­kanadischen Toronto mit einem gemieteten Kleinlastwagen in eine Menschenmenge fuhr, zehn Menschen tötete und 14 verletzte. Während die genauen Motive für die Tat des 25jährigen IT-Studenten noch ungeklärt sind, sind die Bezüge auf die sogenannte Manosphere offenkundig. Im Jargon der Selbsthilfe erklären unter diesem Begriff ­zusammengefasste Websites und Internetforen jungen, oft einsamen oder ­sexuell frustrierten Männern, wer schuld an ihrem Leid sei: Frauen und der ­Feminismus. Gewalttätig werden bei weitem nicht alle ihre Mitglieder, doch mit seinem Hinweis auf Rodger stellt Minassian, der kurz vor seinem ­Abschluss als Software-Entwickler am Seneca College in Toronto stand, ­seinen Anschlag in eine Reihe mit denen anderer junger Täter, die auf die misogyne Ideologie der Szene Bezug nehmen und Gewalt rechtfertigen, um ihre vermeintliche sexuelle Demütigung und ihre gekränkte Männlichkeit zu kompensieren.

Rodger tötete 2014 sechs Menschen und verletzte 14 weitere in Isla Vista in der Nähe des Campus der Universität von Kalifornien, bevor er sich selbst das Leben nahm. Ursprünglich hatte der 22jährige versucht, Zugang zum Haus einer Studentinnenverbindung der University of California, Santa Barbara (UCSB), zu erlangen, um gezielt die Menschen zu erschießen, die »alles repräsentieren, was ich am weiblichen Geschlecht hasse: die heißeste Verbindung der UCSB«. In einem 141 Seiten langen Text erklärte Rodger seine ­Gewalt als das Resultat jahrelanger sexueller Zurückweisung und sozialer Iso­lation. Er spricht von seinem Hass auf Frauen, die keinen Sex mit ihm wollen, seiner Verachtung von Männern, die sexuell aktiv sind, seiner Wut auf alle, die ihn nicht als das erkennen, was er ­eigentlich sei, nämlich der »höchste Gentleman«.

Rodger, Harper-Mercer und offenbar auch Minassian verstanden sich als Opfer einer Rangordnung des Begehrens, die ihnen den Sex, der ihnen angeblich zustehe, verweigerte.

Nur ein Jahr später erschoss der 26jährige Chris Harper-Mercer in Oregon zehn Menschen und hinterließ sein eigenes Manifest, in welchem er Rodger zitiert und schreibt: »Elliot ist ein Gott.« In einer absurden Um­kehrung verstanden sich Rodger, Harper-Mercer und offenbar auch Minassian als Opfer einer Rangordnung des Begehrens, die ihnen den Sex, der ihnen angeblich zustehe, verweigerte. Gleichgesinnte fanden sie in Foren, Blogs und Websites der Manosphere. Auf Unterforen von Reddit und dem Imageboard 4chan wird einsamen und sexuell ­erfolglosen Männern erklärt, ihr Leid nehme in der geschlechtlichen Gleichberechtigung seinen Anfang. Und ihnen wird geraten, was zu tun sei, um dies zu ändern.

Der erste und wichtigste Schritt in die Sphäre der Männer besteht ihren Mitgliedern zufolge in der Entscheidung für die »rote Pille«, ein Motiv aus dem Science-Fiction-Film »Matrix«. Wie dessen Protagonist Neo stünden junge Männer vor einer grundsätzlichen Entscheidung: Die »blaue Pille« nehmen, um weiterhin naiv an die Welt zu glauben, die ihnen vorgespielt werde, oder zur »roten Pille« greifen und schonungslos die Wahrheit hinter der Fassade erblicken. In der Manosphere bedeutet das: Erkennen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter eine Lüge und der Feminismus allein auf »Macht ohne ­Verantwortung« aus sei, wie es im Reddit-Unterforum »r/theredpill« heißt. Die Lockerung traditioneller Geschlechterrollen, die Emanzipation der Frau, die Befreiung der Sexualität seien alle Teil eines feministischen Plans zur ­Unterdrückung von Männern. In Wirklichkeit herrsche das Recht des Stärkeren, eine patriarchale Ordnung. Vom Feminismus um ihre männliche Iden­tität gebracht, würden Männer zu verweichlichten »Beta Males« oder zu ­sexuell erfolglosen »Incels« – involuntarily celibate (unfreiwillig zölibatär), wie es in Gruppen des Imageboards 4chan heißt, vor allem aber auf Seiten wie love-shy.com, incel.me oder sluthate.com.