Der Boxer Khoren Gevor kehrt nach einem Knieschuss in den Ring zurück

Nach Knieschuss im Ring

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Nach dieser Auseinandersetzung bestritt Gevor zunächst nur noch ­einen Kampf, den er einstimmig nach Punkten verlor. Daraufhin begann er eine Karriere als Trainer. ­Einer seiner Schützlinge wurde Tunahan ­Keser. Dessen erste Kämpfe weckten die Hoffnung, er könne eine erfolgreiche Profikarriere einschlagen. Der junge Boxer arbeitete damals als Fahrer für den Hol- und Bringservice eines großen Auto­hauses. Vor dem Gebäude seines Arbeitgebers wurde er auch das letzte Mal lebend ge­sehen. Am späten Nachmittag des 23. Juni 2017 verließ der 22jährige um 17.15 Uhr das ­Autohaus in Hamburg-Niendorf. Anstatt aber wenig später wie verab­redetet bei seiner Freundin einzutreffen, verschwand Keser zunächst spurlos.

Knapp vier Wochen später fand ein Lkw-Fahrer seine Leiche in einem Waldstück nahe dem Autobahnrastplatz Holmmoor an der A7 bei Quickborn in Schleswig-Holstein. Die ­Obduktion ergab schnell die Todesursache: Tunahan Keser war erschossen worden. Sein auffälliger Wagen, ein Maserati, den er erst ­einige Wochen zuvor erworben hatte, war bereits zwei Tage nach seinem Verschwinden in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte aufgefunden worden. Durch die Auswertung der Daten des Bordcomputers konnten die Ermittler den Fahrtweg des Fahrzeugs rekonstruieren: Keser war mit seinem Wagen zu dem Rastplatz gefahren, eine andere Person muss das Auto zurück nach Hamburg gebracht haben.

Nach einem Dreivierteljahr der ­Ermittlungen war sich die Polizei sicher, den Mörder von Tunahan Keser gefunden zu haben: den selbständigen Handwerker Frank Lindner. Allerdings konnten die Ermittler den Mann nicht mehr befragen. Lindner hatte sich in der Untersuchungshaft das Leben genommen, wo er wegen des Verdachts eingesessen hatte, eine 76jährige in ihrem Haus überfallen zu haben. Vor seinem Selbstmord im Januar soll er sich einem Mithäftling anvertraut haben. Die Polizei fand auf Lindners Grundstück, das nur anderthalb Kilometer vom Tatort entfernt liegt, Waffen- und Munitionsteile, die zum Mordfall Keser passen könnten. »Wir gehen davon aus, dass er der Mörder ist«, sagte Marco Klein, der Leiter der Mordkommission der Kriminalpolizei Itzehoe, Ende März zum Ermittlungsstand in der ZDF-Sendung »Aktenzeichen XY ungelöst«. Doch Lindner gilt den Behörden nur als ausführendes Organ, da ein persönliches Motiv fehlt. Spekulationen darüber, dass es Auftraggeber im kriminellen Milieu geben könnte, das traditionell zum Boxsport dazugehört, halten sich derweil hartnäckig.

Knieschüsse bei Sportlern gelten als letzte Warnung in diesen Kreisen. Im Jahr 2008 wurde dem Hamburger Kickboxer Ismael Ö., einer bekannten Kiezgröße, ins Knie geschossen. Der Grund für die Tat ­waren Revierstreitigkeiten im Milieu.

Khoren Gevor hat sich von seiner Schussverletzung erholt. Anfang ­April stand er das erste Mal nach mehreren Jahren wieder im Ring. In einem Statement begründete er sein Comeback mit dem Tod seines Schützlings. »Die Geschehnisse und der Verlust unseren kleinen Jungen Tunahan Keser haben mir die Kraft gegeben, nicht aufzugeben«, schrieb er auf Facebook nach seinem Kampf. Er gewann gegen den Ukrainer Wiktor Poljakow in einem Kampf über acht Runden nach Punkten. Auf Nachfrage der Jungle World bestätigt er, unbedingt auch weiter im Ring stehen zu wollen: »Ich wollte ein Zeichen setzen. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich für echte Kämpfe stehe, und das gilt auch für meine Boxer. Alles andere unter­stütze ich nicht.«