Eine Kritik linker Debatten über das »gute Wohnen«

Für einen modernen Urbanismus

Seite 2 – Öffentlichkeit und Wohnen

 

Dabei ging es den sozialutopistischen Konzepten –von Charles Fouriers Phalanstère bis hin zu Corbusiers »Wohnmaschinen«– einmal um die Verbindung von Öffentlichkeit und Wohnen, wobei der Gestaltung von öffentlichen Räumen, Plätzen und Funktionsgebäuden eine wichtige Rolle zukam. Noch in der Komplexgestaltung der realsozialistischen Neubauten zeigten sich Rudimente dieser sozialen Utopie, die politisch längst liquidiert wurde.
Im Spielfilm »Die Architekten«, der letzten Filmproduktion der DEFA von 1990, ist diese Ambivalenz am Beispiel Berlin-Marzahns gut festgehalten. Andererseits liegt der Wahrheitskern des Design-Leitsatzes »form follows function« darin, dass jede ansehnliche Oberfläche zum Herrschaftsinstrument wird, wenn sie falschen Zwecken folgt. Undifferenzierte Argumente gegen »weiß, gerade, viereckig, mit niedrigen Decken« tendieren daher zum Ressentiment, weil sie die Problemebene verkennen.

In seinem 1968 geforderten »Recht auf Stadt« entwickelte der marxistische Stadttheoretiker Henri Lefebvre eine andere Idee des Urbanismus, die sich vom neokonservativen Urbanitätsdiskurs und reaktionären Bewegungen wie dem »new urbanism« klar unterscheidet. Lefebvre ging es um nichts weniger als das »Recht auf das städtische Leben in verwandelter, erneuerter Form«, wozu die Städte auf neue Grundlagen gestellt werden müssten.
Diese Idee des Urbanen als Ort der Begegnung fordert auch der Soziologe Richard Sennett ein. Eine Stadt im emphatischen Sinne ist ein Ort, der es möglich macht, dass Fremde sich begegnen, ohne dem Zwang zur Intimität ausgesetzt zu sein.

Das Urbane als Erfahrungsraum erfordert aber soziale Durchmischung und offene, öffentliche Räume, um mit anderen Lebenswelten, Praxisformen und Ideen in Kontakt zu treten. Wer im Kiezcafé jedoch ausschließlich von Studierenden bedient wird und im abgeschirmten Hinterhof mit der immer gleichen Hausgemeinschaft die Feuertonne anheizt, bis Elke Wittichs autoritärer Nachbar »die Scheißbullen« holt, lebt ebenso in einer Filterblase wie die Kleinfamilie, die ihr Katalogreihenhaus durch Hecken und Zäune von der Welt isoliert.

Dass sich eine linke Stadtpolitik heute meist im Kampf um niedrige Mieten und bezahlbaren Wohnraum erschöpft, ist Symptom einer defensiven Haltung, die dem neoliberalen Monadentum wenig entgegenzusetzen hat und seinen Prinzipien zum Teil verhaftet bleibt. Ist es nicht tragisch, wenn Linke über die richtige Deckenhöhe und Raumkrümmung diskutieren, während darunter nichts Besseres entsteht als ein vergrößerter Discounter mit Parkplätzen?