Die französische Eiskunstläuferin Surya Bonaly

Salto rückwärts auf dem Eis

Vor 20 Jahren provozierte die französische Eiskunstläuferin Surya Bonaly die Sportwelt mit wagemutigen Sprüngen.

Im Jahr 1998 schaffte es Surya Bonaly mit einer Geste stolzen Trotzes rund um die Welt in alle Nachrichtensendungen. Bei den Olympischen Winterspielen in Nagano hatte sie sich verletzt und war nach verpatzten Kurzläufen ohne Chance auf eine Medaille. Bonaly präsentierte in der Kür zu den Klängen von Vivaldis »Vier Jahreszeiten« einen Salto rückwärts und landete auf einem Bein respektive Schlittschuh. Dieser Sprung war 1992 nach einer Kollision von Bonaly und Midori Ito beim Training vom olympischen Komitee für un­zulässig erklärt worden.

Die fünffache Europameisterin wollte mit dieser athletisch-akrobatischen Höchstleistung nicht nur dazu beitragen, dass der Salto vielleicht eines Tages erlaubt wird. Sie wollte wohl auch den Juroren den Stinkefinger zeigen, denn olympisches Edelmetall war ihr, die dreimal an den Spielen teilgenommen hatte, versagt geblieben. Im Wertungssegment »künstlerischer Ausdruck« bekam sie stets schlechte Noten. Viele Beobachter des Sports meinen bis heute, das habe nicht an mangelndem Talent Bonalys gelegen, sondern an den Ressentiments der Jurys ­gegen eine Läuferin, die durch ihre Hautfarbe und ihren betont durchtrainierten Körper nicht den Klischees entsprochen habe, die diese wohl weißeste aller Sportarten bestimmten. Kurz nach der Jahrtausend­wende wanderte Bonaly in die USA aus.

 

Manche Juroren und Kommentatoren störten sich auch an Bonalys Emotionalität. Anders als die meisten Eiskunst­läuferinnen hielt sie mit ihren Ge­fühlen nicht hinterm Berg.

 

Minnesota gehört zu den kältesten Bundesstaaten der USA. Zu den Hauptexportgütern gehören neben Zuckerrüben und Mais vor allem Musikerinnen und Musiker. Aus dem »North Star State« stammend, wurden unter anderem Prince, Bob Dylan, Hüsker Dü, die Andrew Sisters und The Jayhawks berühmt. Dank der strengen Winter ist man in Minnesota aber auch sehr dem Wintersport zugetan. Eishockey, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Curling – alles, was als Unterlage Eis braucht, ist populär. Deswegen können ehemalige Profis wie Surya Bonaly, eine mehrfache Einzeleuropameisterin im Eiskunstlauf, in der Twin-Cities-Region Minneapolis und St. Paul davon leben, Kindern ehrgeiziger Eltern beizubringen, wie man auf dem Eis eine gute Figur macht. Sie ist eine gute Trainerin, was wohl auch an ­ihrer offenen Art liegt. Traurige Schützlinge tröstet sie beispielsweise mit den Worten, dass Medaillen ja im Grunde doch nur Staubfänger seien.

Bonaly zog es allerdings auch aus privaten Gründen in den hohen Norden der Vereinigten Staaten – sie ist mit dem dort lebenden Eiskunstläufer Peter Biver verlobt. In einem Interview scherzte sie: »Ich friere mir wegen der Liebe den Arsch ab.«

Dass Spitzensport auch Schmerz bedeutet, ist gerade im Eiskunstlauf keine hohle Phrase. Bonaly hatte sich als Mädchen beide Handgelenke gebrochen, bevor sie lernte, wie man auf dem Eis richtig stürzt. Die Athletin, deren biologische Mutter von der Insel La Rèunion stammte, wurde 1973 in Nizza geboren und 18 Monate später von einer Lehrerin und einem Architekten adoptiert. Ihre erste sportliche Leidenschaft galt dem Turnen, doch als sie sich im ­Alter von elf Jahren zum ersten Mal die Schlittschuhe anschnallte, hatte sie ihre wahre Berufung gefunden. Sie trainierte in jeder freien Minute und wurde schließlich von Didier Gailhaguet, einem französischen Eislaufheros, entdeckt und betreut. Dieser hatte das außergewöhnliche Talent der jungen Frau erkannt und ermutigte sie, ihren eigenen Stil zu entwickeln und zu pflegen. Allerdings verbreitete der Coach auch eine Menge Geschichten über sie, die ihr Underdog-Image festigen sollten, wie die, dass sie als Baby auf einem karibischen Strand ausgesetzt worden sei.

1991, da war sie 17, wurde sie Europameisterin. Bis 1995 sollte sie ­diesen Titel noch dreimal holen. Ebenfalls dreimal wurde sie Vizeweltmeisterin. Bei den Olympischen Winterspielen in Albertville und ­Lillehammer verpasste sie jedoch die Medaillenränge.
Bonaly war nach der US-Amerikanerin Debi Thomas, die 1986 Weltmeisterin geworden war und 1988 bei den Olympischen Spielen von Calgary Bronze gewonnen hatte, erst die zweite schwarze Frau weltweit, die im Eiskunstlauf Karriere machte. »Lustige« Bemerkungen über ihre Hautfarbe kamen ebenso häufig vor wie sexistische Kommentare über ihren angeblich »maskulinen« Körperbau. Ein Kommentar zu Bonaly eines österreichischen Fernsehreporters lautete: »Eisprinzessinen sehen aber anders aus.«

Manche Juroren und Kommentatoren störten sich auch an Bonalys Emotionalität. Anders als die meisten Eiskunst­läuferinnen hielt sie mit ihren Ge­fühlen nicht hinterm Berg. Wenn sie sich freute, freute sie sich offenkundig. Wenn ihr etwas misslang oder sie sich ungerecht beurteilt fühlte, ärgerte sie sich entsprechend offen. Das war nicht das Verhalten, dass man von »Eisprinzessinnen« gewöhnt war. Am häufigsten kritisiert wurde aber Bonalys Eislaufstil. Der sei zu »athletisch« und »akrobatisch«, befanden viele, und einige besonders fiese Journalisten warfen der Eisläuferin vor, ihr Stil habe mehr mit Kraftsport als mit Kunstlauf zu tun.

Bonaly sagte später, sie selbst habe Rassismus während ihrer aktiven Zeit kaum wahrgenommen, doch das habe auch daran gelegen, dass sie ­einerseits »jung und naiv« gewesen sei und andererseits von Trainern und Kolleginnen gegen alles, was nicht direkt mit dem Sport zu tun hatte, gut abgeschirmt worden sei. Im Jahr 2012 engagierte sich Bonaly für die französische Initiative »La France des talents et des couleurs«, die gegen den aufwallenden Rassismus im Land Stellung bezog.

2015 produzierte die Schauspielerin Eva Longoria, bekannt aus der Serie »Desperate Housewives«, eine Kurzdokumentation der Regisseurin Retta Sirleaf über Surya Bonaly mit dem Titel »Rebel on Ice«. Die Doku war Teil von Longorias »Versus«-­Serie, in der sie den Schwierigkeiten nachging, mit denen nichtweiße Sportler und Sportlerinnen oft konfrontiert waren und sind.

Nach dem Ende ihrer aktiven Karriere arbeitete Bonaly zunächst fast 20 Jahre lang bei großen Shows wie »Champions on Ice«, bei denen sie auch ihren spektakulären Rückwärtssalto vorführte. Rund 500-mal habe sie diesen Sprung insgesamt gezeigt, schätzen Show-Kollegen, zu denen die Stars früherer Zeiten wie Nancy Kerrigan, Viktor Petrenko und Brian Boitano gehörten. Doch damit ist nun Schluss. Vor zwei Jahren verletzte Bonaly sich bei einer Veranstaltung in Brasilien an der Wirbelsäule, an der auch noch einige immerhin nicht bösartige Zysten entdeckt wurden. Seit diese operativ entfernt wurden, ist ihr Bein vom Knie abwärts taub. Dass sie sich sofort behandeln ließ, sei für sie immer noch ungewohnt, sagte Bonaly: »Wenn man Schmerzen hat und die Show aber weitergehen muss, dann tut man alles für die Zuschauer, die viel Geld für ihre Tickets bezahlt haben. Was soll man auch sonst tun? Gib mir zehn Pillen, mach, dass es mir besser geht.«