Mode und Identität: Was wollen Styles »Normcore«, »Gorpcore« und »Menocore« ausdrücken?

Antimode liegt im Trend

Bei »Normcore«, »Gorpcore« und »Menocore« geht es um Styles, die Gleichgültigkeit gegenüber Mode und Trends zur Schau stellen. Dieser Kult der Natürlichkeit ist selbst eine Mode.
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Nach einem kurzen Blick auf die Charakteristika unserer Zeit (sie ist voller ­Widersprüche!) stellte Philipp Ekardt vergangene Woche an dieser Stelle fest: Mode hat nichts mit »Identität« zu tun.

Allerdings fand er für diese Behauptung kaum Argumente. Eine Reflexion über Mode sollte sich nicht einfach an der »Kritik der Identitätspolitik« orientieren und auch mehr sein, als eine von Namedropping begleitete, beständig wiederholte Formel. Dem ­gegenübergestellt sei ein Versuch, der sich sowohl der Form der Mode, als auch ihrer gegenwärtigen Inhalten widmet. Ekardts Text dient dabei eher als Gedankenanstoß, sich argumentativ an ihm abzuarbeiten, ist kaum möglich.

Mode steht für die Sphäre der Künstlichkeit, die sich der Natur entgegensetzt. Dabei hat Mode, im Gegensatz zur Kunst, nie einen Wahrheitsanspruch vertreten. Dennoch eignet ihr die Qualität, auf Kommendes zu verweisen – für den, »der sie zu lesen verstünde«, wie Walter Benjamin schreibt.

Da ihre Form der beständige Wandel, die Ewigkeit der Vergänglichkeit ist, hat sie aber auch ein Moment der Rigidität, in dem sie Tod und Natur gleicht. Ihre Stabilität kann sich nur durch ­Instabilität halten, sie ist also in ihrer beständigen Nichtidentität auch identisch. Sie ist demnach zunächst als leere Form zu begreifen, die mit verschiedenen Inhalten gefüllt werden kann. Wer Mode zu lesen versteht, liest in ihr, was kommt: Immergleichheit, Verdinglichung, Starrheit in je unterschiedlichem Look, der wiederum auf die Möglichkeit der Veränderung verweist. Die Immergleichheit des Neuen stellt aber auch dieses Neue als Schein bloß. Wird Mode entsprechend gelesen, ­bedeutet dies Transzendenz, den Ansatz des Ausbruchs.

»Normcore«, »Gorpcore« und »Meno­core« sind einige solcher Inhalte der Form Mode, kurz: Trends. Sie ­werden natürlich begleitet von Gegentrends, Symptom sowohl der öko­nomischen Interessen an ihnen wie von Distink­tionsbedürfnissen. Inter­essant ist aber, was gerade diese Trends konterkarieren: das ideologische ­Versprechen von Scheinlosigkeit und Authentizität, das sie zum Ausdruck bringen, von dem sie aber mittels ihrer temporären Identifikations- und Darstellungsmöglichkeiten auch Teil sind: Sie geben sich betont schlicht, einfach, bescheiden oder hässlich. Sie eint im Verzicht auf Extravaganz der Schein der Scheinlosigkeit, der dem Zweck dient, ­Authentizität vorzugaukeln. Der Fokus auf Schlichtheit, Unauffälligkeit oder sogar Antiästhetik, das Verschwinden von Glamour, lässt sich zwar mit dem Modetrends stets motivierenden ­Distinktionsbedürfnis er­klären, das sich immer zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit bewegt, er ist aber auch Abbild spätkapitalistischer Ideologie.

 

»Gorpcore« und »Menocore« sieht man schon eine Weile in den Straßen, die Bezeichnung wurde aber erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 geprägt.

 

»Normcore« bedeutet seit 2014 ­Birkenstock-Sandalen oder Sneaker, lässige Jeans und T-Shirts, vielleicht eine Kappe, Unisex-Unauffälligkeit, Simplizität und Bescheidenheit gegen neoliberalen Individualitätszwang. Freiheit durch Nichtexklusivität, die indi­viduelle Entscheidung zur Gleichheit; »Normcore« wurde so auch schon mal als »der Humanismus unter den Mode-Hypes« bezeichnet (Elle). Eine verführerische Deutung, die aber das Wesen von Mode verkennt, die immer Anpassung und Abgrenzung bedeutet, der also ein Moment von Ausgrenzung immer innewohnten. Sie funktioniert nicht ohne ein außen, an dem sie sich abarbeitet.

Auch bei »Normcore« geht es ums Dazugehören: Paradiesvögel fallen raus. Es handelt sich also nicht um die Lösung des Differenzierungsdrucks, sondern nur um dessen Verdrängung. Die Ablehnung von Besonderheit und Differenz basiert nach wie vor auf den Prinzipien der Mode, Fluidität und Zwang zur Differenz.

»Gorpcore« und »Menocore« sieht man schon eine Weile in den Straßen, die Bezeichnung wurde aber erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 geprägt. »Gorp« steht für »good old raisins and peanuts«, ein Synonym für »trail mix«, also ­Studentenfutter. »Gorp­core« heißt Trekking-Look: ­Fleece- oder übergroße ­Daunenjacken, die Marken The North Face oder Pata­gonia, Hipbags, Wanderstiefel. »Gorpcore« knüpft teilweise an »Normcore« an: Der Stil gibt vor, gar nicht erst zu versuchen, besonders zu sein oder sich sonderlich um Individualität zu kümmern, und auch stilistische Überschneidungen gibt es. Doch er übertrumpft »Normcore« auch: Wo bei diesem noch Einfachheit und Bescheidenheit den Look ausmachten, geht es »Gorpcore« um das Zurschaustellen von absoluter Gleichgültigkeit gegenüber Ästhetik, teil­weise wird dezidiert und übertrieben Hässlichkeit in Szene gesetzt. Betont wird auf Komfort und Funktionalität wert gelegt.

Wer »Gorpcore« trägt, zeigt damit nicht nur eine Vorliebe für Hülsenfrüchte, sondern auch Naturverbundenheit, Leidenschaft für Campingtrips und verkörpert geradezu Nachhaltigkeit. »Gorpcore« steht für Abenteuer und Naturnähe, die Wärme und Romantik des Lagerfeuers gegen die Kälte der Großstadt. Insofern ist »Gorpcore« infantiler als »Normcore«, der in seiner Schlichtheit und Sachlichkeit auch eine gewisse Reife verkörpert. »Gorpcore« hingegen erinnert an Kinder, die in jede Pfütze springen wollen.

Eine ähnliche Ablehnung von Extravaganz wie im »Normcore« zeigt sich im »Menocore«, dessen Look sich durch Kleidung auszeichnet, die mit Frauen in der Menopause konnotiert wird: beige und weiß, weite, bequeme Schnitte, fließende Stoffe, flache Schuhe, vielleicht auch mal etwas Ausgefallenes, große Holzperlen etwa – jedenfalls plump und nicht sexy. Einfachheit und vorgeblicher Verszicht aufs Präten­ziöse stehen wie bei »Normcore« und »Gorpcore« im Zentrum. Aufgebracht wurde der Name für den Trend von dem Fashionblog »Man Repeller«.

»Meno­core« ist benannt nach dem Zeitpunkt der letzten Monatsblutung, der Menopause. Die Frau, die nicht mehr gebären kann, fällt aus der Rolle, die ihr tradi­tionell zugeschrieben wird und die mitunter für bestimmte Vorstellungen von Weiblichkeit verantwortlich ist. »Meno­core« steht für eine Neutralisierung ­angeblich weiblicher Attribute wie Verführung, Verruchtheit, Sexyness. Er verkörpert Prüderie, propagiert einen Look der Verhüllung. Er steht für den angeblichen Wunsch nach der Überwindung von bereits bewusst erfahrener Sexualität.

 

Zwischen Funktion und Dekoration

 

Darin vermuten diverse Feuilletons und Modeseiten naturgemäß Eman­zipationsversprechen, so schreibt etwa die Modeseite »Stylebook« zufrieden: »Sexuelle Attraktivität rückt weit in den Hintergrund, die Outfits sollen in ­erster Linie praktisch und komfortabel sein.« Die Zeit sieht »die Idee einer gleichberechtigten Moderne« darin, »dass junge Frauen plötzlich für sich in Anspruch nehmen, sich sachlich ­kleiden zu dürfen« und die Welt geht davon aus, wer »Menocore« trage, habe »einen Ausweg aus dem rastlosen Kreislauf aus Laufsteg-Strohfeuern« gefunden. Allen diesen Einschätzungen ist, nebst anderer streitbarer Annahmen, ein Verkennen des tatsächlichen Charakters von Mode und Trends gemein: Mode ist ihrem Wesen nach vergänglich und schnelllebig, die Hoffnung auf einen Ausbruch daraus mithilfe eines Trends ist entsprechend ­lächerlich.

Mode bewegt sich stets im Spannungsfeld von Funktion und Dekoration sowie von Konformismus und Indi­vidualismus. Der Balanceakt fällt je nach historischem Kontext anders aus, die beschriebenen Tendenzen sind so Abdruck der Ideologie im Spätkapita­lismus.

 

Hinter der partikularen Ablehnung bestimmter Trends, die mit Extravaganz und dem Streben nach Einzigartigkeit gleichgesetzt werden, lässt sich schließlich Regressivität erkennen

 

Sie bedeutet mythologisches Denken, das völlig in der Immanenz verharrt. Die vorgestellten Stile versprechen so auch nichts mehr, außer nichts zu ­versprechen. Gefragt sind das Zurschaustellen von Gleichgültigkeit und Indifferenz gegenüber Trends und Normen; es geht um einen Kult der Natürlichkeit, der verdeckt, dass Mode per se Kultur ist. Stolze Antiästhetik will ganz authentisch gar nichts mehr darstellen als ­jemanden, der nichts darstellen will.

Hinter der partikularen Ablehnung bestimmter Trends, die mit Extravaganz und dem Streben nach Einzigartigkeit gleichgesetzt werden, lässt sich schließlich Regressivität erkennen, die dem Hass auf Exklusivität, Abstraktion und Wandel sowie der Suche nach Authentizität und Ursprünglichkeit stets innewohnt.

Diese Trends verweisen dabei auch auf den Wunsch des Subjekts, sich Schnelllebigkeit, Individualitäts- und Optimierungszwang zu verweigern, der sich auch in den diversen Zeitungskommentaren ausdrückt. Natürlich sind diese Versuche der vorgeblichen Antimode zum Scheitern verurteilt, sind sie doch selbst Modephänomene, die kein Bewusstsein für ihre Integra­tion und ihren ephemeren Charakter erlangen, geschweige denn sich diesem verweigern können.

Hier kann wieder an Ekardt angeknüpft werden, mit der Feststellung, dass nicht Identität, aber durchaus, je nach Trend, Authentizität in der Mode gesucht wird und manche Mode diese auch verspricht. Das ist Ekardt ent­gangen.

Nur Reflexion darauf kann zeigen, dass solche Ansprüche nicht erfüllt werden können, zumal der zugrundeliegende Mangel durch die Verfasstheit der Gesellschaft bedingt ist.