Die »MeToo«-Kampagne hat den Feminismus rehabilitiert

»Me Too« und die Befreiung des Sex

Nur eine emanzipatorische Offensive gegen Moralismus, sexuellen Missbrauch und Missbrauch des Missbrauchs zur Selbsterhöhung liberaler Freidenker ist in der Lage, den falschen Widersprüchen und Diskursverwirrungen in der MeToo-Debatte beizukommen.
Essay Von

„Der Mensch, der berufsmäßig verführt und nur dieses Ziel kennt, ist eine abscheuliche Kreatur und grundsätzlich der Feind des Geschöpfes, auf das seine Wahl gefallen ist. Er ist wahrlich ein Frevler: Denn wenn er über die erforderlichen Gaben verfügt, macht er sich ihrer unwürdig, indem er sie missbraucht, um ein Mädchen unglücklich zu machen.“

Giacomo Casanova


#MeToo hat en passant einem zutiefst patriarchalen System die liberale Maske vom Gesicht gerissen. Die erschreckende Unfähigkeit, zwischen sexueller Übergriffigkeit und lustvoller Verführung zu unterscheiden, liegt nicht allein in der uralten und nie auflösbaren Ambivalenz von Begehren, Locken und sich Zieren begründet, sondern in einer ungebrochen maskulin codierten Sexualität, bei der weder Männchen noch Weibchen auf ihre Kosten kommen.

Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass die weibliche Weigerung, dauererogene Zone für männliche Ermächtigung zu sein, mit Puritanismus und Rücknahme sexueller Freiheiten assoziiert wird? Und warum müssen Frauen, so sie im aufgeklärten Westen angeblich längst nicht mehr Objekte sind, permanent mit Pfefferspray und Stoppschildern herumlaufen und sich in einen energieraubenden Dauerreaktionsmodus drängen lassen?

Entwirren wir das Knäuel durch methodische Vereinfachung. Frauen wehren sich dagegen, befummelt zu werden, indem sie die Befummler beim Namen nennen. Der Lustschweiß des Patriarchats verwandelt sich in Angstschweiß, während eine Schicht geistreicher Liberaler beanstandet, das Denunzieren der Befummler zerstöre Sinnlichkeit und Sexualität und sei Ausdruck einer neuen Sittenstrenge. Moment mal, widersprechen geistesgegenwärtige Frauen, ihr meint wohl, das Befummeln und die Befummler zerstören Sinnlichkeit und Sexualität, beziehungsweise die sexuelle Annährung gegen unseren Willen tut es. Nein, nein, ihr habt schon richtig gehört, spricht Catherine Deneuve als Interessensvertreterin romanischer Kavaliere: Wir Freigeister verteidigen das Recht des Mannes, uns sexuell zu belästigen.

 

Das Misstrauen, das #MeToo auch in liberalen Kreisen entgegenschlug, galt nur vordergründig einem neuen Puritanismus, mit dem die Kampagne ohnehin in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. Eher unabsichtlich lüftete sie das Laken über der westlichen Gesellschaft und – siehe da – erwischte Patriarchat und Neoliberalismus beim langweiligen Blümchensex.

 

Die bizarre Logik dieser Schlüsse zeichnet ein recht trauriges Bild vom Zustand der befreiten Sexualität. Wenn die Ahndung sexueller Annäherungen als Machtdemonstration und gegen den Willen der Angemachten dazu führen sollte, dass uns nichts mehr anmacht, dann gestehen wir ein, was feinsinnige Kritikerinnen und Kritiker schon lange wussten: dass hinter dem neoliberalen Narrativ des selbstbestimmten healthy sex-life die alten patriarchalen Machtgefälle ungestört weiterwesen. Sex als Freiheit ist dann ein Hologramm, dessen lustvolles Stöhnen wir als unser eigenes empfinden sollen während unserer permanenten Zurichtung.

Das Misstrauen, das #MeToo auch in liberalen Kreisen entgegenschlug, galt nur vordergründig einem neuen Puritanismus, mit dem die Kampagne ohnehin in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. Eher unabsichtlich lüftete sie das Laken über der westlichen Gesellschaft und – siehe da – erwischte Patriarchat und Neoliberalismus beim langweiligen Blümchensex. Sie erbrachte den Beweis, dass das Patriarchat nicht ein Dämon aus dem Orient ist, der über Asylbetrüger sich in den Okzident schwindelt, um weißes Frauenfleisch zu schänden, und auch kein längst überwundenes Schreckgespenst hysterischer Feministinnen, sondern ein rüstiger Inkubus, dem auch der vermeintlich liberale Kapitalismus seine Penthouse-Suiten zur Verfügung stellt.

Die patriarchale Ökumene – auch das lehrte #MeToo – spannt sich nicht von Rio bis Jakarta, sondern beginnt in Los Angeles und lässt auch Frankfurt und Stockholm nicht aus. Am schönsten zeigte sich der liberale Selbstbetrug im Fall des Wiener Politikers Peter Pilz, der gegen Grapscher aus dem Morgenland hetzte, ehe aufflog, wie hurtig seine eigene abendländische Hand agierte.

Warum aber Neoliberalismus – wie weit ist diese Keule denn nun schon wieder hergeholt? Mitnichten. Die Omnipräsenz sexualisierter Männermacht ließ den Mythos von der selbstoptimierten Powerfrau knicken, die bekanntlich emanzipiert, aber keine Emanze ist und die sich ihren Respekt durch die Jungs allein erkämpft habe, im Vergleich zum evolutiv schwachen Mimosenmädchen, das glaubt, mit Jammern und Frauensolidarität ihre Position verbessern zu können.

#MeToo überführte die Illusion gleicher Augenhöhe zwischen den Geschlechtern der Lüge, und es enthüllte die schmerzhaft verdrängte Wahrheit, mit wie viel Erniedrigung der Weg vieler Erfolgsfrauen nach oben gepflastert war – und mit ihr den gesamten Unsinn vom autonomen Marktsubjekt.

Dass viele dieser Frauen in der Rat Race mitunter mehr Missgunst von anderen Frauen erfuhren als von Männern, ist weder Beweis einer vollzogenen Integration von Frauen ins Berufsleben noch der unabänderlichen Wolfsnatur des Menschen unter Bedingungen der Konkurrenz. Es zeigt bloß, dass das Patriarchat ein über etliche Sonderarrangements abgestuftes System ist, in welchem Frauen mit Machtteilhabe sich und einander noch immer im Spiegel des imaginären männlichen Blicks beurteilen und die strukturelle Grausamkeit der Subalternen mit in einige neu eingerichtete Chefinnen-Etagen hochgetragen haben.

Patriarchat ist bekanntlich nicht einfach die Herrschaft der Männer über die Frauen. Auf vielen Ebenen reproduziert patriarchale Macht sich über weibliche Mithilfe, ja, findet in Frauen engagierte Prätorianerinnengarden, etwa privilegierte Männerversteherinnen wie Deneuve oder Millet, oder engagierte, toughe Muslimas, die bei ihrer Verteidigung einer zutiefst patriarchalen Nomadenreligion aus dem 6. Jahrhundert sich als women, als women of colour, als postkoloniale Subjekte und diskriminierte Migrantinnen einen wahren Jackpot an Solidaritätsboni und somit diskursive Unantastbarkeit sichern konnten. Doch das ist eher ein westliches Phänomen, in muslimischen Ländern wurde #MeToo dankbar als metakulturelles Tool zur Artikulation des Unbehagens und der Wut aufgenommen.

#MeToo rehabilitierte letztlich eine vielbespöttelte und marginalisierte emanzipatorische Bewegung: den Feminismus.