Um die SPD und ihren Vorsitzenden Martin Schulz steht es schlecht wie nie

Regieren ohne Zipfelmützen

Die SPD will mit CDU und CSU über eine weitere Große Koalition verhandeln. Der Entschluss der Partei zeigt, wie miserabel es um sie und ihren Vorsitzenden steht.

Es ist etwa 16.30 Uhr, als Heiko Maas das Ergebnis des SPD-Parteitags verkündet. 362 Delegierte haben für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU gestimmt, 279 dagegen. Eine Person hat sich enthalten. Der Applaus dauert lediglich zehn Sekunden, nicht alle klatschen. Kurz danach sagt Maas: »So, und jetzt singen wir noch ein Lied.« Es hört sich ein wenig wie ein Befehl an. Pflichtschuldig steht der Parteivorstand auf und singt »Wann wir schreiten Seit’ an Seit’«. Martin Schulz formt dabei mit den Händen so etwas wie eine »Merkel-Raute«. Viele Delegierte packen ihre Sachen und verlassen die Halle. Andere murmeln die Hymne der Partei mit, während sie auf ihren Telefone herumtippen. Franz Müntefering und Rudolf Scharping stehen im Bereich für die Ehrengäste. Sie singen laut mit. Es ist Tradition, das Lied am Ende eines Parteitags anzustimmen. Hier in Bonn scheint es für viele Funktionäre eine qualvolle Pflicht zu sein – allen voran für den Parteivorsitzenden Schulz.

So schnell wie er hat es selten ein SPD-Vorsitzender geschafft, Sympathien bei den Mitgliedern zu verlieren. Ein Jahr ist es her, dass der damalige Vorsitzende Sigmar Gabriel Martin Schulz als Kanzlerkandidaten vorschlug. Schnell bestätigte der Parteivorstand damals Schulz. Dessen erster Auftritt als Kanzlerkandidat ereignete sich in Wanne-Eickel im Ruhrgebiet. Der 500 Menschen fassende Saal im örtlichen Theater »Mondpalast« war überfüllt, auf Treppen und in Gängen standen begeisterte Anhänger des neuen Kandidaten. Erstmals waren laute »Martin«-Rufe zu hören. Schulz wusste zu begeistern, und zwar nicht nur mit der Aussage, dass seine Schwiegermutter aus Wanne-Eickel komme. Er rief dazu auf, auf die Straße gehen und voller Stolz zu sagen, man sei ein »Sozi«. In seiner Rede fiel immer wieder der Begriff »Gerechtigkeit«. Die Basis in Wanne-Eickel war ­begeistert. Zudem informierte sich Schulz noch über verschiedene örtliche Vorhaben und nahm ein Bad in der Menge. Schulz und die Basis – das schien damals richtig gut zusammenzupassen. Schulz kam als Europapolitiker irgendwie von außen und wurde nicht so stark mit der Parteiführung identifiziert. Deshalb erhielt er auch von eher kritischen Mitgliedern große Unterstützung. Nachdem in den folgenden Wochen die Umfragewerte gestiegen waren, Schulz die Agenda 2010 kritisiert hatte und dann mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt worden war, brach die Schulz-­Euphorie in der SPD vollends aus.

Vor allem bei den Jusos entwickelte sich eine Strömung, die sich gegen eine neue Koalition mit CDU und CSU aussprach.

Auch die Jusos trugen damals maßgeblich zum Schulz-Hype bei, etwa auf dem Parteitag zum Wahlkampfauftakt in Dortmund im vergangenen Juni. Die Umfragewerte der SPD waren zu dieser Zeit bereits rückläufig. Hannelore Kraft hatte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentschaft im Mai an Armin Laschet (CDU) verloren. Schulz selbst sei damals kaum noch von einem Wahlsieg überzeugt gewesen, berichtete der Spiegel später. Trotzdem schaffte es die Partei, Begeisterung zu inszenieren. 6 000 Gäste waren in die Westfallenhalle gekommen.

Fahnen und »Zeit für Martin«-Schilder wurden verteilt. Viele Mitglieder hatten selbst T-Shirts, Mützen und Plakate gebastelt und bedruckt, auf denen das Gesicht des Kanzlerkandidaten zu sehen war. Schulz selbst marschierte zu lauter Musik und von Bodyguards begleitet in die Halle ein. Der Parteinachwuchs formte aus riesigen Buchstaben den Namen des Vorsitzenden. Das »Regierungsprogramm« wurde mit großer Mehrheit angenommen, Hinweise auf Schwächen im Programm wurden ­abgetan. Schulz wusste immerhin noch als Europapolitiker zu überzeugen und sprach von seinem »Freund« Emmanuel Macron, der ein Beispiel für die deutsche Sozialdemokratie sei.

Als Schulz am Wochenende während seiner Rede in Bonn über den franzö­sischen Präsidenten sprach, erntete er von manchen Delegierten nur höhnisches Lachen.

 

Die Unterstützung für Schuz ist in der SPD erheblich geschwunden

Dabei hatte er lediglich gesagt, Macron befürworte die Große Koalition. Ein Bad in der Menge sparte sich Schulz. Die Unterstützung für ihn ist in der SPD mittlerweile erheblich geschwunden, obwohl viele ihm die verlorene Wahl im September nicht angelastet hatten. Auch die deutlichen Worte, mit denen er sich zunächst gegen eine weitere Große Koalition ausgesprochen hatte, stießen in der Partei auf große Zustimmung. Dass die SPD-Führung nach dem Scheitern der Verhandlungen von Union, FDP und Grünen überhaupt Sondierungen mit CDU und CSU aufnahm, brachte Schulz bereits auf dem Parteitag im Dezember Ablehnung ein. Nur noch 81,9 Prozent der Delegierten wählten ihn als Vorsitzenden wieder.

Vor allem bei den Jusos entwickelte sich eine Strömung, die sich gegen eine neue Koalition mit CDU und CSU aussprach. »Ich habe darüber nachgedacht, alles in die Tonne zu treten«, sagte ein junger Delegierter in Bonn. Er sah entnervt aus.

Andrea Nahles, gelang es dann, mit ihrer Rede die ­Koalitionsverhandlungen anzupreisen: »Verhandeln, bis es auf der anderen Seite quietscht«, wolle sie – und erntete viel Applaus.

Angestrengte Blicke und hitzige Diskussionen gab es wiederholt auch in der großen Vorhalle des »World Conference Center«. Kleinere Funktionärsgruppen verschwanden immer wieder in Sitzungsräumen. Vor dem Zaun des kleinen Außenbereichs, in dem geraucht werden durfte, standen kurz vor Beginn des Parteitags ungefähr zehn Jusos. Sie hatten es nicht geschafft, sich als Gäste anzumelden; das Anmeldeformular soll nur kurze Zeit online zugänglich gewesen sein. Die jungen Leute halten Schilder mit der Aufschrift »#nogroko« in die Luft und tragen rote Zipfelmützen. Mit diesen wollen sie auf Alexander Dobrindt (CSU) anspielen, der von einem »Zwergenaufstand« in der SPD sprach. Durch den Zaun hindurch versuchen die Jusos, ihre Delegierten von einem »Nein« bei der Abstimmung zu überzeugen.

Gegner der Großen Koalition, die als Delegierte auf dem Parteitag waren, zeigten sich am Sonntagmittag vor der Abstimmung wenig optimistisch. In der großen Delegation aus Nordrhein-Westfalen hatte es eine Vorbesprechung gegeben, dort war die Ablehnung der Zustimmung gewichen. Zudem gab es einen neuen Leitantrag, der Bedingungen berücksichtigte, die die nordrhein-westfälischen und hessischen Landesverbände gestellt hatten; diese zeigten sich befriedigt mit der Zusage des Parteivorstands, sich gegen befristete Arbeitsverhältnisse einzusetzen und mit CDU und CSU in dieser Sache erneut zu verhandeln.

Die Rede des Parteivorsitzenden wurde im Gegensatz zu einigen Beiträgen von Gegnern der Großen Koalition nur mit geringem Applaus bedacht. Danach wurde die Stimmung gereizt, weitere Redner gingen die Kontrahenten des Vorsitzenden hart an. Die bayerische SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen rief Mitgliedern und Delegierten, die rote Zipfelmützen trugen, wütend zu: »Nehmt endlich diese Mützen ab!« Der Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, ­Andrea Nahles, gelang es dann, mit ihrer Rede die ­Koalitionsverhandlungen anzupreisen: »Verhandeln, bis es auf der anderen Seite quietscht«, wolle sie – und erntete viel Applaus. Über vier Stunden dauerte die Debatte über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Viele junge Sozialdemokraten, insbesondere der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, überzeugten mit ihrer Argumentation gegen die Große Koalition. Am Ende befürworteten lediglich 56 Prozent der De­legierten die Koalitionsverhandlungen. Zudem stimmten in Bonn Berufs­politiker und hohe Funk­tionäre ab. Die Masse der Mitglieder, immerhin über 400 000, könnte die Frage einer weiteren Großen Koalition anders beurteilen; nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen soll es einen Mitgliederentscheid geben. Fest steht, dass Schulz als Parteivorsitzender schwer angeschlagen ist – ob er die Regierungszeit einer Großen Koalition überhaupt in diesem Amt überstehen wird, scheint durchaus fraglich.