Die Regionalwahlen in Katalonien und ihre Folgen

Eine unendliche Geschichte

Bei den Regionalwahlen in Katalonien erhielten die drei separatistischen Parteien die absolute Mehrheit, der in Madrid regierende Partido Popular verzeichnete herbe Verluste.
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Die Regionalwahlen vom 21. Dezember in Katalonien haben den Konflikt um die Unabhängigkeit der Region nicht entschärft. Die drei separatistischen Parteien haben mit 70 von insgesamt 135 Abgeordneten im Regionalparlament gemeinsam eine absolute Mehrheit erhalten. So stehen die Zeichen zwischen Madrid und Barcelona erneut auf Konfrontation. Spaniens Sozial­demokraten (PSOE) stützen weiterhin das harte Vorgehen des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (Partido Popular, PP) in der Region sowie dessen Minderheitsregierung. Die EU wertet den Konflikt als innerstaatliche Angelegenheit und hält sich offiziell heraus.

In seiner traditionellen Weihnachtsansprache appellierte Spaniens König Felipe VI. vergleichsweise konziliant an das »Verantwortungsbewusstsein der künftigen Regionalregierung Kataloniens«. Zum Jahreswechsel hat die spanische Regierung Einheiten der Guardia Civil und der Nationalpolizei aus der Region abgezogen, die dort Ende September, kurz vor dem von der spanischen Regierung als illegal erachteten Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens, im Hafen von Barcelona auf einem Kreuzfahrtschiff einquartiert worden waren. Nach der Eskalation der Polizeigewalt am Abstimmungstag, dem 1. Oktober, waren sie – als »Besatzer« beschimpft – Gegenstand heftiger Kritik der Separatisten.

Rajoy betonte zwar, dass er den Dialog suche. Er wolle aber nur mit der Wahlsiegerin Inés Arrimadas sprechen, deren rechtsliberale Partei Ciutadans (»Bürger«) ein Viertel der Wähler überzeugen konnte und mit 36 Sitzen stärkste Kraft wurde. Auf jeden Fall, so Rajoy, müsse sich die kommende Regionalregierung »im Rahmen des Gesetzes bewegen«.

Arrimadas konnte einen fulminanten Erfolg primär in den Städten, insbesondere Barcelona und Tarragona, erringen. Dieser ging vor allem zu Lasten des PP, dem lediglich vier Mandate von zuvor elf bleiben. Doch der Wahlsieg von Ciutadans reicht nicht zur Regierungsbildung. Der Parteivorsitzende Albert Rivera, der in seiner Jugend falangistische Sympathien hegte, wollte die Partei zunächst liberal-sozialdemokratisch positionieren. Im Hinblick auf Katalonien profiliert sich die Partei mit prospanischem Populismus und fordert eine noch härtere Gangart gegen die Sezessionisten als der PP. Zugleich mausert sie sich nun in ganz Spanien zur Konkurrentin des PP – was die deutlichste Folge der Regionalwahl ist.

Der Wahlkampf in Katalonien war bizarr. Der Spitzenkandidat der Partei »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat), Carles Puigdemont, befand sich auf der Flucht in Brüssel, der Spitzendkandidat der Republikanischen Linken (ERC), Oriol Junqueras, nahe Madrid in Untersuchungshaft. Die Wahlaufsicht hatte gelbe Schleifen, ein Zeichen der Solidarität mit den sogenannten politischen Gefangenen, untersagt. Befolgt wurde das nicht.
Erwartungsgemäß brachte die von der Regierung in Madrid angeordnete Neuwahl bei starker Beteiligung mit über 80 Prozent keine Änderung im Kräfteverhältnis zwischen den Lagern. JxCat mit dem von der spanischen Regierung abgesetzten, aus Sicht der ­Separatisten legitimen Regionalpräsidenten Puigdemont an der Spitze erhielt 34 Sitze. Die Republikanische Linke kam auf 32, die linksradikal-separatistische »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) auf vier. Der katalanische Ableger der linken Partei Podemos, der sich gegen eine Unabhängigkeit der Region, aber für eine Abstimmung darüber ausgesprochen hatte, litt unter der ­Polarisierung zwischen Befürwortern und Gegnern der Abspaltung und kam auf lediglich acht Mandate.

Für JxCat gibt es »keine Alternative zu Puigdemont« als neuem Regional­präsidenten, der spanische Staat könne »seine Amtseinführung nicht ver­hindern«, heißt es aus der Partei. Rajoy hingegen hält eine Wiederwahl Puigdemonts und die Möglichkeit, dass dieser aus dem Exil in Brüssel regiere, für »absurd«. Rajoy  sagte, das wäre so, als würde er aus Lissabon regieren. Ein Treffen auf »neutralem Boden«, das ihm der vor der spanischen Justiz Flüchtige angeboten hatte, schlug der Ministerpräsident aus.

Am 17. Januar soll auf Weisung Rajoys die konstituierende Sitzung des Regionalparlaments stattfinden, umstritten ist der Posten des Parlamentspräsidenten. Die Separatisten streben die Wiederwahl von Carmé Forcadell (ERC) an, ­Ciutadans beanspruchen das Amt als stärkste Fraktion für sich. Innerhalb von zehn Tagen müsste nach der konstituierenden Sitzung ein neuer Regionalpräsident gewählt werden.

Doch derzeit ist die Teilnahme von mindestens fünf Abgeordneten an der Parlamentssitzung fraglich. Puigdemont hält sich in Brüssel auf, weil ihm in Spanien unter anderem wegen »Rebellion« und »Aufruhr«eine Haftstrafe bis zu 55 Jahren droht. Andere wie Oriol Junqueras, der Spitzenkandidat der ERC, und der Listenzweite von JxCat, Jordí Sánchez, befinden sich wegen entsprechender Anklagen nahe Madrid in Untersuchungshaft. Über Junqueras’ weiteres Schicksal soll am 4. Januar entschieden werden. Die Verhaftung droht auch weiteren Abgeordneten von CUP, ERC und JxCat. All das könnte die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse verändern.

Die CUP, die bei den Wahlen Verluste verbuchen musste, wird Puigdemont wohl erneut eine Mehrheit beschaffen und dürfte weiterhin auf ­einen kompromisslosen Kurs in Richtung Sezession drängen. Für den CUP-Spitzenkandidaten Carles Riera war das Ziel der Wahl ohnehin, »sie zu einer kons­tituierenden für die am 27. Oktober für unabhängig erklärte Republik Kata­lonien zu machen«, wie er der Jungle World sagte.
Das grundlegende Problem, der scharfe Konflikt über die Zukunft der Region, sei weit von einer Lösung ­entfernt, sagte der Ökonom Santiago Carbó der Jungle World. »Auch die ­Neuwahlen waren nur ein akut und kurzzeitig wirksames Schmerzmittel. An der Oberfläche hat sich das Problem gelindert, darunter brodelt es gewaltig.« Man stehe nun »vor einem Scherbenhaufen«, resümiert er. »Es wird eine unendliche Geschichte.« Im neuen Jahr dürfte, so Carbó, der kata­lanische Konflikt Gesamtspanien mindestens ein halbes Prozent des Brutto­inlandsprodukts kosten.