Ein Dönerverbot wäre ein Sieg des deutschen Zwangscharakters

Döner – die Freiheit nehm’ ich mir

Warum der Genuss der Fladenbrote mit Grillfleisch zugleich ein Statement gegen zwanghafte Sauberkeitsvorstellungen ist.

Angela Merkel hat alles richtig gemacht. Kaum war 1989 die Mauer gefallen, ­investierte sie ihr erstes Westgeld nicht wie die Mehrheit der ehemaligen Insassen der DDR in schlichte Bananen, sondern in einen echten Döner. 4,50 DM legte sie dafür auf den Tisch und erinnert sich noch heutzutage gerne daran. Für die spätere CDU-Vorsitzende war damals der Genuss des marinierten Grillfleischs in einem getoasteten ­Fladenbrot in Kombination mit frischen Salaten, exotischen Gewürzen und ­raffinierten Saucen eine Initialbegegnung mit dem anderen und zugleich Nichtdeutschen, die gewiss mehr Sinnlichkeit und Lebensfreude beinhaltete, als der gesamte in der DDR gepredigte proletarische Internationalismus. Vielleicht trug ja auch dieser Döner dazu bei, dass sie 2015 die Grenzen für Flüchtlinge öffnen ließ. Darüber ließe sich gewiss trefflich spekulieren.

Wer dem Döner das Existenzrecht ent­ziehen will, hat pathologische Vor­stellungen von Reinheit und Volkshygiene.

Merkel blieb dem Döner treu verbunden. Einmal pro Woche gönnte sie sich einen. Und zwar fast immer im Café Motiv in Berlin-Mitte. »Sie ist begeistert von unserem Kalbsfleisch, da braucht sie keine Soße«, berichtete Inhaber Ahmet Şahin 2004 stolz der B.Z. und sagte ferner: »Unser Fleisch ist besonders saftig und gut gewürzt. Das mögen Politiker.« Doch offensichtlich nicht alle. Nun wollen einige sozial­demokratische und grüne EU-Abgeordnete dem Döner an den Kragen. Es geht um eine Gesetzeslücke, die den Einsatz von Phosphaten in verzehrfähigen Lebensmitteln regelt – wohlgemerkt nur in garen. Man hatte in Brüssel schlichtweg verpennt, entsprechende Grenzwerte auch für rohes und tiefgefrorenes Fleisch zu nennen. Und da die meisten Dönerspieße in gefrorenem Zustand die Imbisslokale erreichen, dürften sie der Theorie nach kein ­zugesetztes Phosphat enthalten und gehörten eigentlich verboten. So wie beispielsweise in Tschechien.

Zwar soll eine Entscheidung erst Ende 2018 nach einer erneuten Prüfung möglicher Gesundheitsgefahren durch Phosphate erfolgen. Doch seither droht dem beliebten Grillspieß Schlimmes. Nicht wenige beschwören bereits seinen Untergang. Genau wie Pegida- und AfD-Anhänger »Merkel muss weg!« brüllen, freuen sich manche Feinde des artfremd marinierten Fleischs bereits auf ein mögliches Veto aus Brüssel und damit das Ende für Tausende Imbissbuden. Denn nur vordergründig geht es ihnen dabei um gesunde Ernährung – ansonsten müssten sie, angefangen von der Thüringer Bratwurst bis hin zum bayrischen Leberkäse, weitere gleichfalls mit Phosphaten sowie ­qualitativ fragwürdiges Fleisch und reichlich Fett enthaltende Fastfood-Gerichte verbieten. Allenfalls der US-amerikanische Hamburger steht bei den Verbotsbefürwortern noch weiter oben auf der Abschussliste. Wer also dem Döner das Existenzrecht entziehen will, hat vor allem eines: pathologische Vorstellungen von Reinheit und Volkshygiene.

Genau deshalb konnten in der Vergangenheit in regelmäßigen Abständen bösartige Gerüchte so schnell die Runde machen: Mal war die Rede von Sperma, selbstverständlich von türkischen oder arabischen Männern, das in den Dönersaucen angeblich immer wieder gefunden werde. Dann sollte ein Gammelfleischskandal den Liebhabern des orientalischen Grillfleischs den Genuss verderben. Auch wurde der Döner zum Sinnbild der Verschmutzung. 2009 untersagten beispielsweise in Augsburg CSU und SPD gemeinsam den Verkauf von Getränken und Speisen zwischen ein und fünf Uhr. Auf diese Weise wollte man die Freunde der Nacht disziplinieren und für mehr Ordnung sorgen. Umgangssprachlich wurde die Maßnahme ­»Dönerverbot« genannt. Ist das Grillfleisch im Brotfladen weg, ginge es also wieder sauber zu, so die Annahme.

Genau deshalb widerspricht der ­Döner diametral dem deutschen Zwangscharakter. Und natürlich steht er für Genuss. Denn die Vorstellung, nach reichlich Alkohol nur in eine fettige Bratwurst oder einen labbrigen Leberkäse als Gute-Nacht-Snack beißen zu können, ist keine schöne. Ohne »mit alles« oder »mit Scharf« will man ­einfach nicht schlafen gehen.