Das vor dem Staatsbankrott stehende Venezuela wird immer stärker von Russland und China abhängig

Bis zum Kollaps

Der Bolivarischen Republik Venezuela droht die Staatspleite. Die Regierung ist immer stärker von russischer und chinesischer Unterstützung abhängig.

Zumindest die Gastfreundschaft funktioniert noch in Caracas. Als am Montag vergangener Woche etwa 100 private Investoren aus aller Welt in der venezolanischen Hauptstadt vorstellig wurden, um über die Rückzahlungsmodalitäten der etwa 50 bis 60 Milliarden US-Dollar an Schulden zu verhandeln, die sich mittlerweile vor allem bei US-amerikanischen Hedgefonds auftürmen, gab es bei den kaum halbstündigen Verhandlungen zwar kein Ergebnis, aber Geschenktüten mit Kaffee und Schokolade für alle Teilnehmer. Lange wird die Regierung ihren »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« damit aber nicht mehr vor der Pleite retten können. Mit insgesamt über 150 Milliarden US-Dollar steht das Land mit den größten Erdölreserven der Welt mittlerweile in der Kreide.

Angesichts einer gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent geringeren Wirtschaftsleistung spricht wenig dafür, dass diese Schulden oder die fälligen Zinszahlungen zukünftig bedient werden könnten. Die Devisenreserven belaufen sich auf lediglich zehn Milliarden Dollar, die Inflationsrate erreichte im Sommer Vierstelligkeit, Anfang November stellte Staatspräsident Nicolás Maduro den 100 000-Bolivar-Schein vor. Die Löhne im öffentlichen Dienst werden, wenn überhaupt, mit monatelangen Verspätungen gezahlt, die öffentliche Infrastruktur ist längst in vielen Bereichen zum Erliegen gekommen und die Verschuldung der öffentlichen Haushalte nimmt immer dramatischere Züge an. Für die Absicherung venezolanischer Staatsanleihen werden mittlerweile 40 Prozent des Nennwerts verlangt – dreimal so viel wie für griechische Papiere.

Die Inflationsrate erreichte im Sommer Vierstelligkeit, Anfang November stellte Staatspräsident Nicolás Maduro den neuen 100 000-Bolivar-Schein vor.

Längst ist das einst von vielen Linken gefeierte Projekt des nach seinem Gründer Hugo Chávez benannten Chavismus gescheitert (Jungle World 19/2017). Und dies nicht nur ökonomisch. Während die alte Oligarchie sich durch ihre weitgehenden Importmonopole bereichern kann – was sie nicht davon abhielt, politisch gegen die Regierungen unter Hugo Chávez und Maduro Sturm zu laufen –, macht die neue »Bolibourgeoisie« der Aufsteiger aus dem Umfeld der Regierungspartei PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) alles zu Geld, was nicht niet- und nagelfest ist. Vizepräsident Tareck El Aissami steht auf einer Sanktionsliste der USA; ihm wird vorgeworfen, in Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Kartell »Los Zetas« die Drogenrouten in die USA zu organisieren.

Während dies eher eine Ausnahme darstellen dürfte, wirft der gerade in den USA anlaufende Prozess gegen die beiden venezolanischen Geschäftsleute Roberto Rincón und Abraham Shiera ein Licht auf die gängigeren Praktiken privater Bereicherung. Die beiden sind Besitzer Dutzender Firmen und mittlerweile Milliardäre. Jahrelang haben sie mit hochrangigen Mitarbeitern des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA, der für 96 Prozent der Exporteinnahmen Venezuelas verantwortlich ist, zusammengearbeitet und überhöhte Rechnungen gestellt. Das Geld aus der Erdölförderung landete auf ihren Konten. Nach den Zahlen von Transparency International sollen die alten und neuen Oligarchen des Landes am Orinoco auf diese und ähnliche Weise mittlerweile 300 Milliarden US-Dollar auf internationalen Konten gebunkert haben - ein gutes Polster für die Zeit nach dem endgültigen Scheitern des bolivarischen Modells.

Der Glaube, mit den Öleinnahmen einen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« aufbauen zu können, hat sich längst blamiert. Übrig geblieben ist eine Kleptokratie, während die sozialpolitischen Investitionen immer weiter sinken. Die Versorgungskrise ist allgegenwärtig: 75 Prozent der Bevölkerung sollen im vergangenen Jahr durchschnittlich acht Kilogramm abgenommen haben.

Hilfe für die sich immer verzweifelter an die Macht klammernde Regierung – weniger aber für die darbende Bevölkerung – ist derzeit nur aus Russland und eventuell aus China zu erwarten. Vor allem mit der russischen Regierung unterhält die Regierung bereits seit Jahren intensive Kontakte. Spätestens seit dem Rüstungsembargo, das die USA 2006 gegen die damalige Regierung unter Chávez ausgesprochen hatten, war Russland zum wichtigsten Verbündeten der Regierung in Caracas geworden. Für vier Milliarden US-Dollar hatte Chávez die Armee seines Landes mit russischen Waffen ausrüsten lassen. Bezahlt wurden sie, wie mittlerweile im venezolanischen Außenhandel fast üblich geworden, mit Erdöl.

Damit einher ging auch die enge logistische und finanzielle Verbindung der beiden staatlichen Ölkonzerne PDVSA und Rosneft, die nun eine neue Bedeutung bekommen könnte. Rosneft hilft immer öfter aus, wenn der Regierung Maduros das Geld ausgeht – und sichert sich im Gegenzug immer größere Anteile an den Ölreserven im Orinoco-Delta. Bereits im vergangenen Jahr hatte sich der russische Staatskonzern für 1,5 Milliarden Dollar bei der PDVSA-Tochter Citgo, einem in den USA angesiedelten Raffineriekonzern, dem ein weites Netz von Tankstellen gehört, eingekauft. Im April 2017 übernahm Rosneft wiederholt einen Großteil der anhängigen Zahlungen des Regimes und sicherte sich damit ein weiteres Mal Anteile an den Erdölreserven Venezuelas. Derzeit sollen etwa 13 Prozent der Förderung in russischem Besitz sein.

Während für Russland der in steter Gegnerschaft zu den USA stehenden PSUV-Regierung neben ihrer ökonomischen auch politische Bedeutung zukommt, sieht man dies in China offenbar pragmatischer. Gegen die USA gerichtete Solidaritäts- und Freundschaftsbekundungen, wie sie vor allem zwischen Chávez und Putin zur Gewohnheit geworden waren, dürften von der chinesischen Regierung auch zukünftig nicht zu erwarten sein. So unspektakulär wie in der chinesischen Außenpolitik üblich hatte der größte Gläubiger Venezuelas – die Schulden sollen sich auf mindestens 23 Milliarden US-Dollar belaufen – gemeinsam mit Russland einen Deal mit der Regierung Maduro geschlossen, der in den kommenden sechs Jahren die Zinszahlungen auf ein »minimales Maß« reduzieren solle, wie es in der Erklärung hieß, um Maduro innen- und außenpolitischen Spielraum zu geben. Dass dies mit stabilen und vermutlich verbilligten Erdöllieferungen, auf die die Volksrepublik so dringend angewiesen ist, einhergeht, wurde zwar nicht bestätigt, darf aber getrost angenommen werden.

Wie auch immer die innenpolitischen Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen der venezolanischen Oligarchie ausgehen, die Frage dürfte am Ende darauf hinauslaufen, ob das Land ein von den USA oder Russland respektive China abhängiger Rohstofflieferant sein möchte. Sich für die zweite Variante zu entscheiden, ist das letzte erbärmliche Glücksversprechen des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«.