Der EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten liegt in weiter Ferne

Nur keine Eile

Der Beitritt der Staaten des Westbalkans zur EU wird immer wieder beschworen – mehr aber auch nicht.
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Irgendwo da unten rechts auf der Europakarte befinden sich sechs Länder, die noch nicht Mitglied der Europäischen Union sind. Dort trifft der Besucher noch auf die guten alten Gewohnheiten eines »Europa der Vaterländer«, wie die Rechtspopulisten zu sagen pflegen. Alle paar Kilometer steht dort ein Schlagbaum inklusive einiger meist schlechtgelaunter Grenzbeamter, die Einsicht in die Reisedokumente fordern. Manchmal schauen sie etwas länger in den Pass und wollen zudem die Fahrzeug- und die Versicherungspapiere sehen. Selbst wenn alles in Ordnung ist, geben sie einem manchmal zu verstehen, dass der gesamte Prozess durch eine milde Gabe beschleunigt werden könnte. Kleiner Tipp für Reisende: Nicht gleich mit dem Fuffi wedeln, kleine Probleme lassen sich oft schon mit zehn Euro beheben.

Wenn man den Schlagbaum dann passiert hat, kauft man sich eine neue Sim-Karte, denn das Telefonieren aus den Balkanländern in die EU ist sehr teuer. Auch das Bargeld muss nach Grenzübertritten gegen Gebühr gewechselt werden, so dass man sich endlich mal wieder im Kopfrechnen üben kann. In Bosnien-Herzegowina wird sogar noch mit Mark bezahlt. Verbunden mit dem dort virulenten ethnonationalistischen Hass macht dies das Land sicherlich zu einem lohnenden Reiseziel für jeden AfD-Sympathisanten.

Trotz dieser beschaulichen traditionellen Verhältnisse wollen die meisten Bürger Bosnien-Herzegowinas, Montenegros, des Kosovo, Albaniens und Mazedoniens in die EU. In Serbien halten sich die Lager der EU-Gegner und EU-Befürworter die Waage, weil manche Serben noch etwas nachtragend wegen der Nato-Bombardierungen von 1999 sind, an denen sich auch die führenden EU-Staaten beteiligt haben.

Zwar wurde in Thessaloniki 2003 ein Papier unterschrieben, in dem die Staats- und Regierungschefs der EU den Balkanländern zusichern, dass ihre Zukunft in der EU liegt. Aber in Brüssel gedenkt man derzeit nicht wirklich, sechs neue Nettoempfänger aufzunehmen, während über den britischen EU-Austritt verhandelt wird. Auf dem Westbalkan befürworten die Regierungschefs zwar den EU-Beitritt, wollen ihn aber nicht wirklich. Schließlich müsste man den Staat dann demokratisieren, aufhören, die Presse zu gängeln, und gegen die korrupten Machenschaften vorgehen, denen man selbst vorsteht – alles nicht besonders attraktiv für die halbautokratisch Regierenden vom Balkan.

Trotzdem wird jedes Jahr eine Konferenz abgehalten, zu der die führenden Staats- und Regierungschefs aus der EU und den Westbalkanstaaten eingeladen werden. Vergangene Woche fand dieses Treffen, bei dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zugegen war, in Triest statt. Bei der Konferenz ging es vorrangig um Wirtschaftsprojekte, deren Realisierung fraglich ist. Die Deutschen bleiben ihren Traditionen dabei treu und setzen sich für den Bau von Autobahnen ein.

Für EU-Regierungschefs ist die Westbalkan-Konferenz wie der Besuch bei den Alkoholikeronkeln mit der Sliwowitzfahne. Eigentlich möchte man nichts mit ihnen zu tun haben, aber die Befürchtung, dass sie irgendwann wieder ausrasten wie in den neunziger Jahren, zwingt einen dann doch dazu, irgendwie zu intervenieren. Zudem gibt es Befürchtungen, dass Länder wie Saudi-Arabien, die Türkei und Russland auf dem westlichen Balkan an Einfluss gewinnen, wenn die EU sich aus der Region zurückzieht. Aber keine Sorge, die Bewohner des Westbalkans werden schon in die EU kommen. Wenn ihre Länder nicht irgendwann Mitglied werden, dann nehmen sie eben den Reisebus.