Die Bundeswehr wirbt intensiv um neue Rekruten

Kampfeinsatz nicht ausgeschlossen

Am Samstag fand zum dritten Mal deutschlandweit der »Tag der Bundeswehr« statt. Die Armee wirbt mit Militärgerät zum Anfassen und Lollies für Kinder um Nachwuchsrekruten.

Ein geöffneter Sarg steht direkt vor dem Eingangstor der Kaserne und lädt zum »Probeliegen« für zukünftige Soldaten der Bundeswehr ein. Eine Handvoll Menschen hält vor der Marineunteroffizierschule im schleswig-holsteinischen Plön eine ganztägige Mahnwache ab. Viel Zuspruch erhalten die Demonstranten nicht, kaum jemand bleibt stehen und hört sich die Argumente gegen die Bundeswehr an. Auf dem Kasernengelände ist nichts mehr zu spüren vom Protest direkt vor dem Eingang.

Zum »Tag der Bundeswehr« am Samstag standen die Tore für alle offen. Auf dem gesamten Gelände konnte man sich frei bewegen. Zum dritten Mal bereits veranstaltete die Bundeswehr diesen Tag. An insgesamt 16 Standorten, verteilt über ganz Deutschland, war ein Blick hinter die Kulissen möglich. ­Jedes Jahr werden der Öffentlichkeit andere Kasernen präsentiert, Plön ist 2017 die einzige in Schleswig-Holstein.

»Wer meint, wir könnten nicht eine Million Flüchtlinge integrieren, sollte mal in den Libanon fahren.« Fregattenkapitän Achim Winkler

»Es geht uns in erster Linie um Transparenz. Wir wollen der Bevölkerung zeigen, was wir machen. Darüber hinaus, auch das muss man ehrlich ansprechen, geht es auch um die Nachwuchswerbung«, sagt Fregattenkapitän Achim Winkler, der als Presseoffizier den Tag begleitet. Die Marine hat an diesem Tag mächtig aufgefahren. Da kann man Fallschirmspringer genauso in Aktion sehen wie Kampfschwimmer. Würstchenbuden, Glücksräder und Musikaufführungen runden das Bild eines Volksfestes ab.

Erinnerungen an die achtziger Jahre werden wach, als es schon einmal eine Charmeoffensive der Armee gab und man an Tagen der offenen Tür die Kasernen besuchen konnte. Die Kampagne war nahezu eingeschlafen, als 2015 der jährliche »Tag der Bundeswehr« eingeführt wurde – mit eigenem Werbetrailer, eigenem Logo und jeder Menge Werbebroschüren. In den vergangenen Jahren zeigte sich die Bundeswehr hochzufrieden mit den Besucherzahlen. Zehntausende strömten in die Kasernen.

An diesem Samstag in Plön sind die Verantwortlichen nicht ganz so zufrieden – nur rund 4 000 Besucher fühlten sich von dem Event angezogen. In der Regel sind es Familien, die über das Gelände schlendern. Im Gespräch mit den Soldaten wird deutlich, dass die Bundeswehr mittlerweile durch und durch eine Armee im Einsatz ist. »Ich habe mich für zwölf Jahre verpflichtet und möchte mich zum Fluggerätemechaniker ausbilden lassen. Bei der ­Marine würde ich den Hubschrauber ›MK 41 Seaking‹ warten, der als Auf­klärer eingesetzt wird«, erzählt ein junger Bootsmann namens Hildebrand. Auch sein Vater habe ihm zur »eher sicheren Marine« geraten, beim Heer ­dagegen könne man schnell in einen Kampfeinsatz im Ausland geschickt werden. Hildebrands Sandkastenfreund sei in Mali im Einsatz gewesen. Immer wenn er ihn treffe, lägen sie sich heulend in den Armen.

Ein anderer Soldat namens Seifert steht neben »seiner« Drohne vom Typ »Luna«, die in einer Höhe von bis zu fünf Kilometern operiert. Das Fluggerät erinnert ein wenig an die V1-Marschflugkörper der Wehrmacht, ist jedoch unbewaffnet. Er sei zuletzt rund sechs Monate im malischen Gao stationiert gewesen, sagt Seifert. »Wir haben für die Uno Aufklärungsflüge absolviert. Dabei ging es nicht um militärische Einsätze, sondern um die Erkundung der Infrastruktur, Handelsbeziehungen und das Geschehen auf dem örtlichen Markt«, berichtet er von seinem Einsatz. Die Uno habe überprüfen wollen, ob ihre Hilfslieferungen an der richtigen Stelle ankommen. Auch die Luna-Drohnen kommen nicht immer an der richtigen Stelle an: Die Bundeswehr soll bereits mehrere Dutzend der insgesamt 142 Geräte in ihrem Besitz durch Abstürze verloren haben. 2004 soll es über Kabul zu einem Beinahezusammenstoß mit einem Passagierflugzeug gekommen sein.

Der Oberstabsgefreite Uwe Rahlf war in Mali mit seinem gepanzerten Fahrzeug regelmäßig auf Patrouille. »Die Bevölkerung ist an die Präsenz ausländischen Militärs gewöhnt. Vor allem die Kinder kamen immer neugierig auf uns zu und wollten gern etwas zu trinken oder essen haben. Teilweise wurden wir aber auch von bewaffneten Gruppierungen in Pickups überholt. Die haben immer freundlich gewunken. ­Bedroht habe ich mich nicht gefühlt. Die Feindkräfte waren eher mit sich selbst beschäftigt«, erzählt Rahlf. Neben seinem Panzerfahrzeug zeigen drei »Aufklärer« mit hippen Undercutfrisuren, wie man sich im Wald tarnt und ein Lager baut.

Beim Rundgang über das Kasernengelände und durch die einzelnen Gebäude fällt auf, dass es zwar viele militärische Andenken an den Wänden gibt, keines jedoch mit Bezug zur Wehrmacht. Jüngst war die Bundeswehr in den Verdacht geraten, noch immer ein unkritisches Verhältnis zu ihrer Vorgängerin zu unterhalten. Sollte es in Plön entsprechende Devotionalien gegeben haben, sind sie inzwischen entfernt worden.

Fregattenkapitän Bernd Ufermann, Kommandeur des Marinestützpunktkommandos Eckernförde, und Oberstleutnant zur See Kirchmeier können den ganzen Trubel nicht so ganz nachvollziehen. »Wie überall in der Gesellschaft haben wir es auch in der Bundeswehr mit einigen wenigen verirrten Extremisten zu tun. Wir haben uns jetzt einen Überblick verschafft und bei uns nichts Anrüchiges gefunden«, sagt Ufermann. Überhaupt habe er seit seinem Eintritt in die Marine 1977 noch nie rechtsgerichtete Soldaten getroffen. Kirchmeier findet es richtig, genauer hinzuschauen. »Es ist immer gut, von außen mal einen Impuls zu erhalten. Man nimmt das manchmal im Alltag gar nicht wahr, dass ein Bild eventuell unpassend sein könne«, sagt er.

Fregattenkapitän Ufermann war in den neunziger Jahren in Bosnien ebenfalls bereits im Auslands­einsatz.
Überhaupt trifft man nur wenige Soldaten, die nicht mindestens schon ­einmal in einem Auslandseinsatz waren. Sie alle bestätigen, dass sich die Rolle der Bundeswehr seit den neunziger Jahren deutlich verändert hat, von einer reinen »Übungstruppe« zu einer Armee im Einsatz. »Das muss man den Interessenten auch ganz ehrlich sagen: Es kann sein, dass sie an einem Einsatz teilnehmen müssen«, sagt Winkler. Er ist seit 40 Jahren dabei und hat den Umbau der Bundeswehr von einer Übungs- in eine Einsatzarmee miterlebt. Auf dem Balkan, in Afghanistan und im Libanon sei er bereits eingesetzt worden. »Man erhält dadurch einen anderen Blick. Wir leben in Deutschland auf einer Insel der Glückseligkeit. Wer meint, wir könnten nicht eine Million

Flüchtlinge integrieren, sollte mal in den Libanon fahren«, so Winkler. Auf dem Sportplatz springen derweil zum wiederholten Mal die Fallschirmspringer aus einem Hubschrauber ab. Bootsmann Hildebrand schaut begeistert zu und würde auch selbst gern häufiger mitfliegen. Unter dem Applaus der Zuschauer landen die drei Fallschirmspringer exakt in dem ein­gezeichneten Areal. Die Show bietet einen Hauch von Abenteuer, tollen ­Maschinen und Adrenalin – genau das, womit man viele junge Männer begeistern kann.

Über den offenen Sarg vor der Kaserne können die Wachsoldaten nur lachen. »Sie haben eben sogar Kinder probeliegen lassen – wie makaber«, sagt ein Wachsoldat. Dass seine Kameraden an die Kinder Lollies verteilen und sie probehalber auch in den bewaffneten Panzerfahrzeugen Platz nehmen lassen, scheint für ihn dagegen kein Problem zu sein.