Im Nahen Osten stehen neue Konflikte bevor

Konflikte um die Grenzregionen

Bereits vor dem absehbaren militärischen Sieg über den »Islamischen Staat« zeichnen sich die Folgekonflikte im Nahen Osten ab. Die USA wollen die Ausdehnung des iranischen Einflussgebietes nicht länger tolerieren. Saudi-Arabien freut sich über die Unterstützung der neuen US-Regierung.

Vielleicht hatte man ihnen erzählt, dass die USA einer direkten Konfrontation mit iranischen Interessen in Syrien stets ausgewichen seien. Die deutlichen Warnungen der US-Truppen, sich vom ehemaligen Grenzübergang am Dreiländereck zwischen Syrien, Jordanien und dem Irak fernzuhalten, ignorierten die schiitischen Milizionäre jedenfalls. Sie näherten sich Mitte Mai dem mitten in einer unwirtlichen Staubwüste gelegenen syrischen Ort al-Tanf. Schließlich wurde der Konvoi von US-amerikanischen Fliegern bombardiert.

Falls das Ganze ein Test der iranischen Revolutionsgardisten war, die den Oberbefehl auch über diese irakisch-schiitische Miliz innehaben, um die neue Linie der US-Politik unter Präsident Donald Trump zu erkunden, war die Antwort jedenfalls eindeutig: Wie bereits bei dem Marschflugkörperangriff auf einen Militärflughafen der syrischen Armee Anfang April hat die US-Regierung deutlich gemacht, dass die Tage vorbei sind, in denen das iranische Regime unter dem tatenlosen ­Zusehen der US-Regierung in der Region tun konnte, was es wollte.

Was allerdings das Ziel der neuen US-Außenpolitik ist, ist noch unklar – wahrscheinlich weiß das Trump selbst noch nicht. Aber dass gravierende Umwälzungen in der Region ihren Anfang genommen haben, ist nicht mehr zu übersehen.

Die Strategen des Iran arbeiten an einen sicheren Landkorridor zwischen der iranischen Grenze und dem Mittelmeer. Sie brauchen diese Route zur Absicherung ihres schiitisch dominierten Hegemoniegebiets.

Der Konflikt um den ehemaligen ­syrisch-irakischen Grenzübergang al-Tanf ist dafür ein Beispiel. US-ameri­kanische und britische Kommandotruppen unterhalten dort ein Aus­bildungslager für syrische Kämpfer, die in letzter Zeit erfolgreich gegen die Reste des islamistischen »Kalifats« in der südlichen syrischen Wüste vor­gegangen sind. Auch Jordanien unterstützt diese Gruppen, die einen Schutzstreifen gegen Jihadisten entlang der jordanischen Grenze schaffen. Das nächste Ziel dieser syrischen Kämpfer liegt in Richtung der Stadt Abu Kamal im syrisch-irakischen Grenzgebiet. Diese Region war bereits nach dem Einmarsch der USA in den Irak 2003 von großer strategischer Bedeutung, verlief hier doch die von Bashar al-Assads ­Geheimdiensten organisierte Hauptversorgungsroute für die Jihadisten im Irak. Es ist zugleich das Rückzugsgebiet der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS), aber auch Stellungen der Assad-Truppen wie in Teilen der Großstadt Deir ez-Zor befinden sich hier; ­zudem die kümmerlichen syrischen Erdölvorräte, die für das syrische Regime wegen seiner desolaten Finanzlage dennoch von zentraler Bedeutung sind.

Der Luftangriff bei al-Tanf gehört schon zu den Folgekonflikten, die durch den absehbaren militärischen Sieg über den IS ausgelöst werden. Die vom IS seit 2014/15 kontrollierten Territorien im Irak und Syrien waren eine Zeitlang wie im Auge des Zyklons von den anderen kriegerischen Akteuren umgeben, die sich den Kämpfen untereinander widmen konnten, ohne das geographische Zentrum der Konflikt­region mit seiner vornehmlich sunnitischen Bevölkerung besetzen zu müssen.

Doch nun ist die Frage akut geworden, wer diese Gebiete in Zukunft kontrollieren wird. Insbesondere der Kontrolle der Grenzen in der Region kommt entscheidende Bedeutung zu, nachdem man nicht zuletzt im Westen etwas zu voreilig und fast dankbar die IS-­Propaganda von der Überwindung der Grenzziehung des Sykes-Picot-Abkommens von 1916 nacherzählt hatte. Einfluss auf die Zukunft der Region aber wird haben, wer die alte Grenze wieder beherrscht. Dabei schien diese kaum noch Bedeutung zu haben – die von US-Truppen bombardierten irakischen Milizionäre unter iranischem Oberbefehl stießen ja keineswegs aus dem Irak in Richtung al-Tanf vor, sondern kamen aus Syrien.

Für das iranische Regime steht hier viel auf dem Spiel – es geht um imperiale Geopolitik. Die Strategen der Islamischen Republik Iran arbeiten an einem sicheren Landkorridor zwischen der iranischen Grenze und dem Mittelmeer. Sie brauchen diese Route zur ­Absicherung ihres schiitisch dominierten Hegemoniegebiets zwischen Bagdad, Damaskus und dem Libanon. Die neuerliche US-Präsenz kam für sie etwas zu früh. Das starke Engagement der USA bei den syrischen Kurden der PYD hat den Iran vermutlich trotz seiner bisher meist guten Zusammenarbeit mit der PKK dazu gebracht, seinen anvisierten Landkorridor weiter nach Süden zu verlegen – wo nun der Vorfall bei al-Tanf eindeutig gezeigt hat, dass die USA eine iranische Kontrolle der Hauptstraßenverbindung zwischen Bagdad und Damaskus nicht tolerieren werden.

Der Iran versucht es aber weiter. Irakische Milizen sprachen bereits von ­einem »Ramadan-Wunder«, als ihnen die Eroberung einiger Dörfer nördlich der Stadt al-Ba’aj auf irakischer Seite der Grenze gelang. Nur auf syrischer Seite müssen die Verbündeten des Iran noch an die Grenze herankommen. Gleichzeitig hat das iranische Regime über die von ihm kontrollierten irakischen Milizen bereits militärischen Widerstand gegen ein weiteres mit einer strategisch wichtigen Straße verbundenes Projekt angekündigt. Es geht um die Straßenverbindung zwischen Bagdad und Amman, eine ehemals von Saddam Hussein auf irakischer Seite zur Autobahn ausgebaute Verbindung, die vor Bagdad die sunnitischen Regionen durchquert. Die USA haben mit dem irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi eine Vereinbarung zur Reparatur und Wiedereröffnung der Straße getroffen.

Es geht im Nahen Osten nun darum, Einflusszonen abzustecken und sich auf die nächste Konfliktrunde vorzubereiten. Der Staatsbesuch Donald Trumps in Saudi-Arabien war in diesem great game, das vor allem die Saudis und der Iran spielen, ein vorläufiger Höhepunkt. Nach jahrelangen Misserfolgen im Konflikt mit dem iranischen Erzfeind und dem als Demütigung empfundenen Umgang der vormaligen US-Regierung unter Barack Obama mit ihnen haben die Saudis die Initiative zurückgewonnen. Trump hat sie als die arabisch-islamische Führungsmacht bestätigt. Wie das bei seinem Besuch vereinbarte gigantische Waffengeschäft zeigt, kann Saudi-Arabien wieder mit der ganzen Loyalität der USA rechnen.

Diese Rückversicherung wird sich bald auch im syrischen Krieg und in den weiteren Geschehnissen im Irak niederschlagen. Kaum zufällig dürften gerade Gerüchte aufgekommen sein, dass der Iran seine diversen schiitischen Milizen in der Region unter eine festere organisatorische Leitung stellen will. Auch die Finanzierung der Milizen in Syrien soll Assad ganz in iranische Hände gelegt haben. Der nächste Nahost-Krieg ist längst in Sicht.