Gegen Jutta Ditfurth, aber mit dem RCDS – die NRW-Linksjugend auf schiefer Bahn

Die Linksjugend kuschelt mit Christdemokraten

Der nordrhein-westfälische Landesverband der Partei »Die Linke« hat bereits mehrfach für antisemitische Skandale gesorgt. Insbesondere die Jugendorganisation »Solid« fiel in der Vergangenheit negativ auf. Doch mittlerweile regt sich Widerstand.

Seit kurzem gibt es die »Shalom AG NRW« im Jugendverband »Solid« der nordrhein-westfälischen Linkspartei. Dass sich Mitglieder der Organisation gegen Antisemitismus und Antizionismus aussprechen, ist keineswegs selbstverständlich. Rufe wie »Juden ins Gas«, Hitlergrüße, geworfene Gegenstände und ein versuchter Angriff auf eine Synagoge – das war beispielsweise die erschreckende Bilanz, als »Die Linke« und ihr Jugendverband vor knapp drei Jahren in Essen eine Kundgebung gegen die »Bombardierung des Gaza-Streifens« veranstalteten. Nach der Demonstration wurde zudem eine proisraelische Gegenkundgebung angegriffen.
Die Gründerinnen und Gründer der »Shalom AG NRW« fühlten sich durch solche Vorfälle veranlasst, sich stärker zu engagieren. »Wir wollen weiterhin eine Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus innerhalb der ›Solid‹ bieten, also den Aufbau einer progressiven Linken ermöglichen«, formuliert die AG ihre Ziele.
Anfang vergangener Woche beantragte die AG auf der Landesvollversammlung (LVV) des Jugendverbandes in Essen vergeblich eine offizielle An­erkennung und finanzielle Unterstützung. Aus der Einladung zur LVV geht hervor, dass mehrere Ortsgruppen von Solid die Anerkennung eines offiziellen Landesarbeitskreises »Shalom« beantragten. In einem weiteren Antrag forderten sie von der derzeitigen Landessprecherin des Jugendverbandes, Nadine Bendahou, die zugleich Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität Duisburg-Essen ist, eine Stellungnahme. Bendahou sollte sich zu ihrer Koa­lition mit konservativ-liberalen Listen im AStA und zu der Ankündigung äußern, die linke Publizistin Jutta Ditfurth im universitären Rahmen nicht mehr als Referentin zuzulassen.
Der Antrag wurde abgelehnt. Als Reaktion auf ihn wurde mit Zweidrittelmehrheit ein Gegenantrag angenommen. Dieser fordert von der Linksjugend Mönchengladbach, in Zukunft keine Vorträge mehr mit Ditfurth und mit dem Publizisten Alex Feuerherdt, der auch Autor der Jungle World ist, zu veranstalten. Auch Bendahou stimmte für den Antrag. Die Begründung: Die beiden Referenten befürworteten den Imperialismus. Außerdem heißt es in dem Beschluss: »Durch die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus verwässern solche Menschen gleichzeitig den Antisemitismusbegriff und relativieren dadurch die Shoah.« Dabei berufen sich die Antragsteller auf den israelischen Wissenschaftler Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv, der behauptet, dass »der Zionismus immer schon am Fortbestand des Antisemitismus in der Welt interessiert« gewesen sei. »Da er sich historisch als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus gebildet hatte, war er dialektisch immer schon mit dem Antisemitismus zweckgerichtet verschwistert«, so Zuckermann.
Auf Nachfrage der Jungle World zu dem Beschluss und zu antisemitischen Ausschreitungen während antizionis­tischer Demonstrationen verwies Bendahou lediglich auf die innerlinken Debatten zum Nahostkonflikt und räumte angesichts der antisemitischen Ausschreitungen in Essen »Fehler bei der Organisation der Kundgebung« ein. So sei zum Beispiel »der Aufruf nicht differenziert genug« gewesen.
Der Historiker Sebastian Voigt, der gemeinsam mit dem Politologen Samuel Salzborn 2011 eine Studie zum Antisemitismus in der Linkspartei publizierte, sieht in den von Solid angeführten Begründungen nicht nur eine historisch falsche Argumentation, sondern auch »ein beliebtes Argument von Antisemiten«, wie er im Gespräch mit der Jungle World sagte. Das Perfide daran sei, dass »hier suggeriert wird, der Zionismus sei mit dem Antisemitismus wesensgleich. Typisch ist es auch, Äußerungen eines israelisch-jüdischen Wissenschaftlers anzuführen, um sich selbst gegen den Vorwurf des Antisemitismus abzusichern.«
Voigt verwies zudem darauf, dass solche Argumentationsmuster nicht zum ersten Mal in der nordrhein-westfälischen Linkspartei Anklang fänden: »Ich erinnere mich an einen Skandal im Jahr 2014: Auf der Homepage des Kreisverbands Duisburg war ein Hakenkreuz zu sehen, das mit einem Davidstern verwoben war. Das ist die bildhafte Darstellung des Arguments der Linksjugend, denn es sagt aus: Durch die suggerierte Wesensgleichheit sei der Zionismus genauso zu bekämpfen wie der Nationalsozialismus.«
Bendahou sah sich auf der LVV auch kritischen Fragen der »Shalom AG« zu ihrer Koalition mit dem konservativen Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und der liberalen Hochschulgruppe (LHG) im AStA der Universität Duisburg-Essen ausgesetzt. Bendahou sagte der Jungle World, dass der ursprüngliche Antrag zwar nicht behandelt worden sei, sie aber in einer Pause Fragen der Antragssteller beantwortet habe. Das bestätigte auch die »Shalom AG«, eine offene Debatte habe es jedoch nicht gegeben. Schließlich sei der ursprüngliche Antrag durch einen Änderungsantrag ersetzt worden, in dem es hieß: »Nadine Bendahou ist nicht als offizielle Vertreterin der ›Linksjugend-Solid NRW‹ in den AStA ein­getreten, sondern als Mitglied der Internationalen Liste UDE.«
Die »Shalom AG« sieht nach den verschiedenen Beschlüssen eine »fehlende Bereitschaft zu kritischen Aus­einandersetzungen mit verbandsschädigendem Verhalten und Ressentiments im Jugendverband«. Die Mitglieder der Gruppe seien enttäuscht »über die fehlende Bereitschaft, das eigene Verhalten und antisemitische Positionen zu reflektieren«. Der offizielle Landesarbeitskreis darf sich derzeit nicht öffentlich äußern. Bendahou sagte, er habe zurzeit kein Recht, »Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, da auf der LVV kein entsprechender Antrag eingegangen ist«. Auch die anderen zwei Landesarbeitskreise dürften derzeit nur verbandsintern auftreten. Die »Shalom AG« hingegen darf sich öffentlich äußern. Sie sagt, kritische Stimmen würden größtenteils diffamiert. Ihre Mitglieder seien als Rassisten, Kriegstreiberinnen oder Spaß­kandidaten abgestempelt worden.
In einer widersprüchlichen Position befindet sich die AStA-Vorsitzende und Linksjugend-Sprecherin Bendahou aber weiterhin. Im Koalitionsvertrag des AStA der Universität Duisburg-Essen einigte die sich als links verstehende Internationale Liste sich mit den anderen Listen darauf, keine Organisationen zu unterstützen, »die im Konflikt mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen«. Der Jungle World sagte Bendahou jedoch, ihre Meinung »als Kommunistin« sei, dass »bürgerliche Staaten durch die Herrschaft des Proletariats abgelöst werden müssen«. Als Körperschaft des öffent­lichen Rechts bewege sich der AStA auf Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – solange es eben bürgerliche Staaten gebe. Sie stehe der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aber kritisch gegenüber.