Erinnerungen an Klaus Behnken

Der Antirenegat

Vom SDS über den März-Verlag zum Zeitungsgründer: Was Klaus Behnken für die Linke bedeutet hat.

Getroffen habe ich Klaus Behnken zum ersten Mal Ende der achtziger Jahre während der Dreharbeiten zum Film »Der zynische Körper« von Heinz Emigholz im »Kumpelnest 3000« in Berlin. Die Rolle des Lektors Roy, den er im Film verkörperte, passte zu ihm. Der schmale, äußerst höfliche Mensch, der mir irgendwann in einer Drehpause vor dem »Kumpelnest« vorgestellt wurde, hatte mit den Machtmachos der K-Gruppen, die einem in einer politisierten Jugend in den Siebzigern überall wie erstarrte Unsympathen über den Weg liefen, nicht das Geringste gemein.
Da stand kein Chef, den die Frage nach der Form des Übergangs von der bürgerlichen zur proletarischen Gesellschaft umtrieb, sondern ein aufmerksam-zurückhaltender Mensch, der in der Sonne auf dem Bürgersteig der Lützowstraße filter­lose Zigaretten rauchte.
Vor dem Hintergrund meiner ungefähren Kenntnis seiner SDS-Geschichte hatte mich das so euphorisiert, dass ich ihn gleich ohne Vor­rede in die Geschichte des Tübinger SDS zurückredete und sehr konkret von ihm wissen wollte, was Günter Maschke für ein Typ gewesen sei: wie der aufgetreten sei, wie der geredet habe, ob das ein Lehrer-, ein Agitator- oder ein echter Intellektuellentyp wie Hans Jürgen Krahl gewesen sei.
Leider könne er mir da nicht helfen, antwortete Klaus darauf so lächelnd wie wissend, da Maschke die BRD bereits vor seiner Tübinger Zeit, 1965, als Totalverweigerer auf der Flucht vor dem Knast verlassen habe. Was er mir aber unbedingt sagen wollte, war, dass er meine Fragen alle für unpassend und falsch hielt. Tatsache war für ihn, dass Maschke auf seinem langen Marsch vom Tübinger SDS über Kuba zum Carl-Schmitt-Epigonen und offensiven Apologeten der deutschen Geschichte geworden war. Maschke, für Jürgen Habermas der Renegat der Achtundsech­ziger überhaupt, hatte nach seiner Wende zu Carl Schmitt mit dem ­Nationalsozialismus und den Folgen kein Problem mehr. Klaus Behnken aber schon und das nicht erst seit gestern.
Das machte ihn zum exemplarischen Antirenegaten, der das »rote Jahrzehnt« von 1967 bis 1977, wie Gerd Koenen es nannte, ohne nachgereichten Verrat an seiner Grund­intention überleben ließ. Und wie er das gemacht hat, das lässt sich konkret anhand geschichtlicher Daten zeigen.
In Tilman Fichters und Siegward Lönnendeckers »Geschichte des SDS« taucht der Name »Klaus Behnken (Tübingen)« in einer der letzten Fußnoten im Kapitel »Die Selbst­auflösung« auf. Klaus wurde auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS vom 17. bis 19. November 1968 neben anderen in den provisorischen Bundesvorstand des SDS gewählt. Die in Frankfurt und Hannover ausgetragene Konferenz ist vor allem wegen ihres Chaos berühmt geworden, weil die einen Molotow-Cocktails werfen wollten, während andere Kinderläden gründen und wieder andere endlich die Räterepublik einführen wollten. Der dreiköpfige Vorstand, zu dem Klaus gehörte, war nahezu einstimmig gewählt worden, und das auch, weil er als Kollektiv nur noch zwischen den Gruppen vermittelnd und antiautoritär auftreten wollte. Merken muss man sich von dieser Konferenz nur das Wort »antiautoritär« und dass es nur folgerichtig war, dass sich der SDS bald danach selbst auflösen sollte.
Wie man aber durch diese Jahre kam, ohne im mörderischen Ge­walt­exzess der RAF oder im diszipliniert durchorganisierten Ordnungswahn der K-Gruppen zu enden, das konnte man anhand zweier Bücher verfolgen, die Behnken als Lektor betreut hatte. 1977 erschienen im linken März-Verlag, herausgegeben von Jörg Schröder, postum Bernward Vespers Romanessay »Die Reise« und im Verlag Petra Nettelbeck die »Schriften und Briefe« von Franz Jung in zwei Bänden, herausgegeben von Petra und Uwe Nettelbeck sowie Klaus Behnken. Beide Bücher, bei Jung vor allem sein Lebensbericht »Der Weg nach unten«, lassen sich sehr grob als hochkünstlerisch motivierte Berichte einer an und in den Zeitläufen scheiternden linken Erfahrung lesen. Bei Jung umfasst sie eine weitere historische Spanne, von den Kämpfen um die deutsche Republik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, Erfahrungen in der jungen Sowjet­union, die Machtübernahme Hitlers bis in die frühen Jahre der Bundes­republik nach dem Krieg. Während Vesper sein Aufwachsen in dieser frühen Bundesrepublik und den sich langsam formierenden, vor allem studentischen Widerstand gegen die an ihrer unaufgearbeiteten Schuld langsam erstickende Gesellschaft beschreibt, bevor er 1971 nach eigenem Entschluss aus dem Leben geschieden ist. Vesper wurde mit dem herausragenden Erfolg des Buches zu ­einer Art Phänotyp einer ganzen Generation, die noch im Krieg geboren wurde – und in Vespers Fall unter einem Nazivater, dem völkischen Dichter Will Vesper aufwuchs – und im Prozess der Aufarbeitung der Schuld nicht alles auf einmal überwinden konnte.
Bezeichnend für Klaus Behnken, seine Arbeit und sein Denken ist das äußere Erscheinungsbild der 16. Auflage »Die Reise, Ausgabe letzter Hand«, die im Dezember 1979 erschienen ist und die er zusammen mit Jörg Schröder besorgt hat. Die Ausgabe letzter Hand ist dabei um Text­varianten, Notizen und eine Inventarliste des Nachlasses Vespers erweitert. Mehr enthält sie nicht, keine Kommentare, keine Erläuterungen und schon gar keine Fußnoten, die die handelnden Personen oder die Orte erklären. Die Erfahrung sollte aus dem Text sprechen und nicht durch Erläuterungen gestört werden. Das galt in gleicher Weise für die Texte Jungs und es war sicher nicht Klaus allein, der auf die Idee der puristischen Orginaltextverarbeitung gekommen war. Er war mit Petra und Uwe Nettelbeck befreundet und hatte, seit 1976 die ersten Nummern der Zeitschrift Die Republik erschienen, auch dort als Lektor gearbeitet. Klaus Behnken war ein hervorragender Leser und ein großartiger, akribischer Lektor. Weil er wusste, dass er kein hervorragender Autor und öffentlicher Redner war, blieb er beim Text.
Eine Passion, der er auch in den Neunzigern als Chefredakteur der Jungen Welt und später als »Chef« der Jungle World treu blieb. Er las alles, schrieb wenig und maß dem richtigen Wort oder Satz die Bedeutung zu, die Satz und Wort von ihm verlangten.
Und man unterstellt bestimmt nicht zu viel, wenn man diese radikale und konzentrierte Hinwendung zum Text auch mit seiner Erfahrung im studentischen Protest von 1968 zusammenbringt. Denn eines haben die Zersplitterungen der roten Jahre und die damaligen Irrwege gezeigt: Es fehlte den Beteiligten auch an geschichtlichen Erfahrungen und der Situation angemessenen Begriffen. Denn die Grundintention der Proteste war und blieb richtig: Es ging darum, im Prozess gegen die alten Nazis die Schuld und die Schuldigen zu benennen und letztere zur Rechenschaft zu ziehen. Die Schuld war in diesem Fall zweifelsfrei: Sie war einseitig klar und lag bei den Tätern. Jede Schuldabwehr der Täter, der verantwortlichen Institutionen und der Gesellschaft war nichts anderes als die Verlängerung der Barbarei in milderem Gewand. Dass der alte Naziton weiterhin den Alltag prägte, hatte Behnken selbst erfahren, als ihm und zwei Genossen 1968 in Tübingen der Prozess wegen einer nicht genehmigten Vietnam-Demonstration gemacht wurde. Als Unruhe im Gerichtssaal aufkam, hatte der Richter dies mit Satz kommentiert, es gehe hier zu wie in der »Judenschule«. Für Behnken blieb auch wegen solcher Erfahrungen der Kampf gegen jeden Antisemitismus ein Motor aller weiteren Emanzipationskämpfe, und sein Kampfplatz war die Arbeit am Text als Leser und Lektor. Und er hatte sich dabei auch einen hervorragenden Ruf als Archivar erarbeitet, weshalb es nur fol­gerichtig war, dass er den 2004 erschienenen Jubiläumsband zum fünfzigsten Geburtstag der Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen herausgegeben hat. Als Leser, Lektor und Herausgeber hat er in seinem Archiv auch nie die internationale Intention vergessen, die die Studentenbewegung zu einem weltweiten Ereignis machte: Dass er in Paris beerdigt wird, ist deshalb auch mehr als ein privater Akt. Paris und Frankreich verweisen auf das nach der Studentenrevolte zweite Ereignis, dem Klaus Behnken zeit seines Lebens treu geblieben ist: die Französische Revolution und ihre in den Anfangsjahren geübte Praxis, nach der sich ihr jeder ohne Ansicht von Herkunft, Stand und Beruf anschließen konnte, der mit ihren Ideen und Zielen übereinstimmte.