Über alternative Rechte, reaktionäre Linke und den »cultural war« in den USA

Der Archipel der Enthemmten

Über alternative Rechte, reaktionäre Linke und den »cultural war« in den USA.

Es gibt eine verbreitete Erklärung für den fulminanten politischen Aufstieg Donald Trumps: Seine Wählerbasis rekrutiere sich aus den enttäuschten und abgehängten, weißen und zumeist männlichen Reservearbeitern der deindustrialisierten Regionen, die zu den großen Verlierern des flexiblen und globalisierten Kapitalismus gehören, obwohl sie einst die demographische Mehrheit der Vereinigten Staaten stellte. In der an den Imperativen des Weltmarktes orientierten Politik der Demokraten und Republikaner sei heute kein Platz mehr für diese konservativen Sozialcharaktere und ihre anachronistischen Interessen, was Trump mit seiner politischen Zeitreise in die Vergangenheit zu nutzen wisse. Aus seinem »Make America great again« spreche demnach die Sehnsucht nach einer Zeit, in der strenge Arbeitsdisziplin und das emsige Verfolgen des American way of life noch mit verlässlichem sozialen Aufstieg in die Vorortsiedlungen vergütet wurden, während die strukturell rassistischen Selektionskriterien des Bildungssystems diese Privilegien absicherten.
Trumps Erfolg speist sich jedoch weniger aus konkreten politischen Positionen als aus seiner narzisstischen Inszenierung als Lautsprecher einer »schweigenden Mehrheit«. In den USA wird vom »Trumptrain« gesprochen, der mit immer größerer Geschwindigkeit, ohne Bremsen und Möglichkeit zur Kurskorrektor, durch die politische Landschaft rast. Wer aufspringt, erlebt einen Temporausch, ergötzt sich an der Homo­genität der Erlebnisse, die er mit anderen Reisenden teilt, und nimmt den vorbeiziehenden Horizont nur noch als verzerrte Kulisse wahr. So bietet Trump die ideale Projektionsfläche für die Sehnsüchte jener gekränkten Menschen, die in den vergangenen Dekaden in allen deindustrialisierten Regionen zu Hunderttausenden in die ökonomische und kulturelle Bedeutungslosigkeit entlassen wurden und mittlerweile augenzwinkernd als »Trumpenproletariat« bezeichnet werden. Auf ihren gesellschaftlichen Niedergang folgte unweigerlich auch der Verlust der verbindlichen kulturell-hegemonialen, identitätsstiftenden Repräsentationsangebote, deren aggres­sive Verteidigung Trump verspricht. »Das ist der Tag, an dem wir uns unser Land zurückholen«, schrie er vor kurzem seinen Unterstützern entgegen.
Es geht also um seine Funktion in einem Kampf um sinnstiftende Erzählungen, wie Joseph Bernstein auf dem Portal Buzzfeed bemerkte: »Trump erfüllt für die Chanterculture (ein Neologismus aus Counterculture und dem Imageboard 4chan, Anm. d. Red.) eine ähnliche Funktion wie für seine politischen Unterstützer: Er gibt rassistischen, xenophoben und hasserfüllten Gefühlen kultureller Verunsicherung eine laute, öffentliche Stimme. Er fungiert nicht als Politiker mit Grundsätzen und einer Strategie als vielmehr als Verkünder eines Gegennarrativs« – zum modernen US-amerikanischen Liberalismus. Trumps Kernthemen sind deshalb die Zurückweisung von Zuwanderung und ein rigides Staatsbürgerschaftsrecht, während seine sozial- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen schlechterdings inkohärent sind. Bereits 2011 gehörte er zu den notorischen Unterstützern der »Birther«, die eine Verschwörungstheorie US-amerikanischer Rassisten verbreiteten und Barack Obamas amerikanische Staatsbürgerschaft anzweifeln. Nachdem Trump im US-amerikanischen Fernsehen immer wieder Obamas Geburtsurkunde eingefordert hatte, stellte ihn dieser vor Hunderten lachenden Journalisten beim White House Correspondents’ Dinner bloß. Vielleicht hat diese Kränkung vor laufenden Kameras nicht unwesentlich zu Trumps Kandidatur beigetragen. (1)
Die Emphase des Identitären macht Trump ebenfalls zur Ikone der europäischen Souveränisten und der Neuen Rechten. Durch den »Trumptrain« sehen sie einen Resonanzraum geöffnet, in den sie metapolitisch intervenieren können. »Er hat alle geistig agilen und rebellischen Kräfte des konservativen Lagers in einer Front vereint, die den ›cultural war‹ gegen die Linksliberalen gewinnen könnte«, schrieb Martin Sellner, der Kopf der Identitären Bewegung Österreichs, auf dem Weblog der neurechten Zeitschrift Sezession. »Das Phänomen Trump hat eine befreiende Wirkung auf die gesamte US-amerikanische Metapolitik«, so Sellner. »Identität – das entscheidende Thema des 21. Jahrhunderts drängt sich wie ein jungscher Archetyp im kollektiven Bewusstsein auf.« Für Götz Kubitschek, leitender Redakteur der Sezession und strategischer Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, dürfte Trump, ähnlich wie Akif Pirinçci, eine der von ihm vielbeschworenen »Ein-Mann-Kasernen« verkörpern, deren Indifferenz gegenüber diskursiven Konventionen einen wie Trump zur expressiven Loslösung von der etablierten Öffentlichkeit und ihrer auf Ausgleich und Deliberation setzenden Verfahren drängt. Trump posiere als starker Mann auf dem weißen Pferd und würde »Carl Schmitt mit Stolz erfüllen«, schrieb der Faschismusforscher Jeffrey Herf. (2) Auch Jürgen Elsässers Magazin Compact verbündete sich von Anfang an mit Trumps ­Autoritarismus und widmet ihm derzeit eine Sonderausgabe, in der Hil­lary Clinton zur »Kandidatin des US-Faschismus« erklärt wird.
Sein beharrliches Ignorieren der von den Spin Doctors mühsam gebotenen strategischen Zurückhaltung macht Trump für viele Unterstützer zu einem imponierenden »Charakter«. Sein offener Bruch mit allen Mindeststandards respektvoller Kommunikation, seine vulgäre Sprache und die aggressive Geringschätzung seiner Gegner wiederholt die Abwendung vom sozialen Miteinander als kulturindustrielles Spektakel, das das Kollektiv der Vereinzelten integriert. Robert Kagan, ein Ideengeber der amerikanischen Neokonservativen, warnte im Spiegel kürzlich vor der »Herrschaft des Mobs« und dem Faschismus, der mit Trump, »einem Egomanen wie aus dem Lehrbuch, der sich gängige Ressentiments und Unsicherheiten zunutze macht«, nach Amerika käme. Diese narzisstische Enthemmung ist Teil einer politischen Bewegung, die die politische Kultur der Vereinigten Staaten verändert. Im Fahrtwind des »Trumptrain« versucht die US-amerikanische Neue Rechte die meta­politische Offensive und meldet sich vor allem in den sozialen Netzwerken immer lauter zu Wort.
Bereits im Januar sorgte Trump für kurze Zeit für Aufregung, als er einen Tweet des Nutzers @whitegenocideTM teilte. Eine Analyse seines Twitterprofils ergab damals, dass 62 Prozent seiner Inhalte von White Supremacists stammen, die positiv über Trump berichteten. (3) Vor einigen Wochen warnte Hillary Clinton bei einer Ansprache in Reno explizit vor dem Einfluss der sogenannten Alt-Right-Bewegung auf Trump: »Er macht von Hass getriebene Gruppierungen salonfähig und hilft einem radikalen Rand, die Republikanische Partei zu übernehmen.«
Der Begriff Alt-Right wurde durch den US-amerikanischen Identitären Richard B. Spencer popularisiert, der bereits 2010 gemeinsam mit Collin Liddell das Blog Alternativeright.com gründete und seit 2012 das Magazin Radix Journal herausgibt. Spencer ist weiterhin Präsident des Think Tanks National Policy Institute (NPI), das der Selbstdarstellung zufolge »dem Erbe, der Identität und der Zukunft der Völker europäischer Abstammung« verpflichtet ist und regelmäßige Konferenzen organisiert. Neben amerikanischen Szeneautoren trat dort unter anderem der Stichwortgeber der französischen Nouvelle Droite, Alain de Benoist, auf.
Die Alt-Right kann als das US-amerikanische Pendant zur europäischen Neuen Rechten verstanden werden, mit der sie das Primat des Kulturellen über das Politische teilt und von der sie Begriffe, Theorien und ihr intellektuelles Rüstzeug bezieht. Im Bookstore von Radix findet sich ein einschlägiges Sortiment, das auf die Themen Identität und Rasse fokussiert ist und neben Abhandlungen à la Sarrazin über genetisch bedingte Intelligenzunterschiede und antisemitischen Verschwörungstheorien die Ideen von Carl Schmitt, Julius Evola, Martin Heidegger und die übersetzten Schriften ihres eurasischen Adepten Alexander Dugin feilbietet. Spencer benennt Nietzsche, Heidegger, die ­Autoren der sogenannten Konservativen Revolution und die französische Nouvelle Droite als seine maßgeblichen Inspirationsquellen und beschrieb die Bewegung im Dezember als »Ideologie der europäischen Identität«. Mit dieser Paraphrase von »weißer Identität« knüpft die Alt-Right auch an die Identitäre Bewegung an und sieht wie diese im li­beralen Universalismus ihr politisches Feindbild.
Von der Old Right zur Alt-Right
Ebenso steht die Alt-Right aber auch in der Traditionslinie des amerika­nischen Paläokonservatismus, der der Old Right der vierziger Jahre entsprungen ist. Als solche wurden in Abgrenzung zur späteren antikommunistischen New Right um den ­republikanischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater die republikanisch-kommunitaristischen Gegner des New Deal bezeichnet, die den innen- und außenpolitischen Interventionismus ablehnten, also für Antiimperialismus und ein limited government stritten, bei dem der amerikanische Werteuniversalismus hinter privatkapitalistischen Partikularinteressen zurücktreten sollte. Die Ablehnung des social engineering korrespondierte mit einem darwinistischen Gesellschaftsbild, das natürliche Hierarchien zwischen Menschen behauptete und deshalb Traditionen und Statusprivilegien verteidigte. Mit Slogans wie »America first« – den Trump mittlerweile für seinen Wahlkampf adaptiert hat – opponierte die Old Right gegen den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und die Gründung der NATO.
Ganz ähnlich war die Rhetorik, mit der nach 9/11 die Paläokonservativen Pat Buchanan und Ron Paul gegen den Irak-Krieg und den »Great Society Republicanism« der Bush-Regierung agitierten. »Eine neokonservative Clique versucht, unser Land in eine Reihe von Kriegen zu verwickeln, die nicht im Interesse Amerikas sind«, schrieb Buchanan damals in The American Conser­vative. Er hatte das Magazin 2002 mit der Unterstützung des griechischen Journalisten Taki Theodoracopulos gegründet, dessen Taki’s Magazine mittlerweile zu den Organen der Alt-Right gehört und die griechischen Neonazis der Partei »Goldene Morgenröte« unterstützt. (4) Dort firmierte auch Richard B. Spencer als Chefredakteur, bevor er 2010 sein eigenes Blog startete.
Charakteristisch für die Alt-Right und den Paläokonservatismus ist die antielitaristische, verschwörungsideologische Behauptung einer Unterwanderung der republikanischen Partei durch den Neokonservatismus, wie sie Buchanan im Fernsehsender MSNBC exemplarisch formulierte: »Die Bewegung wurde gekapert und zu einer globalistischen, interventionistischen Ideologie der offenen Grenzen gemacht.« Aus diesem Grund lehnten er und Paul George W. Bushs »No Child Left Behind Act« und den »Medicare Modernization Act« ab, die das Ziel hatten, mit neoliberalen Instrumenten die Chancengleichheit im Bildungssystem und den Zugang zur medizinischen Versorgung zu verbessern.
Auch Bushs gescheiterter »Comprehensive Immigration Reform Act«, der 12 Millionen illegalisierten Migranten den legalen Aufenthalt in den USA und den Zugang zum Arbeitsmarkt verschaffen sollte, zog den Unmut der US-amerikanischen Rechten auf sich. Diesen »Pfad zur Staatsbürgerschaft für Einwanderer ohne Papiere«, den nun auch Clinton fordert, bezeichnet Trump als »Amnestie für alle illegalen Einwanderer« und bekämpft ihn ebenso vehement wie das Geburtsortprinzip bei der Staatsbürgerschaft. Statt­dessen fordert er die Deportation von »illegalen Einwanderern« und ein Einwanderungsverbot für Muslime.
Die Alt-Right-Bewegung ist ein an die Generation der Millennials und ihre Affinität zu sozialen Medien und der Selbstdarstellung im Internet angepasster »Post-Paläokonser­vatismus«, wie Paul Gottfried, einer der einflussreichsten Paläokonservativen, einmal bemerkte. Die meisten Anhänger der Alt-Right sind relativ jung, ihre politische Sozialisation fand in der Zeit nach 9/11, den Protesten gegen den Irak-Krieg und die freedom agenda der Regierung Bush statt, deren proklamierter Werteuniversalismus im Widerspruch zum rechten Ethnopluralismus stand. Obwohl die Ideologie der Alt-Right maßgeblich auf »weiße Identität« fixiert ist, wäre es falsch, das Phänomen ausschließlich als eine neue Manifestationsform des weißen Suprematismus zu verstehen, wie es linke Kritiker in den USA und Deutschland überwiegend tun. (Jungle World 38/2016)
Durch ihre provokative Artikulationsform und die fundamentale Zurückweisung von universalistischen Werten vereint die Alt-Right eine Bandbreite an Positionen und stößt auch bei vielen Rechtslibertären auf Zuspruch. Einer dieser Fürsprecher ist der free speech fundamen­talist Milo Yiannopoulos, der auf Breitbart, einer der wichtigsten konservativen Nachrichtenseiten der USA, einen vielzitierten Leitfaden über die Alt-Right schrieb und ihr als Journalist in den Medien zu Aufmerksamkeit verhilft. Yiannopoulos zufolge ist die Alt-Right als eine subver­sive Gegenkultur zur diskursiven Hegemonie der US-amerikanischen Linken zu verstehen, die junge Rebellen anziehe, weil sie Fun, Grenzüberschreitungen und die Infragestellung sozialer Normen verspreche. Breitbart ist eines der wenigen Medien, die Trump seit Beginn seiner Kandidatur publizistisch unterstützen, was dieser mit der Berufung von Breitbart-Geschäftsführer Steve Bannon zu seinem Wahlkampfmanager dankte. Unter dessen Leitung entwickelte sich das Nachrichtenportal in den vergangenen Jahren von einer angesehenen konservativen Medienplattform zu einem Sammelbecken rechtspopulistischer Verschwörungstheorien, in dem mit allen Mitteln Stimmungsmache gegen Präsident Obama, Feminismus und Muslime betrieben wird. Während zahlreiche Autoren die Redaktion daraufhin verließen, verkündete Bannon im Juli: »Wir sind ein Podium für die Alt-Right.« Er empfahl Trump sogleich, wieder nationalistischer und populistischer aufzutreten.
Archipel der Enthemmten
Zur Alt-Right gehören selbsternannte »Race realists« und Anhänger der skurrilen human biodiversity, die ihren Rassismus analog zum Ethnopluralismus in Vokabeln der nachhaltigen Vielfalt verpacken; Verschwörungstheoretiker um den Guru Alex Jones sowie die radikal rechts­libertären »Neoreactionaries« aus dem Umfeld des dark enlightenment um Curtis Yarvin und Nick Land, denen zufolge die westliche Zivilisation seit der Französischen Revolu­tion einem ununterbrochenen Verfall ausgesetzt sei, ebenso wie radikale free speech activists, für die die Einhaltung kommunikativer Mindeststandards bereits politische Zensur bedeutet. (5) Auch radikale Maskulisten wie Jack Donovan, der sich wie Yiannopoulos offen zu seiner Homosexualität bekennt, werden der Alt-Right zugerechnet. Donovan ist Mitglied des neuheidnischen Männerbundes Wolves of Vinland, propagiert einen neuen Tribalismus und publiziert regelmäßig auf einschlägigen Szeneseiten wie Counter-Currents.com. In Kubitscheks Verlag Antaios ist unlängst eine deutsche Übersetzung seines Buches »The Way of Men« erschienen, in dem Donovan die Rückbesinnung auf eine archaische, kämpferische »Bandenmännlichkeit« und eine Repolarisierung der Geschlechterrollen pro­pagiert.
Ein weiterer Teil der Alt-Right rekrutiert sich aus der »Manosphere« genannten antifeministischen und misogynen Blogger- und Gamercommunity, die auf Seiten wie reddit, 4chan und 8chan über Männerrechte, Maskulinität und die vermeintliche Viktimisierung von Männern diskutiert, während sie zugleich Frauen in jeder erdenklichen Art und Weise abwertet und aus der Provokation und Desensibilisierung des politischen Gegners ihren Lustgewinn schöpft. Unter dem Hashtag #Gamergate und unterstützt von Yiannopoulos löste dieses Umfeld vor einigen Jahren eine Debatte über den Einfluss des Feminismus auf die Computerspielindustrie aus, der die Internet-Community politisierte. Mit einem »hervorragenden Gespür für die Funktionsweise des Internet« (Buzzfeed) sorgt ein Teil der Community nun für die virale Verbreitung der Memes der Alt-Right.
Das einflussreichste dieser Memes ist der Neologismus »Cuckservative«, in dem Rassismus, Misogynie und die Affinität zu Verschwörungstheorien eine krude Melange bilden. Der Begriff tauchte vor den amerikanischen Vorwahlen auf und sollte die konservativen Kritiker Donald Trumps als devote race traitors diffamieren. Der Neologismus steht für »cuckolded conservative«, womit auf die in der BDSM-Szene verbreitete Praxis des cuckolding angespielt wird, bei der eine Frau ihren Partner auf dessen Wunsch hin durch Sex mit anderen Männern erniedrigt. Als Cuckservative gilt ein Konservativer, der die Interessen des weißen Amerika an Minderheiten, Liberale und Linke verrate – eine Verschwörungstheorie, die im Einklang mit einer vulgären und sexualisierten Sprache viel über die psychosexuelle Ver­unsicherung der Alt-Right verrät. Mittlerweile hat sich der Begriff zum populären Label entwickelt, das auf Radix folgendermaßen definiert wird: »Vereinfacht gesagt ist der Cucks­ervative ein weißer, nichtjüdischer Konservativer (oder Libertärer), der fälschlicherweise denkt, seine eigenen Interessen zu verfechten. Tatsächlich ist der Cuckservative ein radikaler Universalist, der meist an Ethnomasochismus und pathologischem Altruismus zu leiden scheint. Kurz gesagt ist der Cuckservative ein weißer (nichtjüdischer) Konservativer, der nicht rassenbewusst (›racially aware‹) ist.«
Ein Novum an Antisemitismus und Hate Speech
Dieser notorische Antiuniversalismus äußert sich nicht nur rassistisch, sondern notwendigerweise auch als Antisemitismus. Im Kampf gegen den Einfluss des Neokonservatismus bedient sich die Alt-Right der alten antisemitischen Argumentationsmuster, denen zufolge eine Gruppe jüdischer Intellektueller die US-amerikanische Politik dominiere. (6) Diese Verschwörungstheorie war noch bis in die fünfziger Jahre innerhalb der Republikanischen Partei weitverbreitet und konnte erst danach marginalisiert werden. In den sozialen Medien im Umfeld der ­Alt-Right wird Antisemitismus offensiv ausgelebt. Als die jüdische Journalistin Julia Ioffe einen kritischen Artikel über Trumps Frau ­Melania schrieb, erntete sie einen Shitstorm seiner Anhänger. Ein Bild zeigte Ioffe dabei in Häftlingsuniform in Auschwitz, darüber prangte der Schriftzug »Welcome to Camp Trump«. Ein anonymer Anrufer spielte ihr eine Rede Adolf Hitlers vor. Dem konservativen Journalisten Ben Shapiro wurde, nachdem er Breitbart im März 2016 verlassen und die Geburt seines zweiten Sohnes getweetet hatte, mit der Gaskammer gedroht.
Hate speech und antisemitische Angriffe auf jüdische Journalisten hätten im diesjährigen Wahlkampf ein Ausmaß erreicht, das für die amerikanische Öffentlichkeit ein Novum darstellt, bemerkt auch Oren Segal, der Direktor des Anti-Defamation League Center on Extremism. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung der triple parenthese zur Hervorhebung jüdischer Namen, die ihren Ursprung im Podcast »The Daily Shoah. The Summer of 88« des Blogs The Right Stuff hat, das der Alt-Right zuzurechnen ist. Das Symbol wird dort »(((echo)))« genannt und soll jüdischen Einfluss visuell verdeutlichen: »Alle jüdischen Namen hallen durch die ganze Geschichte. Das Echo wiederholt die traurige Erzählung, indem sie die emotionalen Lektionen unserer großen weißen Sünden übermittelt und uns anfleht, niemals die 6 GoRillion zu vergessen«, heißt es dort. Die mittlerweile gelöschte Google-Chrome-Erweiterung »The Coincidence Detector« setzte das Echo automatisch um jüdisch klingende Namen auf anderen Websites.
Anfang Juli geriet Trump selbst in einen antisemitischen Skandal. Nachdem Hillary Clinton vom FBI verhört worden war, tweetete er ein Meme, das Clinton vor einem Berg mit 100-Dollar-Scheinen zeigte. Auf den Umrissen eines Davidsterns stand: »Most Corrupt Candidate Ever!« Das Bild, das im Kontext der Alt-Right auf 8chan entstanden war, wurde kurz darauf wieder gelöscht und durch eine geänderte Version ersetzt, die statt eines Davidsterns einen Kreis zeigte. Trumps Social-Media-Direktor Dan Scavino behauptete zwar, das Bild auf einem gegen Clinton gerichteten Twitter-Account gefunden zu haben, und leugnete Verbindungen zur Alt-Right und antisemitischen Websites. Der Vorfall ist dennoch ein deutliches Beispiel dafür, wie anschlussfähig Trumps Kampagne mittlerweile für die paranoiden Verschwörungstheorien der Alt-Right und ihre metapolitische Verbreitung ist. Die israelische Zeitung Haaretz warnte deshalb vor ­ihrem Einfluss auf die politischen Debatten und die Einstellung der US-Regierung zu Israel, die durch Trump in Frage gestellt wird. »Intellektuelle Narrative sind von Bedeutung. Und Juden sind im Zentrum der ressen­timentgeladenen Narrative der Alt-Right.«
Tribalistische Linke und identitäre Rechte
Die Alt-Right ist zugleich eine Reaktion auf die Modernisierung des amerikanischen Konservatismus und den wachsenden diskursiven Einfluss der US-amerikanischen Linken. Während mit »Cuckservative« gewissermaßen konservative »Gutmenschen« bezeichnet werden sollen, besteht sein Linksliberale adressierendes Gegenstück im Schmähbegriff »Social Justice Warrior« (SJW), der in der Gamergate-Debatte aufkam und seitdem undifferenziert zur Diffamierung von Feministinnen, Antirassisten und der Bewegung »Black Lives Matter« genutzt wird. Ironischerweise speisen sich die Aktivisten der Alt-Right und einige Teile der amerikanischen Linken dabei aber aus ganz ähnlichen, narzisstischen Triebkräften.
Trotz gegensätzlicher Implikationen sind sich die linke Identitätspolitik und das neurechte identitäre Denken in ihrer Gegnerschaft zum Universalismus und ihrer rebellischen Attitüde weitgehend einig. »Es ist, als ob der linke Postmodernismus an den Universitäten, der seit Jahrzehnten die Existenz von Wahrheit anzweifelt, sein Spiegelbild in der Zurückweisung von Fakten durch den Milliardär Trump findet.« (7)
In den vergangenen Jahren haben linke Aktivisten an den US-amerikanischen Universitäten eine Debatte über politische Korrektheit und vermeintliche Privilegien angestoßen, die die hiesige an Emotionalität und bigotter Hysterie bei weitem übertrifft (Jungle World 35/2016). In zahlreichen Campus wurde die Einrichtung von sogenannten safe spaces gefordert, die Minderheiten und Hypersensible vor einer Auseinandersetzung mit der gewalttätigen Realität schützen sollten. Dort können Einzelne und Gruppen ihre partikularen Präferenzen bedingungslos ausleben, ohne sie vor anderen rechtfertigen zu müssen. Mit sogenannten Triggerwarnungen wird andernorts auf vermeintlich gewalttätige Sprache hingewiesen, durch die sich Menschen verletzt fühlen könnten. Das Konzept, das Opfer von Vergewaltigungen vor einer Retraumatisierung schützen sollte, findet mittlerweile auch Anwendung auf literarische und wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft und ihrer Geschichte, die ohne die Thematisierung von Gewalt und Unterdrückung nicht zu haben sind. Häufig werden Literaturwissenschaftler gebeten, Bücher über die Kolonialzeit nicht mehr als Pflichtlektüre zu führen. Der Roman »The Great Gatsby« wurde am Oberlin-College aufgrund von frauenfeindlichen Passagen auf den Index gewünscht. In ­einer Sexualstrafrechtsvorlesung in Harvard forderten Studierende, auf die Verwendung des Verbs »to violate« zu verzichten.
Der Kampf um emotionales Wohlbefinden wird auch um sogenannte »Mikroaggressionen« geführt (Jungle World 43/2015). Damit sind diskriminierende Effekte von Äußerungen gemeint, die gesellschaftliche Machtpositionen festschreiben. An der University of California gilt bereits die Aussage »Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten« als diskriminierender Übergriff, der Tugendwächter gegen die Universitätsleitung mobilisiert.
In dieser Debatte geht es weniger um den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung als um Macht und die Schaffung von identitären Schutzräumen für narzisstische Sozialcharaktere. Die Gesellschaft soll nicht mehr in mühsamen zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen verändert, sondern nach Maß­gabe starrer Identitäten umgeformt werden, um Widersprüche zwischen Realität und emotionalen Bedürfnissen einseitig aufzulösen. Das untergräbt in letzter Konsequenz jegliche Fähigkeit zu Kritik, Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung. Die Universitäten werden zu diskursfreien Zonen, in denen eine akademische Elite täglich ihre Selbstbestätigung produziert. Wie im Falle des Kleinkindes, das das Realitätsprinzip noch nicht kennt und die Außenwelt deshalb nur aus der dünnhäutigen Perspektive innerer Allmachtsphanta­sien wahrnehmen kann, führt das sture Beharren auf der Anerkennung der individuellen Bedürfnisse bei deren Ausbleiben zur narzisstischen Kränkung.
Diese Kultur der Kränkungen ist ein Zerrbild des individualisierten Konkurrenzprinzips und Kompensationsprodukt der gesellschaftspolitischen Ohnmacht der Linken nach dem »Ende der Geschichte« und dem globalen Siegeszug des Neoliberalismus. Sie spiegelt die Dissoziation der Gesellschaft in vereinzelte, durch keine gemeinsamen Interessen mehr verbundene Konkurrenzsubjekte wider, die deshalb zur Kommunikation nicht mehr fähig sind und stabilisierende Identitäten suchen.
Die zur politischen Debatte rationalisierte Kommunikationsverweigerung wird daher besonders humorlos und aggressiv vorgetragen, wie ein anderer, in den amerikanischen Medien breit diskutierter Vorfall illustriert. Als ein Dozent in Yale nach einer eskalierten Diskussion über Halloween-Bekleidung auf das Recht auf intellektuellen Diskurs hinwies, wurde er von einer schwarzen Studentin angeschrien: »Es geht nicht darum, einen intellektuellen Raum zu schaffen, verstehen Sie das? Es geht darum, hier ein Zuhause zu schaffen und das tun Sie nicht!« (8)
In einem anderen Fall schlug einer emotional aufgewühlten jungen Asiatin am Claremont McKenna College in Kalifornien, die während einer Demonstration darauf hinwies, dass auch unter Schwarzen Rassismus verbreitet sei und dies an einer eigenen Erfahrung ausführte, große Ablehnung entgegen. (9) Beiträge, die die zur Identität geronnene Weltanschauung in Frage stellen könnten, wollte auch dort niemand hören.
Die ideologische Wahlverwandtschaft dieser linken Diskurspolitik mit neurechten Positionen besteht in ihrem identitären Dogmatismus, der keinen Raum für gesellschaftliche und persönliche Veränderungen lässt. Das bemerkte auch Yiannopoulos in seinem »Guide To The Alt-Right«: »Wäre es ihnen ernsthaft um die Verteidigung von Humanismus, Liberalismus und Universalismus gegangen, hätte der Aufstieg der Alt-Right vielleicht verhindert werden können. (…) Stattdessen hat man den Aufstieg tribalistischer, identitärer Bewegungen innerhalb der Linken geflissentlich ignoriert, während man jeden Hauch von ihnen bei den Rechten erbarmungslos unterdrückt hat. Es war vor allem diese Doppelmoral, die zum Aufstieg der Alt-Right führte. Sie ist zum Teil auch für den Aufstieg Donald Trumps verantwortlich.«
Für die Alt-Right und ihr Bedürfnis nach Provokation ist die Identitäts- und Sensibilitätspolitik der US-amerikanischen Linken ein dankbares Angebot, durch das sie sich als subversiver Tabubrecher inszenieren kann. »Die Alt-Right ist ironisch, subversiv und zynisch. Es geht darum, die Mittel der Linken gegen sie selbst zu verwenden und die Tropen und Narrative zu zerstören, die sie uns aufgezwungen hat«, bemerkte Gregory Hood auf Radix. »›Die Umwertung der Werte‹ ist der Schlüssel zur linken Moralvorstellung.« Dabei kann die Alt-Right sich auch auf Unterstützung durch Rechtslibertäre wie Yiannopoulos verlassen. In den sozialen Medien im Umfeld der Alt-Right wurde dafür zuletzt der Begriff regressive left aufgegriffen, mit dem Linksliberale wie Richard Dawkins und Maajid Nawaz die linke Sympathie für den Islamismus kritisierten.

Politik der destruktiven Sehnsucht
Die neurechten »Ein-Mann-Kasernen« sind jedoch ebenso narzisstisch veranlagt wie die bigotten Realitätsentsager. Während die tribalistische Linke die Zumutungen einer gewaltvollen Realität im privaten Schutzraum von sich weist und mit ihrem infantilen Bedürfnis nach ­einem widerspruchslosen Zuhause jegliche Intersubjektivität negiert, durch die das Individuum sich verändern könnte, geht es den rechten Tabubrechern um Provokation als Selbstzweck, die den politischen Gegner zum Zwecke des Lustgewinns bloßstellt. Beide erkennen das Gegenüber nicht mehr als gleichberechtigten Diskussionspartner an. Stattdessen ist der Bezug zur Außenwelt einseitig und lediglich Entäußerung narzisstischer Affekte ohnmächtiger Subjektivität. Der safe space muss dabei genauso aggressiv verteidigt werden wie die Identität des weißen Amerika, weil beide fragile Konstruktionen sind. Dahinter stecken eine irrationale Sehnsucht nach Homogenität und eine souveränistische Kontrollsucht, die lediglich in verschiedener Form artikuliert ­werden.
Diesen Zusammenhang hatten wohl auch die Macher der Animationsserie »South Park« im Blick, die die gesamte 19. Staffel dieser Thematik widmeten. Ausgerechnet der autoritäre Idealcharakter Cartman wurde dabei zum eifrigsten Propagandisten der Ideologie des safe space erwählt. So wurde deutlich gemacht, dass der aggressive Körperpanzer der Enthemmten eine ähnliche Funktion wie der defensive safe space der Sensiblen erfüllt. Das erklärt die Emotionalität und den affektiven Hass, mit der Trumps Anhänger und Gegner aufeinander reagieren. Trump ist vor allem ein sozialpsychologisches Phänomen und deshalb so erfolgreich.
Im Gegensatz zur Neuen Rechten in Europa ist die Alt-Right wesentlich durch neue Medien und soziale Inszenierungsformen gekennzeichnet. Zwar existiert ebenfalls ein Netzwerk von Think Tanks, Magazinen und Intellektuellen, die daran arbeiten, ihr Denken ideologisch zu bündeln und strategisch auszurichten. Allerdings ist ihr Verhältnis zu den Internetaktivisten weniger elitär und durch keinerlei Berührungsängste gehemmt. Das macht die Bewegung ebenso unberechenbar wie den »Trumptrain«. »Die Politik wird dunkler und die Menschen anfälliger für die Versprechungen von Demagogen. Noch nie war eine offen antidemokratische, proautoritäre Rechte in Amerika so erfolgreich.« (10) Nigel Farage frohlockte kürzlich bei einem Besuch bei Trump und drohte: »Wenn sich genug anständige Menschen gegen das Establishment auflehnen, ist alles möglich.« Die Alt-Right hofft darauf, Teil dieses destruktiven Aufstands der Anständigen zu sein und ist derzeit einflussreicher als jemals zuvor.

Anmerkungen
(1) Das Video mit Obamas Reaktion auf die Birther-Debatte findet sich unter: www.youtube.com/watch?v=k8TwRmX6zs4
(2) Herf, Jeffrey (2016): Is Donald Trump a Fascist? The American Interest, www.the-american-interest.com/2016/03/07/is-donald-trump-a-fascist/, 7.3.2016
(3) Vgl. Hathaway, Jay (2016): More Than Half of Trump’s Retweets Are White Supremacists Praising Him. Nymag, http://nymag.com/selectall/2016/01/donald-trump-mostly-retweets-white-s…, 27.1.2016
(4) Vgl. Theodoracopulos, Taki (2013):
Black Belts and Golden Dawn. Taki’s Magazine, http://takimag.com/article/black_belts_and_golden_dawn_taki/print#axzz4…, 19.7.2013.
(5) Eine ausführliche Einordnung der Ursprünge der Alt-Right bietet Kirchick, James (2016): Trump’s Terrifying Online Brigades. The »alt-Right,« the »neo-reactionaries,« and the politics of grievance, Commentary, www.commentarymagazine.com/articles/trumps-terrifying-online-brigades, 16. 5. 2016.
(6) Dieses Verschwörungsnarrativ ist als Vorstellung von vermeintlichen »neokonservativen Netzwerken« auch außerhalb der Alt-Right verbreitet. Vgl. Volkert, Bernd (2006): Der amerikanische Neokonservatismus. Entstehung – Ideen – Intentionen. Münster: LIT, S. 15 f.
(7) Herf, a.a.O.
(8) Friedersdorf, Conor (2015): The New Intolerance of Student Activism, The Atlantic, www.theatlantic.com/politics/archive/ 2015/11/the-new-intolerance-of-student-activism-at-yale/414810/, 9.9.2015.
(9) Der Vorfall ist einsehbar unter: www.youtube.com/watch?v=A8UTj8lQJhY
(10) Kirchick, a.a.O.