Im Gespräch mit Zunar, Karikaturist aus Malaysia

»Derzeit drohen mir 43 Jahre Gefängnis«

Zulkiflee Anwar Haque, Künstlername Zunar, ist ein Karikaturist aus Malaysia. Wegen regierungskritischer Äußerungen, unter anderem gegen Ministerpräsident Najib Razak, wird er immer wieder politisch verfolgt, ihm drohen hohe Haftstrafen. Auf Einladung von Reporter ohne Grenzen und der Friedrich-Naumann-Stiftung war er kürzlich für einige Veranstaltungen in Berlin.

Bevor Sie nach Deutschland flogen, konnten Sie nicht sicher sein, ob man Sie ausreisen lassen würde. Wie kam es zu dieser Situation?
Anfang Mai zeigte ich in Genf bei einer Ausstellung Karikaturen, ich war dort einer der Preisträger des internationalen Karikaturenpreises, der am Tag der weltweiten Pressefreiheit, dem 3. Mai, verliehen wird. Den Preis habe ich von Kofi Annan überreicht bekommen. Die malaysische Regierung war danach sehr wütend und verurteilte die Ausstellung als Versuch, den Premierminister zu stürzen und die malaysische Wirtschaft zu sabotieren. Danach sprachen sie von einem Ausreiseverbot für Oppositionelle, die im Ausland die malaysische Regierung kritisieren. Daraufhin wurde eine Menschenrechtlerin am Flughafen an der Ausreise gehindert. Wir wissen nie sicher, ob wir ausreisen können, das zeigt sich erst am Flughafen, das Ausreiseverbot hängt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.
Wovon handeln Ihre Karikaturen?
Es geht vor allem um Korruption in Malaysia, in die auch der Premierminister verstrickt ist, und es geht um die Kontrolle und Instrumentalisierung des Justizsystems durch die Regierung. Ein weiteres Thema ist das geplante Gesetz zum Kriegsrecht, das dem Premierminister die Kontrolle über die Armee und den Ausnahmezustand verleihen soll. Und ich behandle meine eigene Geschichte. Derzeit drohen mir 43 Jahre Gefängnis, gegen mich laufen neun Anklagen auf Grundlage des neuen Gesetzes gegen »Volksverhetzung«, mit dem die Regierung Kritiker zum Schweigen bringen will.
43 Jahre für Karikaturen sind eine gewaltige Strafe. Sie haben offensichtlich sehr empfindliche Punkte berührt.
Ja, ich konzentriere mich in meinen Zeichnungen auf Korruption und Ungerechtigkeit. Alle Mainstream-Medien in Malaysia sind von der Regierung kontrolliert und dürfen meine Karikaturen nicht veröffentlichen, denn darin geht es um Spitzenpolitiker, um den Premierminister und das Kabinett. Die Korruption hat ein gewaltiges Ausmaß, kürzlich etwa wurde berichtet, der Premierminister habe 700 Millionen US-Dollar auf sein Privatkonto erhalten. Ein anderer Korruptionsskandal betraf den Kauf von Unterseebooten. Es gibt auch politische Verschwörungen, beispielsweise wurde der Oppositionsführer Anwar Ibrahim vergangenes Jahr für fünf Jahre ins Gefängnis geschickt, um ihn von der Teilnahme an Wahlen abzuhalten. Für die malaysische Regierung sind das alles sehr sensible Themen, sie will nicht, dass die Leute davon wissen. Mit meinen Karikaturen will ich die Menschen nicht nur zum Lachen bringen, sondern ihnen auch als alternative Informationsquelle dienen.
Das Verbot von »Volksverhetzung« beruht auf einem sehr alten Gesetz, das 1948, während der Kolonialzeit, eingeführt wurde, aber es wird heute noch verwendet. Dabei gibt es in Malaysia heute keine unabhängigen Medien, kein unabhängiges Justizsystem, keine unabhängigen Polizeikräfte, keine unabhängige Wahlkommission. Wie soll man da Hoffnung auf Gerechtigkeit haben? Das alles behandle ich in meinen Karikaturen.
Rosmah Mansor, die Frau des Premierministers, hat einen besonderen Platz in vielen Ihrer Karikaturen. Was hat es damit auf sich?
Es ist in Malaysia ein offenes Geheimnis, dass sie die mächtigste Person im Land ist. Ihr Mann ist nur ihre Marionette. Sie nutzt öffentliche Gelder für ihren Lebensstil: sie hat einen etwa acht Millionen Euro teuren Diamantring gekauft, sie nutzt ein Regierungsflugzeug als Privatjet für ihre Shoppingtouren, sie ist in viele Regierungsgeschäfte verwickelt. Ihre Frisur male ich immer so groß und mit einem Preisschild, weil sie einmal erwähnt hat, dass ihre Frisur so viel gekostet hat wie ein monatlicher malaysischer Mindestlohn. Das sind alles öffentliche Gelder, aber gleichzeitig heißt es, dass die Regierung kein Geld hat.
Wie veröffentlichen Sie Ihre Karikaturen?
In der von der Regierung kontrollierten Presse ist dafür kein Platz, aber ich veröffentliche fast täglich auf meiner Website und meinen Social-Media-Kanälen. Meine Facebook-Seite wird von 120 000 Personen täglich besucht, Beiträge manchmal 10 000 Mal geteilt. Nur so kann ich meine Fans und Unterstützer erreichen, aber ich will noch mehr Menschen erreichen, deshalb habe ich für alle meine Karikaturen das Copyright aufgegeben, jeder kann sie nach Belieben herunterladen und verbreiten. Zweimal im Jahr sammle ich Zeichnungen in einem Buch, das online und bei meinen Veranstaltungen gekauft werden kann.
Sind Ihre Websites in Malaysia frei zugänglich?
Bislang ja, aber die Regierung arbeitet an einem Gesetz, das Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres im Parlament verabschiedet werden soll. Damit kann nicht nur die Publikation von kritischen Karikaturen bestraft werden kann, sondern auch deren Liken und Teilen. Twitter und Facebook sind in Malaysia nicht in erster Linie soziale Medien, sondern alternative Informationsquellen. Diese Gefahr will die Regierung bannen, da mehr und mehr Leute dort ihren Protest kundtun. Aber die Regierung sollte wissen, dass nicht das Internet die Wurzel des Problems ist, sondern sie selbst. Die Probleme bleiben auch nach dem Verbot von Face­book oder Twitter und die Menschen werden Wege finden, ihren Protest zu äußern.
Wie lassen sich Ihre Unterstützer charakterisieren?
Das Schöne am Medium Karikatur ist, dass es Menschen aller sozialen Klassen, aller Altersstufen, Religionen oder Ethnien erreichen kann. Ich habe zehn und 70 Jahre alte treue Fans, ein ehemaliger Richter am Obersten Gericht hat kürzlich ein Buch bestellt, andere Leser sind Studenten oder Menschen aus ländlichen Gebieten. Das macht der Regierung Sorgen, denn andere Medien lassen sich auf bestimmte Gruppen beschränken, nicht aber Karikaturen. In staatlichen Behörden gibt es die Regelung, dass keine oppositionellen Medien mitgebracht werden dürfen, aber Karikaturen fallen nicht darunter.
Ich sage meinen Lesern, dass ich weiß, dass viele von ihnen mit der Regierung unzufrieden sind, aber viele noch nicht bereit sind, gegen die Regierung auf die Straße zu gehen, weil sie etwa im Staatsdienst arbeiten oder als Studenten ein Stipendium haben und Protest sehr riskant wäre. Mit dem Lachen biete ich ihnen eine mächtige Protestform. Kein Regime in der Welt kann sich halten, wenn die Leute es dauernd auslachen.
Kommen Ihre Gegner nur aus Regierungskreisen oder werden Sie auch von Teilen der Bevölkerung abgelehnt und bedroht?
Bislang nur aus Regierungskreisen, aber die Regierung versucht, die Bevölkerung gegen mich aufzubringen. Sie nennen mich einen regierungsfeindlichen Karikaturisten, der zum Aufruhr anstacheln, die Regierung stürzen, die Wirtschaft sabotieren will. Wenn sie meine Bücher verbieten, sagen sie, diese seien gefährlich für die öffentliche Ordnung, und so machen sie den Menschen Angst. Bislang kamen aber Drohungen immer nur von Seiten der Regierung und der Polizei. Ich versuche, mich auf allgemeine Themen zu konzentrieren: Wir haben einen gemeinsamen Feind, das korrupte Regime. Bei mir geht es nicht gegen Religion oder ethnische Gruppen.
Wenn man in Deutschland von einem kritischen Karikaturisten in einem mehrheitlich islamischen Land hört, würde man meist annehmen, es ginge in den Karikaturen um Diskriminierungen im Zusammenhang mit dem Islam, etwa gegen Frauen, Homosexuelle oder Nichtmuslime. Aber das sind nicht Ihre Themen?
Nein, diese Dinge kommen nur hoch, weil die Regierung von der Korruption ablenken will. Die Regierung manipuliert die Religion, um die Menschen zu spalten. Man erfährt nicht, worum es im Islam wirklich geht, sondern man sagt, dass der Islam und beispielsweise LGBT oder Frauen ohne Kopftuch Gegensätze bilden. Wenn man darauf eingeht, macht man nur, was die Regierung will. Wenn man aber zusammensteht und gegen das korrupte Regime vorgeht, das seit 60 Jahren an der Macht ist, kann man zum Beispiel das Bildungssystem ändern. Man kann dann lehren, dass der Prophet Mohammed Gerechtigkeit für alle wollte, dieselben Rechte für alle. Aber das Bildungssystem korrumpiert die Gehirne von Anfang an.
Ist nicht religiöser Konservatismus unabhängig von der Regierung ein Problem bei einem großen Teil der Bevölkerung, das als solches auch kritisiert werden muss?
Ich kenne diese Probleme und sie sind wichtig, aber Priorität hat das korrupte Regime. Welche Probleme gibt es heute in der Welt? Es gibt keinen interreligiösen Dialog, niemand weiß, warum sie überhaupt gegeneinander kämpfen. Frag’ Sunniten und Schiiten, warum sie kämpfen, sie wissen es nicht. Sie wollen keine offene Diskussion darüber, warum sie sich eigentlich hassen. Schau dir den Iran und Saudi-Arabien an, sie nutzen und manipulieren eine Religion, um den Staat zu kontrollieren. Wenn das so weitergeht, wird man nie zusammenkommen. Auch in Malaysia gibt es kein Forum für verschiedene Sichtweisen, man kann nicht darüber reden, dass Nichtmuslime und LGBT auch Menschen sind. Oder darüber, dass man auch Hunde berühren kann, dass auch sie liebenswerte Tiere sind. Noch einmal: Die Lösung ist die Änderung des Bildungssystems, der Art und Weise, wie die Regierung islamische Themen darstellt.
Sie haben kürzlich einen wichtigen internationalen Karikaturen-Preis gewonnen, kürzlich waren Sie für Veranstaltungen und Gespräche in Berlin. Wie wichtig ist internationale Aufmerksamkeit für Sie und andere Oppositionelle in Malaysia?
Meine Mission im Ausland ist es, ein Bewusstsein für die Menschenrechtslage und die mangelnde Meinungsfreiheit in Malaysia zu schaffen, und dabei meinen Fall als einfaches, verständliches Beispiel zu nehmen. Wenn die Leute hören, dass ein Karikaturist mit neun Anklagen und 43 Jahren Gefängnis bedroht ist, öffnet das die Augen für andere Themen. Ich hoffe, dass ich bei meinen Treffen mit Regierungsvertretern in Australien, den USA, Großbritannien oder eben in Berlin bewirken kann, dass sie die Probleme bei ihren Kontakten mit malaysischen Offiziellen ansprechen. Ich hoffe, dass die Leute im Ausland verstehen, dass Malaysia keine Demokratie ist. Eine kritische Wahrnehmung Malaysias kann indirekt Druck auf die dortige Regierung bewirken.
Sie müssen eine sehr lange Gefängnisstrafe befürchten. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus? Erwägen Sie, Malaysia zu verlassen?
Die größten Feinde eines Künstlers oder eines Aktivisten sind nicht nur die Regierung oder die Gesetzgebung, sondern auch die Selbstzensur. Ich will mich nicht selbst zensieren, deshalb versuche ich, nicht so weit in die Zukunft zu denken. Ich will mich nur auf meine Zeichnungen konzentrieren, und tatsächlich zeichne ich immer mehr und denke darüber nach, wie die Formel für die beste Karikatur aussieht, mit der ich die Köpfe von immer mehr Leuten erreichen und die Regierung so hart wie möglich treffen kann. Die große Frage ist: Was ist größer, meine Angst oder meine Verantwortung? Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, und ich will nicht ins Gefängnis, aber bei jedem Kampf hat man eine Chance zu gewinnen. Wenn man nicht kämpft, ist man definitiv der Verlierer.