Besser essen mit Clean Eating und Superfoods

Her mit dem schönen Essen!

Seite 2 – Sauber essen: Eine Revolution?

Sucht man nach einem Oberbegriff für all diese Trends rund um den Hype um gesundes Essen, stoßt man schnell auf »Clean Eating«. Sauber essen, das bedeutet eigentlich nichts anderes als gesunde, vollwertige Ernährung. Doch während Vollwert schwer nach Rohkost, Birkenstock und Körnerbrot klingt, steht Clean Eating für das Gegenteil davon: Es ist der dynamische und genussvolle Ernährungsstil der gesundheitsbewussten Hedonisten.

Und auch hier gilt: Es geht nicht nur ums Essen, sondern um Lifestyle. Wer nach den Regeln des Clean Eating sucht, wird nirgendwo einen eindeutigen Ernährungsplan finden. Das Prinzip ist so einfach wie altbekannt: Man meidet verarbeitete Lebensmittel und Produkte mit künstlichen Zusätzen und versucht, so frisch wie möglich zu essen, am besten selbstzubereitete Gerichte, auch Fleisch sowie Milchprodukte, solange sie »sauber« sind, also nicht aus der Massentierhaltung kommen oder industriell verarbeitet wurden.

Die Tugendwächter des Hedonismus, die befürchten, die grünen Mächte der Finsternis seien dabei, die Welt in eine sterile rauch-, zucker- und fettfreie Hölle zu verwandeln, könnten sich auch mal eine wohlschmeckende, selbstgemachte Mahlzeit gönnen. Vielleicht würden sie herausfinden, dass sie diejenigen sind, die Verzicht praktizieren.

Dass Konservierungs- und Farbstoffe, Geschmacksverstärker, Säuerungsmittel und Aromen nicht ins Konzept einer auch nur halbwegs gesunden Ernährung passen, weiß mittlerweile jedes Kind, und spätestens seit der Bio-Boom auch die Discounter erreicht hat, bekommt auch der gewöhnliche Aldi-Kunde, der sich vermutlich nie große Gedanken über die Qualität der dort angebotenen Lebensmittel gemacht hat, die Chance oder zumindest das Gefühl, sich gesund zu ernähren.

Wozu also der Hype? Die Vermarktungsstrategie war auf jeden Fall erfolgreich. Zurück geht das Konzept auf ein Buch, das schon 2007 veröffentlicht wurde, von dem in den USA Millionen Exemplare verkauft wurden und das Ende 2015 auf Deutsch erschienen ist. »Die Eat-Clean-Diät« lautet der deutsche Titel.

Das ist eine wörtliche Übersetzung des Originals, was zunächst etwas irritierend wirkt, da die Autorin selbst, das kanadische Fitnessmodel Tosca Reno, den Begriff »Diät« als irreführend bezeichnet hat. Auf ihrem Blog, auf ihren Social-Media-Kanälen sowie als Kolumnistin der New York Times spricht sie hingegen von einer »Eat Clean Revolution«. Ihre Botschaft: Verändere deine Ernährung und du wirst dich selbst verändern.

Eine alte Botschaft in ganz neuer Verpackung, wie man auf Fitness- und Ernährungsblogs sowie auf Facebook, Instagram und vor allem Pinterest feststellen kann. Dort gibt es unzählige Beispiele, was Clean Eating ist und wie es aussehen kann. Hier entdeckt man Erstaunliches, etwa, dass ein typisches cleanes Frühstück oft mit Birchermüsli beginnt. Ja, richtig, die Haferpampe aus der Schweiz, sie nennt sich jetzt Overnight Oats. Auf Instagram und Pinterest sehen diese mit knallbunten Früchten stilvoll garnierten Müslischalen aus wie kleine Kunstwerke einer italienischen Gelateria.

Ein Hit, besonders für das Auge, sind auch Mason-Jar-Gerichte, Mahlzeiten im Schraubglas. Besonders beliebt sind dabei Salate, und das geht so: ganz unten ist das Dressing, und dann werden Schicht für Schicht die verschiedenen Komponenten darübergelegt. Aufmachen, in eine Schale umkippen, fertig. Salat zum Mitnehmen, auch kein besonders neues Konzept, aber auf die kunstvolle Komposition kommt es an.

Würde sich nicht gerade Renate Künast hierzulande für so etwas stark machen, setzte sich der Veggie-Day vermutlich von ganz allein in den deutschen Kantinen durch. Ein Highlight in der Clean-Eating-Community findet man unter dem Begriff »Kale«: von Smoothies über Salate, Quiches und Dressings bis hin zu (selbstgemachten) Chips: Grünkohl, wer hätte das gedacht, ist der König der Clean-Eating-Küche. Er gehört zur Kategorie der sogenannten Superfoods, um die derzeit auch ein großer Hype entfacht wird. Diese Körner, Samen, Beeren, Flocken und Pulver mit komischen Namen – Chia-Samen, Goj-Beeren, Acaipulver, Moringa, Kakaonibs –, die man früher nur in den Regalen von Bio-Supermärkten finden konnte, gibt es mittlerweile auch in gewöhnlichen Drogeriemärkten. Superfoods sollen über einen besonders hohen Anteil an wertvollen Inhaltsstoffen verfügen und als Ergänzung des Speiseplans wahre Wunder bewirken,weil sie dem Körper angeblich einen Gesundheitskick geben, der ihm zur Abwehr von Krankheiten verhelfen soll. Und schöner machen sie natürlich auch, wegen der Antioxidantien.

Was Superfoods genau sind und was sie wirklich können, ist nicht wissenschaftlich belegt worden – vermutlich nichts, was etwa geschrotete Leinsamen nicht auch können. Als Topping einer schönen Smoothie-Bowl machen die grauen, nach nichts schmeckenden Körnerchen und bunten Beeren eine ganz andere Figur und die entsprechende Instagram-Hashtags klingen natürlich auch moderner.

Alles nur Marketing also? Möglicherweise, aber so weit muss man es auch nicht treiben. Superfoods hin oder her, unser Verhältnis zum Essen verändert sich dadurch, dass wir über das Essen nachdenken und uns darüber austauschen. Und ja, es macht einen Unterschied, ob wir Essen nur passiv konsumieren oder ob wir damit etwas machen. Die Tugendwächter des Hedonismus, die befürchten, die grünen Mächte der Finsternis seien dabei, die Welt in eine sterile rauch-, zucker- und fettfreie Hölle zu verwandeln, könnten sich auch mal eine wohlschmeckende, selbstgemachte Mahlzeit gönnen. Vielleicht würden sie herausfinden, dass sie diejenigen sind, die Verzicht praktizieren. Nicht nur sie würden davon profitieren, sondern die Esskultur insgesamt.