Saubere Proteste

In Malaysia demonstrierten Hunderttausende für faire und freie Wahlen und ein Ende der Korruption. Der Ministerpräsident soll Millionen veruntreut haben.

Kualar Lumpurs Straßen sind gelb. Es ist die Farbe des Widerstands, die die ansonsten vom Verkehr verstopften Straßen mit Leben füllt. Am vergangenen Wochenende kam es in Malaysia kurz vor dem Unabhängigkeitstag in mehreren Städten zu Demonstrationen. Die regierungskritische Demokratiebewegung »Bersih« hatte zu einem 36stündigen Protest aufgerufen, an dem sich alleine in der Hauptstadt Kuala Lumpur schätzungsweise mehr als 100 000 Menschen beteiligten. Der zentral gelegene Unabhängigkeitsplatz und die umliegenden Straßen wurden über Stunden von Menschenmassen bevölkert. Die Demonstrierenden kamen aus allen Landesteilen angereist und übernachteten teilweise auf der Straße, um ihrem Unmut über die politischen Verhältnisse Ausdruck zu verleihen.

Als Auslöser für die Proteste gilt die Korruptionsaffäre um Ministerpräsident Najib Razak. Ihm wird vorgeworfen, aus einem Staatsfonds, in dessen Vorstand er sitzt, 2,6 Milliarden Ringgit (567 Millionen Euro) veruntreut zu haben. Im Juli hatte Najib den in seinem Fall ermittelnden Generalstaatsanwalt entlassen – aus »gesundheitlichen Gründen«, wie es offiziell hieß. Anfang August erklärte die malaysische Antikorruptionskommission, das Geld auf Najibs Konto stamme aus Spenden, ohne die Angabe zu spezifizieren.

Für die malaysische Opposition brachte dies das Fass wieder einmal zum Überlaufen. »Wir wollen eine saubere Regierung«, fasst einer der Demonstrierenden ihr Anliegen knapp zusammen. Auf Plakaten wird der Rücktritt des Ministerpräsidenten gefordert. Aufschwung hatten die Proteste aber wohl auch erhalten, weil die Landeswährung Ringgit seit einiger Zeit stark an Wert verliert. Viele Malaysierinnen und Malaysier
befürchten, dass die Inflation erneut zu einer schweren ökonomischen Rezession wie im Jahre 1998 im Zuge der Asienkrise führen könnte.

Die Nichtregierungsorganisation Bersih wurde im Juli 2005 gegründet und trat erstmals im November 2006 mit einem Kommuniqué an die Öffentlichkeit. Ein Jahr später mobilisierte sie bereits Zehntausende zu einer Kundgebung in Kuala Lumpur. Das malaysische Wort bersih bedeutet so viel wie »sauber«. Das Hauptanliegen war die Kritik an dem durch Intransparenz und Betrugsfälle gekennzeichneten Wahlsystem. In ihrem Acht-Punkte-Papier fordert die Bewegung unter anderem die Verlängerung der Wahlkampfzeit auf mindestens 21 Tage, freien und fairen Medienzugang für alle Parteien und ein Ende der
Korruption. »Erst wenn Wahlen frei und sauber abgehalten werden, können die Bürger ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und erwarten, dass die Inhaber öffentlicher Ämter effektiv und mit Pflicht zur Rechenschaft arbeiten«, heißt es auf der Homepage der Organisation.

In Malaysia regiert seit der Unabhängigkeit im Jahre 1957 die Koalition »Barisan Nasional« (Nationale Front, BN). Die BN wird von der »United Malays National Organisation« (UMNO), der stärksten Partei des Landes, angeführt. Die konservative Partei versteht sich explizit als Repräsentantin der malaiischen Mehrheitsbevölkerung. Knapp ein Viertel der malaysischen Gesellschaft gehören der chinesischen Minderheit an; etwa sieben Prozent sind indischer Herkunft. Sie sind nicht gleichberechtigt mit Malaien, die viele Privilegien genießen. So sieht etwa Artikel 153 der Verfassung zur Wahrung der Sonderstellung der Malaien besondere Quoten für den Eintritt in den öffentlichen Dienst, die Vergabe von Stipendien und den Zugang zu staatlicher Bildung vor.

Diese ethnisierte Politik führte in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten und Spannungen. Es ist daher kein Zufall, dass die oppositionellen Bewegungen und Parteien gerade aus den Reihen der ethnischen Minderheiten viel Zulauf erhalten. Dass es der Opposition bisher
nicht gelungen ist, einen Machtwechsel zu erreichen, hängt auch eng mit jenen autoritären Maßnahmen des herrschenden Regimes zusammen, die Bersih scharf kritisiert. So sah sich der Anführer der Opposition, Anwar Ibrahim, bereits mehreren mutmaßlich politisch motivierten Strafverfahren wegen unerlaubter homosexueller Handlungen ausgesetzt. Vor Gericht wurde er mehrmals freigesprochen, dennoch musste er im Februar dieses Jahres eine fünfjährige Haftstrafe antreten.

Oppositionsparteien werden in Malaysia auch strukturell benachteiligt. Am Rande der Demonstration steht eine Handvoll Personen, die Unterschriften für eine Reform des Wahlrechts sammeln. Auf Bundesebene herrscht in Malaysia ein Mehrheitswahlrecht, das starke Parteien begünstigt. Der Ministerpräsident wird zudem nicht direkt gewählt, sondern von den Abgeordneten im Parlament. »In manchen Wahlbezirken leben 160 000 Menschen, in anderen dagegen nur 40 000«, erklärt einer der Gruppe, während er mit seiner Hand auf Statistiken und Tabellen deutet. »Trotzdem schickt jeder Wahlbezirk nur einen Abgeordneten ins Parlament. Das hat zur Folge, dass die Stimmen der kleinen Wahlbezirke bis zu vier Mal mehr wert sind.« Die kleineren Bezirke seien traditionell von Anhängern der Regierung dominiert, erzählt der junge Mann. Das bestehende Wahlrecht führte bei den Wahlen im Jahr 2013 dazu, dass die regierende BN an der Macht blieb, obwohl auf das Oppositionsbündnis insgesamt mehr Stimmen entfielen (Jungle World 20/2013). »Das ist einfach ungerecht«, sagt der Mann. Er und seine Gruppe schlagen vor, die Wahlbezirke neu aufzuteilen, damit jeder Abgeordnete im Parlament gleich viele Wahlberechtigte repräsentiert.

Zum nun vierten Mal seit ihrer Gründung demonstrierten die Anhängerinnen und Anhänger von Bersih. Bei den vorangegangenen Protesten war es teils zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. So wurde die erste Kundgebung aufgrund eines von der Regierung erlassenen Versammlungsverbots von den Ordnungskräften unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern aufgelöst. Vor der zweiten Demonstration wurden mehrere Mitglieder der Bewegung verhaftet. Auch dieses Mal wurde der Protest offiziell verboten und das Tragen gelber T-Shirts und des Bersih-Logos untersagt. Die Website der NGO wurde für längere Zeit von der Regierung blockiert.

Trotz der angespannten Situation strömen die Menschen am Sonntag gut gelaunt zum Kundgebungsort und skandieren Parolen. Am Straßenrand wird an einigen Stellen Wasser kostenlos an Demonstrierende verteilt. Die Stimmung auf der Demonstration ist ausgelassen, es beteiligen sich viele Familien mit Kindern. »Bisher gab es kein Tränengas, es ist fast ein bisschen langweilig«, scherzt ein Demonstrant. Tatsächlich weiß zu diesem Zeitpunkt niemand, wie der Abend verlaufen wird. »Don’t shoot, medical team«, steht vorsichtshalber auf einem Banner über dem Zelt der Demonstrationssanitäter.


Kurz vor Mitternacht verließen viele der Demonstrierenden nach dem Protestmarathon die Kundgebung, um an den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag teilzunehmen. Die Polizei, die sich während der beiden Tage eher defensiv verhalten hatte, zog ein zufriedenes Resümee; abgesehen von kleineren Vorkommnissen sei es zu keinen Störungen gekommen. Auch die Organisatoren beendeten die Aktion angesichts der großen Beteiligung und des friedlichen Verlaufs mit einem positiven Fazit. »Wir haben Geschichte geschrieben«, freute sich ein Demonstrant auf Twitter. Wenig überraschend hörte man von Ministerpräsident Najib Razak andere Töne. Er hatte den Protestierenden zuvor mangelnde »Liebe zu ihrem Vaterland« vorgeworfen und erklärte am Tag nach den Protesten Demonstrationen grundsätzlich für »unanständig«. Auch The Star, die auflagenstärkste englischsprachige Zeitung in Malaysia, schrieb am Montag auf der Titelseite: »Nach einem Wochenende der Angst und der Anspannung ist es nun an der Zeit, die Differenzen beiseite zu schieben und zusammenzukommen, um als eine Nation unseren Nationalfeiertag zu zelebrieren.«

Angesichts der anhaltenden Diskriminierung ethnischer Minderheiten wird die nationale Einheit jedoch auf absehbare Zeit ein frommer Wunsch bleiben. Überdies ist fraglich, ob sich der Ministerpräsident tatsächlich durch außerparlamentarischen Druck zum Rücktritt bewegen lässt und ob sich tiefergehende Veränderungen im politischen System einstellen werden. Doch auch wenn die Forderungen der Demokratiebewegung bei den Machthabern auf taube Ohren stoßen sollten, ist Bersih eines gelungen: Die Bewegung hat es geschafft, einen massenhaften Protest auf die Straße zu tragen, der die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft vereint und ihnen Hoffnung auf ein anderes Miteinander gibt.