Ein Blockupy-Demonstrant wurde verurteilt

»Kein typischer Chaot«

Das Frankfurter Amtsgericht hat am Mittwoch voriger Woche den ersten Demons­tranten wegen der Beteiligung an den Ausschreitungen bei den Blockupy-Protesten im März verurteilt.

Als Federico A. um kurz vor neun Uhr mit Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde und das erste Mal in Richtung Publikum blickte, konnte er sich ein Augenzwinkern nicht verkneifen. Viele Freunde und Bekannte waren gekommen, einige trugen rote T-Shirts mit seinem Konterfei, auch seine Eltern saßen in der ersten Reihe. Die meisten von ihnen hatte der 23jährige Italiener, der in London studiert, seit vielen Wochen nicht mehr gesehen. Seit dem 18. März saß er in Untersuchungshaft. Federico A. wurde in den Morgenstunden am Rande der Blockupy-Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main festgenommen, wegen »Fluchtgefahr« wurde er nicht wieder entlassen.

Die Staatsanwaltschaft legte ihm die Beteiligung an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei zur Last. Der Anklageschrift zufolge hat »Fede«, wie er von seinen Freunden genannt wird, am Morgen des 18. März insgesamt vier Pflastersteine und eine leere Bierflasche in Richtung einer Berliner Polizeieinheit geschleudert, zwei Beamte wurden am Oberkörper getroffen und dabei leicht verletzt. Aufgrund seiner auffälligen Kleidung – er trug zur Tatzeit eine leuchtend rote Regenjacke – war er für die vor Ort anwesenden Polizeibeamten in Zivil problemlos zu erkennen und über längere Zeit zu verfolgen. Etwa eine Stunde nach den Angriffen kam es zur Festnahme.
Gleich zu Beginn kündigte Federico A. ein umfassendes Geständnis an. Er wolle sich nicht als »Opfer oder Unschuldiger« darstellen. »Es ist richtig, dass ich mich für das, was ich gemacht habe, vor Gericht verantworten muss – das steht außer Frage«, sagte A. in seiner auf Italienisch gehaltenen Erklärung, die von einer Dolmetscherin übersetzt wurde. Er und seine Freunde seien an dem besagten Tag in Frankfurt unterwegs gewesen, um friedlich gegen die Politik der EZB zu protestieren. In der Stadt habe da ­bereits das »totale Chaos« geherrscht. Er und seine Gruppe seien zeitweise im Durcheinander gefangen gewesen, so der Student.
Dann sei eine Freundin von einem Polizisten angegriffen und verletzt worden. Er habe ihre geschwollene und blutige Lippe gesehen, sagte A. Der Anblick habe ihn wütend gemacht. In der aufgeheizten Situation habe er auf diese Gewalttätigkeit seinerseits mit Gewalt reagiert und zwei Steine auf Polizisten geworfen. Es sei eine »unvorsichtige, exzessive Handlung« gewesen, erklärte der Student in seiner Einlassung. »Es würde mir sehr leid tun, wenn ich durch mein Handeln jemanden verletzt hätte.« Den Wurf von zwei weiteren Steinen und das Schleudern der Bierflasche stritt er ab.
Die als Zeugen geladenen Polizisten einer Berliner Einsatzhundertschaft bestätigten im Wesentlichen die von der Anklage erhobenen Vorwürfe. Zwei der geladenen Beamten waren von einer Maskenbildnerin mit Perücken und Bärten so verkleidet worden, dass selbst die im Gerichtssaal anwesenden Polizisten sich beim Anblick ihrer Kollegen ein Lachen nicht verkneifen konnten. Sie hätten ihr Äußeres zum »Schutz der zivilen Tätigkeit« verändert, sagte einer von ihnen.

Die Unterstützung für Federico A. war von Beginn an groß. Kurz nach seiner Festnahme wurde unter dem Motto »Free Fede« zur Solidarität aufgerufen. »Wir wollten Federico einfach zeigen, dass wir draußen für ihn da sind und auf ihn warten«, sagt Helen, die die Kampagne zusammen mit ­anderen Freunden und Kommilitonen initiiert hat. »Dass unsere Aktion international bekannt wird und so viel Resonanz erfährt, hätten wir nicht für möglich gehalten.« Dutzende Menschen schickten Fotos aus aller Welt, selbst prominente linke Intellektuelle wie David Harvey und Michael Hardt erklärten sich solidarisch mit »Fede«. In vielen Städten kam es zu Protestaktionen. Auch an ihrer Londoner Universität hätten sie und ihre Mitstreitenden viel Zuspruch bekommen, sagt Helen. Einige Professoren hätten sogar Geld gespendet, damit möglichst viele seiner Freunde zum Prozess nach Frankfurt fliegen konnten.
Als die Richterin am Nachmittag das Urteil verkündete, war die Freude groß. Weil sie es als erwiesen ansah, dass Federico A. fünf Gegenstände auf Polizisten geworfen hatte, verurteilte sie ihn wegen schweren Landfriedensbruchs und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 14 Monaten. Die Vollstreckung der Haft wurde aber zur Bewährung ausgesetzt. Damit folgte die Richterin dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte sich in ihrem Plädoyer auf kein konkretes Strafmaß festlegen wollen. Überhaupt entstand der Eindruck, dass ihre Strategie vor allem darauf zielte, den Ruf des Studenten zu re­habilitieren. Er sei »kein typischer Chaot«, sagte der Anwalt mehrfach über seinen Mandanten.

Neben der Freude über die Freilassung des Aktivisten war vielen Blockupy-Sympathisanten auch die Enttäuschung über sein kooperatives Verhalten vor Gericht anzumerken. Viele glauben, dass an dem Londoner Studenten ein Exempel statuiert werden sollte und der Prozess deswegen politischer hätte geführt werden müssen. »Getroffen hat es einen, gemeint sind wir alle«, stand auf einem Transparent, das am frühen Morgen auf einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude zu sehen war. Man sei erfreut, dass »Fede« endlich wieder in Freiheit sei, hieß es in einer Mitteilung der »AG Antirepression« von Blockupy. Das Urteil zeige aber auch, »dass eine Kooperation mit dem Gericht und Distanzierung von Militanz nicht vor Strafe schützt«. Die Richterin hatte dagegen in der Urteilsbegründung betont, dass die Strafe deutlich härter ausgefallen wäre, hätte Federico A. sich nicht geständig gezeigt.
Federico A. ist bislang der einzige Demonstrant, gegen den nach den Ausschreitungen Anklage erhoben wurde. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft kündigte indes »umfangreiche Ermittlungen« wegen weiterer Straftaten an. Polizeipräsident Gerhard Bereswill sprach kurz nach dem 18. März von den »schlimmsten Krawallen, die es in Frankfurt in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat«. Insgesamt werde deshalb gegen 25 namentlich bekannte Verdächtige ermittelt – angesichts von »4 000 hemmungslos agierenden Straftätern«, die der Polizei zufolge am Morgen der Eröffnungsfeier der EZB in der Stadt unterwegs waren, eine eher dürftige Bilanz.
Aus diesem Grund stehen die Ermittler offenbar unter Erfolgsdruck. Seit dem 18. März ist es im Zuge der Proteste gegen die beinahe wöchentlich stattfindenden Pegida-Kundgebungen in Frankfurt wiederholt zu vorübergehenden Festnahmen und Personalienfeststellungen mit Bezug auf den Blockupy-Aktionstag gekommen. Das LKA Niedersachsen fahndet zudem öffentlich und mithilfe von Fotos nach einem vermummten Mann, der am Rande der Blockupy-Proteste einen Polizeibeamten in die Wade getreten haben soll. Vor drei Wochen durchsuchte deshalb die Polizei in Frankfurt die Wohnung eines 24jährigen Gewerkschafters. Nachdem der Mann glaubhaft versichern konnte, dass er zur Tatzeit gar nicht in Frankfurt war, wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
Während die Polizei versucht, weitere Verdäch­tige zu ermitteln, wird in der Politik die Verschärfung des Strafrechts vorangetrieben. Hessens schwarz-grüne Landesregierung kündigte nach den Ausschreitungen an, im Bundesrat einen Gesetzesentwurf für die Einführung eines »Schutzparagraphen 112« einzubringen. Dieser sieht für Angriffe auf Polizei- und Rettungskräfte eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Ulrich Wilken von der Linkspartei warnte, dass es den Hass auf die Polizei nicht eindämme, sondern geradezu fördere, wenn »wegen der Berührung eines Polizisten oder einer letztlich eher harmlosen Rangelei Menschen zukünftig ins Gefängnis kämen«.