Erinnerung an den Anschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in Hamburg von 1980

Erinnern im Abseits

Am 22. August 1980 ermordeten Mitglieder des rechtsextremen Terrornetzwerks »Deutsche Aktionsgruppen« zwei Menschen in einem Hamburger Wohnheim für Flüchtlinge. Eine Initiative organisierte erstmals eine Gedenkveranstaltung.

Am östlichen Hafenrand, vor dem Amedia Hotel, zwischen Ikea, Sattelschleppern und Bahngleisen gedachten am vergangenen Sonnabend rund 50 Menschen Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô. Sie legten Blumen nieder und verharrten eine Minute in Schweigen, nachdem ein damaliger Bewohner des Flüchtlingswohnheimes über die Unmöglichkeit gesprochen hatte, das Erlebte zu vergessen. Zum Abschluss der Kundgebung führte er die Teilnehmer auf die Rückseite des heutigen Hotels und zeigte ihnen das Fenster, dessen Scheibe am 22. August 1980 kurz nach Mitternacht eingeschlagen worden war. Drei Ein-Liter-Molotowcocktails landeten zwischen zwei Metallbetten. Darin schliefen der 22jährige Nguyên und der 18jährige Lân Dô, erst wenige Monate zuvor waren sie aus Vietnam geflohen. In den Zimmern neben ihnen wohnten rund 200 Asylsuchende aus Afghanistan sowie Boat People aus Vietnam. An die Wand ihrer Unterkunft in der Halskestraße schmierten die Täter mit roter Farbe »Ausländer raus!«.

34 Jahre später ist dieser Anschlag in Billwerder-Moorfleet nahezu vergessen. An dem Haus, mittlerweile ein Hotel, erinnerte bis Samstag nichts daran, dass hier zwei Menschen aus blankem Hass auf Nichtdeutsche ermordet wurden. Ihre Gräber auf dem Öjendorfer Friedhof sind längst eingeebnet worden. Als Auftakt für ein würdiges Gedenken stellten die Teilnehmer der Kundgebung eine Tafel, die an die Ermordeten erinnert, vor dem Gebäude auf. Eine Stunde nach der Veranstaltung wurde sie auf Anweisung der Hotelleitung von Mitarbeitern wieder abgebaut. Die Idee zur Gedenkkundgebung hatte sich aus der Veranstaltungsreihe »Vom rassistischen Normalzustand zum Nationalsozialistischen Untergrund« heraus entwickelt, die im September vorigen Jahres begonnen hat und mittlerweile fast 20 Vorträge und Diskussionsrunden umfasst.
Wenige Wochen nach dem Doppelmord und Monate nach Beginn einer rechtsextremen Anschlagsserie in verschiedenen Städten Westdeutschlands fasste die Polizei die Täter. Im September 1980 wurden mehrere Mitglieder des rechtsextremen Terrornetzwerks »Deutsche Aktionsgruppen« verhaftet, darunter der 50jährige Raymund Hörnle, die 24jährige Radiologieassistentin Sibylle Vorderbrügge aus Bremerhaven und ihr damaliger Geliebter, der kürzlich verstorbenen ehemalige Rechtsanwalt Manfred Roeder, außerdem der 51jährige Hals-Nasen-Ohren-Arzt Heinz Colditz aus Baden-Württemberg, seine in Hamburg arbeitende Tochter Gabriele und deren Verlobter Klaus Peter Schulz. 1982 verurteilte das Stuttgarter Oberlandesgericht vier von ihnen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen.

»Die Taten gelten als die ersten dokumentierten rassistisch motivierten Morde nach 1945, auch wenn es sicher eine Dunkelziffer zwischen 1945 und 1980 gibt«, sagt Kien Nghi Ha, Politikwissenschaftler und Herausgeber des Buches »Asiatische Deutsche«. Insofern habe der Anschlag »historische und politische Brisanz«. Trotzdem sind die Morde aus dem öffentlichen Gedächtnis der Stadt gestrichen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Medien damals ausführlich über den Anschlag berichteten, Politiker öffentlich die Tat verurteilten und die Stadt Hamburg sich um die Beisetzung der beiden vietnamesischen Männer kümmerte. Vor den beiden Reihengräbern hielt Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) die Trauerrede, etwa 400 Menschen hörten ihm zu.
Über 30 Jahre später, am 6. Februar dieses Jahres, behauptete Ulrike Sweden in der Sendung »NDR aktuell«: »Wir haben hier in Hamburg einen Brandanschlag mit fremdenfeindlichem Hintergrund noch nie gehabt.« Die Polizeisprecherin stand vor der verrußten Fassade der Flüchtlingsunterkunft in der Eimsbütteler Straße, in der gerade eine Frau und ihre beiden kleinen Söhne bei einem Feuer ums Leben gekommen waren. Die Polizei zog neben einem technischen Defekt auch Brandstiftung als Ursache in Betracht. Viele Beobachter fürchteten angesichts zunehmender Angriffe auf Asylunterkünfte eine rassistische Motivation, was sich aber nicht bewahrheitete. Wie bei Sweden so ist auch bei den meisten Hamburgern die Erinnerung daran verblasst, dass rechtsextreme Täter Brandwaffen und Rohrbomben in der Stadt einsetzten. Janusz-Korczak-Schule 1980 mit zwei Verletzten? Flüchtlingswohnheim Halskestraße 1980 mit zwei Toten? Nazi-Schläger, die Mehmet Kaymakci und Ramazan Avci 1985 auf der Straße zu Tode prügelten? Das Vergessen gehört zur Geschichte des verdrängten Rassismus der Mehrheitsgesellschaft. Abgesehen von politischen Prozessen ist das Ob und das Wie des Erinnerns auch eine Generationenfrage. Gedenken braucht mitunter Zeit, ist nicht konfliktfrei und hat Konjunkturen. Bisweilen hängt es auch von der po­litischen Opportunität der Gedenkthemen ab, vor allem, wenn sich staatliche Institutionen einschalten.
Kien Nghi Ha zufolge ist auch in der deutsch-vietnamesischen Community ein Erinnern und Gedenken an rassistische Gewalt kaum vorhanden. Neben dem häufig anzutreffenden Wunsch nach Versöhnung begründet er diesen Umgang vor allem mit dem alltäglichen Rassismus in Deutschland: »Es erfordert Mut, sich mit Situationen zu beschäftigen, die mit Erniedrigung und Scham verbunden sind.« Wenn dann ein Gedenken von der allgemeinen Öffentlichkeit, wie so oft, auch noch als widerständiger Akt empfunden, das Anliegen womöglich lächerlich gemacht oder in Frage gestellt werde, müssten die Betroffenen besondere Ressourcen mitbringen. »Viele fühlen, ob bewusst oder unbewusst, dass man in einer Gesellschaft lebt, in der es besser ist, kein Problem zu machen«, und der Brandanschlag stelle ein solches Problem dar, so Kien Nghi Ha.

Es war das Bekanntwerden des rechtsextremen Terrornetzwerks »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) im November 2011, das das Thema wieder aktuell machte. So recherchierte der Journalist Frank Keil kurz darauf die Hintergründe des Brandanschlags in der Halskestraße, sprach mit Angehörigen und Bekannten der Ermordeten und brachte den Mord damit nach über drei Jahrzehnten wieder ins öffentliche Gespräch. Es folgten Veranstaltungen und die Idee, ein würdiges Gedenken in der Stadt zu befördern.
»Auch wenn die Taten 34 Jahre her sind, sind sie aktueller denn je, denn sie zeigen die Kontinuitäten«, sagt der Rechtsanwalt Ünal Zeran. Der NSU habe enge Verbindungen zum Rechtsterroristen Manfred Roeder, dem Gründer der »Deutschen Aktionsgruppen«, gehabt. Zudem erinnert er in seiner Rede zum Jahrestag des Brandanschlags daran, dass der NSU-Mord an Süleyman Taşköprü von 2001 keineswegs der erste und einzige rassistisch motivierte Mord in Hamburg gewesen ist. Dies werde aber in der Öffentlichkeit oft so dargestellt.
»Wir wollen unsere Geschichte selbst bestimmen. Wir wollen keine institutionelle Erinnerungskultur etablieren, die jegliche Verantwortung von sich weist«, sagt Zeran. Er wolle staatliche Institutionen nicht aus der Verantwortung für die Geschichte entlassen und verwies darauf, wie schnell die Opfer rassistischer Gewalttaten zu Tätern gemacht oder diffamiert wurden. Er erinnerte auch daran, dass im Falle Avci gegen weitere mutmaßliche Täter gar nicht ermittelt wurde, obwohl sie identifiziert worden waren. Schließlich sei ein skandalöses Urteil wegen Totschlags gefolgt, da man ein politisches Motiv für eine Verurteilung wegen Mordes geleugnet habe.
Erstaunlich still sei es auch um die Rolle der staatlichen Institutionen im Falle der Ermordung des Hamburger NSU-Opfers Süleyman Taşköprü geworden. Spätestens nach der Bürgerschaftswahl im Februar kommenden Jahres müsse auch in Hamburg ein Untersuchungsausschuss die Rolle der Sicherheitsbehörden prüfen. Seine Rede beendete er mit Worten von Ignatz Bubis, dem früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland: »Wenn wir die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten lassen, dann nicht um Schuldgefühle zu erzeugen, sondern wir tun es für die Zukunft.«