Ohne Berührungsängste

Mit Brechts »Ballade von der Judenhure Marie Sanders« und der Feststellung, dass es sich bei der Behauptung, »Juden hätten aufgrund irgendwelcher Bestandteile ­ihres Bluts oder Bestandteile ihres Glaubens irgendetwas ganz Besonderes mit Finanzspekulation zu tun«, um »vollkommenen Unsinn« handele, eröffnete Diether Dehm am 9. Juni seinen Beitrag zur Berliner Montagsmahnwache. Offenbar war es dem Bundestagsabgeordneten der Linkspartei und Liedermacher wichtig, sich in diesem Kontext von vorneherein von antisemitischen Ansichten zu distanzieren. Schließlich war die Mahnwache, die seit Mitte März wöchentlich vor dem Brandenburger Tor abgehalten wird, immer wieder dadurch aufgefallen, dass sich auf ihr jede Menge Reichsbürger, Chemtrail-Paranoiker, Rothschild-Dämonisierer und andere Verschwörungstheoretiker tummelten. War Dehm also hier, um Aufklärung zu betreiben? Wohl kaum. Stattdessen versuchte der Komponist von Schlagern wie »Tausend und eine Nacht« bei seinem klanglich und ästhetisch an Schützenfestidylle gemahnenden Auftritt mäßig erfolgreich, die »Neue Friedensbewegung« dazu zu bringen, die von ihm verfassten Hymnen ihrer Vorgängerin aus den Siebzigern zu singen. An der kruden Weltanschauung seines Vorredners, des Mahnwacheninitiators Lars Mährholz, hatte er hingegen nichts zu kritisieren. Dieser hatte zuvor bekannt, sich erst seit kurzem mit dem Begriff »Faschismus« zu beschäftigen, sah sich allerdings berechtigt, Jutta Ditfurth genau diesen zu unterstellen, da sie öffentlichkeitswirksam gegen die Mahnwachen »hetze«. Auch ist Mährholz der Meinung, in einem »Bankenfaschismus« zu leben.
Im Gegensatz zum Großteil seiner Partei hat Dehm keinerlei Scheu, auf Bühnen zu sprechen, die solchen Ideen nicht nur Platz einräumen, sondern allein für sie eingerichtet wurden. Aber warum sollte einer, der einen Großteil der deutschen Medien in der Hand der NSA wähnt, auch daran Anstoß nehmen? Als aufrechter Kämpfer gegen »Faschisten« und »nothing more« weiß Dehm, wo diejenigen zu suchen sind, die es wirklich zu stigmatisieren gilt. Jürgen Elsässer jedenfalls freute sich sehr, mit diesem »aufrechten Genossen«, der so »überhaupt kein Anhänger der political correctness« sei, endlich den ersten Bundestagsabgeordneten bei den Mahnwachen willkommen heißen zu dürfen. In der Linkspartei dürfte Dehms Auftritt hingegen zu einigen Diskussionen führen.