Hat die William-Burroughs-Retrospektive in Hamburg besucht

Unhappiness is a warm gun

Die Hamburger Retrospektive auf William S. Burroughs Werk zeigt den Schriftsteller als Multimediakünstler und handelt vom Scheitern.

Am schönsten sind Retrospektiven, die eigentlich gar keine sind. Die Hamburger Retrospektive auf William S. Burroughs in der Sammlung Falckenberg ist so eine. Weder fängt sie mit Burroughs an, noch hört sie mit Burroughs auf. Natürlich erzählt sie all die Legenden, die es zu erzählen gibt, wenn es um den US-amerikanichen Schriftsteller geht: Legenden von Drogen, Tod und Liebe, Legenden von Heroinsucht, seinen Affären mit Männern aus dem Kreis der Beatniks und dem gewaltsamen Tod seiner Frau Joan. Und natürlich kommen seine großen Romane »Junkie« und »Naked Lunch« genauso vor wie das Musical »The Black Rider«, das er gemeinsam mit Tom Waits und Robert Wilson realisierte.
Der New Yorker Künstler Jean-Michel Basquiat hat 1983 die Skizze einer Wirbelsäule auf ein Blatt Papier gedruckt und sie Burroughs gewidmet. Auch sie wird in der Ausstellung gezeigt. Die Kuratoren der Ausstellung haben sich entschlossen, eine weit größere Geschichte zu erzählen als bloß die eines Künstlerlebens, das sich seinen Weg bahnt immer geradeaus zum Erfolg. Geschichte als Geschichte der Sieger zu erzählen, als Geschichte unterschätzter Qualitäten, die sich schließlich durchsetzen, ist eher der Stoff von Biopics. In dieser Ausstellung wird dagegen das Verlieren als lebenslänglicher Prozess gezeigt, der allerdings von einigen kleinen Siegen begleitet wird.
Rausch und Gewalt sind leitende Motive für Burroughs, sie quälen ihn und sind gleichzeitig fundamental für sein Schaffen, sind Fluch und Segen gleichermaßen. Ein fürchterliches Wechselspiel: Am 6. September 1951 erschoss Burroughs in Mexiko-Stadt bei einem Saufspiel seine Frau Joan. Anstelle des Glases, das sie auf ihrem Kopf balancierte, traf seine Kugel ihre Stirn. Die schrecklichen Bilder, die Schuld und die Trauer verfolgten ihn sein Leben lang und waren doch auch sein Antrieb zum Schreiben, wie es heißt.
Dass die Hamburger Schau nicht nur eine Retrospektive auf das Werk des Künstlers ist, hat gewiss mit Burroughs kollektiver Arbeitsweise und dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Leben und Kunst zu tun. Der Name »Burroughs« wird gewissermaßen kollektiviert, er wird zum Signum eines künstlerisch tätigen Freundeskreises, einer Jugendbewegung und einer künstlerischen Technik und Tradition. So sind auch viele Gemeinschaftsarbeiten ausgestellt, etwa das Objekt »Dreamachine«, das Burroughs zusammen mit seinem Freund Brion Gysin entworfen hat: ein auf einen Plattenspieler montierter zerschnittener Lampenschirm, der halluzinatorische Schatten wirft.
Einige wenige Gegenstände werden in der Schau wie Reliquien aufbereitet, darunter eine Schreibmaschine der Marke Underwood, »the holy typewriter«, wie die Beatniks sie nannten. Schwer thront sie auf einem weißen Sockel und verströmt die Aura des Einzigartigen. Dabei war dieses Exemplar für Burroughs nur eines unter vielen. Seine Schreibmaschinen waren dem chronisch verschuldeten Schriftsteller keineswegs heilig, nicht selten endeten sie beim Pfandleiher. Die Verehrung des Objekts wird eine Etage darüber karikiert, indem dort eine Schreibmaschine in Gestalt eines ekligen Käfers gezeigt wird, ein Requisit aus David Cronenbergs Verfilmung von »Naked Lunch« aus dem Jahr 1991.
Auf einem anderen Sockel glänzt stählern ein grobes Teppichmesser zwischen Fetzen einer mit Schreibmaschine beschriebenen Seite. Wie ein Heiligenschein wölbt sich darüber eine Glaskuppel. Was aber ist der »Cut« bei Burroughs und was unterscheidet den Cut-up von der Collage? Berechtigte Fragen, denn geschnippelt wird in der Bildenden Kunst seit Anfang des 20. Jahrhunderts: Georges Braque und Pablo Picasso haben Zeitungsauschnitte in ihre Bilder integriert, Dadaisten und Surrealisten haben die gedruckte Welt mit der Schere auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. So wurden Wirklichkeit seziert und neue Zusammenhänge erschlossen. Der Film basiert auf Schnitten, Sinnzusammenhänge werden mittels Bildmontagen hergestellt. Filmschnitt und Filmmontage schaffen eine eigene Art der Grammatik.
Was zunächst am Cut-up auffällt, ist eine gewisse Form der Autoaggressivität. Der Text, der da zerteilt in der Vitrine ruht, ist vom Cutter selbst verfasst worden. Es sind eigene Gedanken, die hier auf recht drastische Weise auseinandergerissen und neu geordnet werden. Der Prozess, in dem Werke wie »Naked Lunch« entstanden sind, erscheint als eine Tortur: »Schreiben in der Abfolge von Rauschzuständen und Entzugsphasen«, wie der Sammler und Kurator Harald Falckenberg schreibt.
Als Bildender Künstler ist Burroughs bislang recht unbekannt. Dabei hat er seine in der Literatur erprobten Techniken in den Bereich der Sound- und Videokunst, der Malerei und Materialarbeit übertragen. Die in Hamburg ausgestellten Arbeiten überzeugen zwar für sich genommen, dennoch wirken sie immer im Kontext des literarischen Werkes. Vielleicht, weil viele bildnerische Arbeiten einen sehr literarischen Charakter haben?
Burroughs ist der informellen Malerei verbunden. Die Retrospektive zeigt Bilder aus den fünfziger, achtziger und neunziger Jahren. Orientierung gibt nur die Bildbeschriftung. Die Berechtigung und Aktualität künstlerischer Praktiken hat dennoch einen Zeitkern: Es ist etwas anderes, 1955 informell zu malen, als 1995. Was aber, wenn ein Bezug auf etwas scheinbar immer Gültiges hergestellt wird? Sein Bild von 1989, »Helpless Pieces in the Game He Plays«, erinnert an die Höhlenmalerei von Lascaux. Burroughs hat mit groben Strichen dunkelrote Farbe auf die Rückseite von Kartonverpackungen aufgetragen. Man erkennt Schriftzeichen, erdig und blutig wirken sie. Darin zeigt sich ein tief archaischer Zug, mit Anspruch auf Aktualität. Das Material wird seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und dem Zufall überlassen. Farbe fließt und spritzt über die Blätter, wenn man sie aufs Blatt kippt oder wirft, statt sie säuberlich mit dem Pinsel aufzutragen. Malen wird hier zum Gewaltakt.
Offensichtlich wird die Gewalttätigkeit in den Schießbildern, etwa »The Golden Boat« (1982). Hierfür hat Burroughs vor einem Stück Sperrholz Farbdosen platziert und dann mit einem Gewehr darauf geschossen. Es entstehen Löcher, die Kugeln öffnen die Oberfläche der Industrieholzplatten und legen den Blick auf ihre Struktur frei. In den Materialangaben heißt es: »gun­shot holes and paint on plywood«.
Die Arbeit erinnert an die Schießbilder von Niki de Saint Phalle aus den fünfziger Jahren und an das auf eine Zielscheibe montierte Foto des französischen Präsidenten Charles de Gaulle der Situationisten aus dem Jahr 1963.
Neben einem Video, in dem Burroughs zur amerikanischen Nationalhymne »A Thanksgiving Prayer« rezitiert, haben die Kuratoren einen zur US-Flagge stilisierten orientalischen Teppich gehängt. Es ist dies eine Arbeit der mexikanischen Künstlerin Lorena Herrera Rashid von 2009. Offenbar handelt es sich um einen Kommentar zum aktuellen politischen Weltgeschehen. Formal radikal, inhaltlich leider ein Allgemeinplatz.

William S. Burroughs Retrospektive. Sammlung Falckenberg/Deichtorhallen Hamburg. Bis 18. August.