Der Umgang der Bundesregierung mit iranischen Exiloppositionellen

Sondergesandter der Herrschenden

Iranische Exiloppositionelle leben gefährlich im Irak. Deutsche Diplomaten und die Bundesregierung verschlimmern ihre Lage noch.

»Warum wusste ich nichts? Was brachte die Medien dazu, nicht über Ashraf zu sprechen?«
Das waren Fragen, die der Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel vor zwei Jahren stellte. Kurz zuvor hatte die irakische Armee bereits das zweite Massaker an iranischen Angehörigen der Volksmudjahedin (MEK) verübt, die im Flüchtlingslager Ashraf in der irakischen Provinz Diyala lebten. 36 Menschen waren ums Leben gekommen.
Auf Druck der irakischen Regierung, der USA und der UN mussten die Iraner 2012 in das wesentlich kleinere Camp Liberty umziehen. Dort wurden sie am 9. Februar dieses Jahres mit Raketen beschossen, acht Einwohner starben. Drei getötete Iraner hatten eine Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Hamid Rabi, der auch unter dem Namen Abbas Djoohari bekannt war, wurde schwer verletzt und verstarb, nachdem ihm die deutsche Botschaft eine Einreiserlaubnis zur medizinischen Behandlung verweigert hatte. Nach Angaben der MEK wurden die Angriffe direkt mit dem religiösen Führer Ali Khamenei unterstellten iranischen Quds-Brigaden koordiniert.

Mitte vergangener Woche lud das Deutsche Solidaritätskomitee für einen freien Iran zu einer Pressekonferenz im Berliner Bundespresseamt, an der neben deutschen Politikern und Juristen Tahar Boumedra aus Algerien beteiligt war. Boumedra war Menschenrechtsbeauftragter der United Nations Assistance Mission in Iraq (Unami) und Berater des deutschen Diplomaten Martin Kobler, des UN-Sondergesandten für den Irak. Im Mai 2012 trat Boumedra aus Protest gegen die Politik der UN gegenüber den iranischen Flüchtlingen zurück. In einer Erklärung zu seinem Rücktritt verurteilte er insbesondere Koblers Rolle im Irak. Dieser habe Berichte über die allen humanitären Standards spottenden Verhältnisse in Camp ­Liberty manipuliert und die internationale Gemeinschaft systematisch über die Verhältnisse vor Ort belogen. Ziel dieses Vorgehens sei es, den Willen der MEK-Mitglieder als organisierte Opposition gegen das iranische Regime zu brechen. Boumedra sagte auf der Pressekonferenz, dass keine der für die Exiliraner zuständigen ­Institutionen an einer schnellen humanitären Lösung arbeite, dafür werde jedoch immer wieder eine mögliche Rückführung der Regimegegner in den Iran begrüßt.
Zudem steht offenbar die irakische Regierung des mit dem iranischen Regime verbündeten Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki einer möglichen Ausreise der Iraner in westliche Staaten im Weg, da sie Boumedra zufolge Haftbefehle gegen 200 leitende MEK-Mitglieder von Camp Liberty erlassen hat. Die Regierung Maliki behandle alle Kontaktversuche mit den Bewohnern nach den Maßgaben des Antiterrorismusgesetzes, weswegen weder Anwälte noch ausländische Politiker Zugang zum Lager hätten.
Die MEK kämpften bis 2001 auch bewaffnet gegen die Theokratie im Iran. 1997 hatten die USA sie auf ihre Terrorliste gesetzt, um dem iranischen Regime guten Willen für eine erhoffte Entspannung der Beziehungen zu zeigen. Die EU folgte im Jahr 2002. Es dauerte lange, bis die EU und die USA die Entscheidung rückgängig machten. Die Auflistung stellte viele für den Sturz des Regimes kämpfenden Iraner unter Terrorverdacht und war eine wichtige ideologische Hilfe für die »Islamische Republik«, um die Repression gegen ihre Gegner voranzutreiben. Dem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Andy Jauch (SPD) zufolge ist die Vernichtung der im Irak lebenden Oppositionellen das erklärte Ziel der Machthaber im Iran. Offensichtlich verhindert das Etikett »Terrororganisation« immer noch ein breites Eintreten für die elementaren Rechte der MEK-Mitglieder.
Der ebenfalls auf dem Podium anwesende ehemalige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günther Verheugen (SPD), verglich die Situation der Bewohner von Camp Liberty mit der von Nelson Mandelas African National Congress (ANC) zu Zeiten des südafrikanischen Apartheidregimes. Ins Ausland geflohene ANC-Mitglieder seien wie heute die mittlerweile unbewaffneten Mitglieder der MEK als Terroristen bezeichnet worden. Im Fall der ANC-Mitglieder sei es jedoch durch internationalen Druck weitgehend gelungen, ihre Sicherheit zu garantieren.

Das funktioniere bei den iranischen Dissidenten im Irak nicht, denn sie seien ein Ärgernis für fast alle Beteiligten: für die Herrschenden im Iran und Irak sowieso, aber auch für die Weltmächte und für die deutsche Appeasement-Politik gegenüber der »Islamischen Republik«. Die stereotypen Stellungnahmen der deutschen Behörden und der Regierung zu den Forderungen der ira­nischen Oppositionellen erinnerten an die des iranischen Geheimdienstes, so Verheugen. Dabei seien die koordinierten Übergriffe der irakischen und iranischen Machthaber keine Überraschung, sondern »Menschenrechtsverletzungen mit Ankündigung«. Das Lager unterscheide sich von einem gefängnis einzig dadurch, dass man in diesem in der Regel vor Angriffen von außen sicher sei.
Dem deutschen Diplomaten Martin Kobler kommt eine besondere Rolle zu. Er und die Unami sind seit dem Abzug der USA aus dem Irak für den Schutz der Flüchtlinge zuständig. Nach dem Angriff auf Camp Liberty weigerte sich ­Kobler aus vermeintlichen Sicherheitsgründen, die Opfer im Lager zu besuchen. Er hat bisher keine Schritte eingeleitet, um die im Boden des Lagers verbliebenen Blindgänger entfernen zu lassen. Die Bewohner des Lagers werfen Kobler vor, im Auftrag der Herrschenden im Irak und im Iran gegen die Sicherheit der Flüchtlinge zu arbeiten und bewusst ihr Leben in Gefahr zu bringen. Tatsächlich gibt Kobler offen zu, mit dem Regime zusammenzuarbeiten, vor dem die Bewohner des Lagers fliehen mussten und dessen Todfeinde sie sind. Er sagte in einem Interview mit der FAZ im Februar 2012, er sei »in engem Kontakt zu den iranischen Behörden, damit diese Menschen auf freiwilliger Basis zurück nach Iran können«. Er sei »zuversichtlich«, dass viele »nach Iran zurückgehen werden«.
Kobler ist den deutschen Grünen eng verbunden und steht in freundschaftlichem Kontakt zu Claudia Roth. Er war Leiter des Büros von Joschka Fischer, bevor er als Diplomat in den Nahen Osten ging. Seine Frau Brita Wagener ist mittlerweile deutsche Botschafterin im Irak. Nach dem Raketenangriff vom Februar äußerte sie in einer Pressemitteilung zwar Bedauern, verurteilte den Anschlag jedoch nicht, der Boumedra zufolge ohne Unterstützung des irakischen Militärs nicht möglich gewesen wäre. Stattdessen erklärte sie ihre »Befriedigung« darüber, dass die irakische Regierung damit befasst sei, »die Hintergründe der Tat aufzuklären«.

Zudem sprach Wagener der Unami – also indirekt ihrem Mann – die »volle Unterstützung der Bundesregierung« aus. Auf diese Entlastung im Eheverbund angesprochen, sagte Verheugen während der Pressekonferenz sarkastisch, es handele sich bei Koblers und Wageners Wirken im Irak wohl um einen Akt der Familienzusammenführung am Arbeitsplatz. Allerdings habe ihm die Bundesregierung auf Anfrage schriftlich bestätigt, dass sie Koblers und Wageners Verhalten gutheiße.
Die MEK fordern hingegen Koblers Entlassung und eine Überführung aller Exiliraner aus dem Irak in die USA. Der ehemalige Kanzlerberater Horst Teltschik (CDU) forderte die Bundesregierung auf der Pressekonferenz auf, ihre bisherige Politik gegenüber den Flüchtlingen in Camp Liberty zu beenden. Selbst eine Aufnahme aller iranischen Flüchtlinge in Deutschland sei ohne Weiteres möglich.