Und wer hat’s erfunden?

Im Saar-Lor-Lux-Raum hat sich eine neue Musiktheatergruppe gegründet, die sich Opera mobile nennt und als erstes mit einer Inszenierung von ­Jacques Offenbachs »Ba-ta-clan« durch die ­Lande ziehen wird.

Ein fiktives chinesisches Mini-Kaiserreich, dessen Herrscher in Wirklichkeit Franzose ist, kein Wort Chinesisch spricht, seinen Migrationshintergrund aber mit absurden Winkelzügen vertuscht: Dorthin verlegt der Komponist Jacques Offenbach seinen frühen Einakter »Ba-ta-clan«. Der Begründer der Operettenstaatskritik hatte das Stück 1855 in Paris uraufgeführt. Mit »Ba-ta-clan« startete auch das neugegründete reisende Musiktheater Opera mobile seine erste Produktion. Premiere war Ende Februar vor rund 400 Besuchern im Centre des Arts Pluriels Ettelbruck des luxemburgischen Städtchens Ettelbrück.
Opera mobile möchte sich in der Großregion Saar-Lor-Lux etablieren. Die von dem Luxemburger Dirigenten Jonathan Kaell 2009 ins Leben gerufene Truppe hat vor, als kleines Tourneetheater Opern, Operetten, Musicals und zeitgenössische Stücke zu inszenieren, unter Rückgriff auch auf selten gespielte Werke. Sie sollen in modernisierter Form nicht zuletzt auf kleineren Bühnen der Region aufgeführt werden, denen die Ausstattung für große Musiktheaterproduktionen fehlt. Technische Voraussetzungen dafür sind ein kleines Orchester und aus wenigen Elementen bestehende, leicht zu transportierende Bühnenbilder.
Kaell, Dozent an der Musikhochschule Saarbrücken, möchte dabei zugleich jungen Instrumentalisten und Sängern Karrieremöglichkeiten eröffnen, ohne ganz auf erfahrene Künstler zu verzichten. Musik- und theaterpädagogische Projekte für Kinder- und Jugendliche sind ebenfalls geplant, darunter eine Kinderoper.
Da es sich um ein grenzüberschreitendes Opernstudio ohne feste Spielstätte handelt, entstehen die Produktionen in Kooperation mit Kulturinstitutionen der gesamten Region, auch die Förderung, ohne die nichts gehen würde, ist länderübergreifend.
Die ihrem ersten Projekt zugrundeliegende Operette »Ba-ta-clan« entstand als gesellschaftskritische Satire. Offenbach und sein Librettist Ludovic Halévy machen sich mit ihrer sogenannten chinoiserie musicale – ein Wortspiel, chinoiserie bedeutet »Pingeligkeit« – in Wirklichkeit über den Kaiserhof Napoleons III. lustig, und so »wurde hier bereits die Macht zum Kindergespött und das Hofleben zur Harlekinade«, wie es Siegfried Kracauer in seinem Offenbach-Buch ausdrückt, hier »spukten schon die Hauptmotive der späteren großen Operetten« Offenbachs. Das Ganze wurde von Offenbach mit genialem musikalischem Einfallsreichtum in Szene gesetzt, gespickt mit Parodien auf den Schwulst zeitgenössischer großer Opern.
Partner bei der Neuinszenierung ist das von Katharina Bihler und Stefan Scheib gegründete Liquid Penguin Ensemble, das sich durch seine experimentellen Musik- und Theaterproduktionen einen Namen gemacht hat. Ziel ist es, das alte Stück zu aktualisieren und zu entstauben. Dazu entwickelte die Gruppe eine Rahmenhandlung, und die Protagonisten greifen immer wieder kommentierend in die Darbietung ein. Die Sache funktioniert: Da das Stück von einem falschen chinesischen Herrscher handelt, der obendrein seine Umgebung mit einem erfundenen, phantasiechinesischen Kauderwelsch in die Irre führt, wird in Anspielung auf die Debatten über chinesische Markenpiraterie die Problemlage verkehrt. Auf der Bühne agiert eine chinesische Zensurbehörde, die Frankreich und überhaupt den Westen beschuldigt, die dortige Kultur bestehe aus Plagiaten ursprünglich chinesischer Erfindungen. Die oberste Zensorin, gespielt von Katharina Bihler, erlaubt die Aufführung der Operette nur unter der Bedingung wiederholter, die Vorstellung unterbrechender Hinweise auf die »wahren« Sachverhalte. Neben der Nudel und der Oper wird dann unter anderem die französische Sprache als chinesische Erfindung präsentiert, hervorgegangen aus einem ursprünglich chinesischen Dialekt. Diese Behauptungen und die dazu vorgebrachten »Beweise« erlauben ein paar Gags. Doch leider wird der Bogen überspannt, die guten Einfälle werden in immer neuen Varianten wiederholt, bis sie abgedroschen klingen. Da die Kommentare außerdem – an sich sinnvoll – zweisprachig, Deutsch und Französisch, vorgebracht werden, führt dies dazu, die eigentliche Operette in den Hintergrund zu drängen: Die Rahmenhandlung wird zur Haupthandlung. Schade, angesichts der erstklassigen Darbietungen der Sänger – Anne Kathrin Fetik, Hervé Huyghues Despointes, Kenneth Godbille, Marjan Krejcik – und des kleinen, aber Offenbachs Meisterwerk dennoch gerecht werdenden Orchesters. Hier wäre eine Straffung bei künftigen Aufführungen wünschenswert. Damit könnte dann allerdings der abendfüllende Charakter verloren gehen.
Ein Erfolg zeichnet sich für die Offenbach-Inszenierung als Pilotprojekt der Truppe jedenfalls ab, legt man die Begeisterung des Publikums in Ettelbrück zugrunde. Damit wird es leichter, Sponsoren zu finden. Geplant hat das Ensemble Werke des englischen Komponisten Benjamin Britten sowie von Gilbert & Sullivan. Arthur Sullivan, im 19. Jahrhundert bedeutendster britischer Musiker und im angelsächsischen Sprachraum bis heute häufig aufgeführt, ist in Deutschland kaum noch bekannt, was vor 1933 einmal anders war. Seine langjährige Kooperation mit dem Theaterautor William Schwenk Gilbert brachte Opern absurden Inhalts hervor, welche, musikalisch auf höchstem Niveau, die Verhältnisse im viktorianischen England mit beißendem Spott aufs Korn nahmen und zu Vorläufern sowohl der Gattung Musical als auch von Komikern wie Monty Python wurden. Die Realisierung solcher Vorhaben ist überfällig.