Ermittlungen gegen Gegner des Castor-Transports

Wer schottern will, der wird bestraft

Die Behörden geben sich alle Mühe, die Gegner des Castor-Transports einzuschüchtern.

Drohen französische Verhältnisse? Sollen Schulen und Tanklager blockiert werden? Weit gefehlt! Wenn Politiker wie der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) oder deutsche Sicherheitsbehörden derzeit vor Gewaltausbrüchen warnen, dann meinen sie die Kampagne »Castor schottern«. Deren Vorkämpfer benennen ganz genau, wann und wo sie was zu tun gedenken: Möglichst viele Demonstranten sollen eigenhändig die Schottersteine aus dem Gleisbett entfernen und so den Zug aufhalten, der den Castorbehälter nach Gorleben transportiert. Die Betreiber und Unterstützer der Kampagne geben im Internet ihre vollen Namen preis, da sie davon überzeugt sind, dass ihr Vorhaben angesichts der Atompolitik der Bundesregierung legitim sei (Jungle World 41/10).

Für Schünemann ist das geplante »Schottern« aber »kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat«. Sonja Schubert, die Pressesprecherin der Kampagne, ist nicht eingeschüchtert: »Die Repressionsandrohung wirkt immer wieder mobilisierend.« Nach Schuberts Angaben läuft alles hervorragend. Die Zahl derer, die den Aufruf unterzeichnet haben, hat sich mehr als verdoppelt, nachdem die Staatanwaltschaft Lüneburg Mitte Oktober ankündigt hatte, gegen die Unterstützer ermitteln zu wollen, und Facebook das Profil der Kampagne kurzzeitig gesperrt hatte. Über 1 000 Menschen haben ihren Namen mittlerweile auf der Website von »Castor schottern« veröffentlicht.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg will mehrere hundert Ermittlungsverfahren gegen die Unterzeichner einleiten und verschickt Einladungen zu sogenannten Beschuldigungsanhörungen, bei denen die Verdächtigen sich bis Anfang November zu den Vorwürfen äußern sollen. Allerdings haben einige Unterzeichner noch gar keine Post bekommen, wie etwa Ali Atalan, ein Abgeordneter der Linkspartei im Düsseldorfer Landtag. »Die Ermittlungen gegen die Unterzeichner halte ich für überzogen, denn niemand ruft zur Gewalt oder zu Aktionen gegen Polizisten oder andere Personen auf«, sagt der Politiker.

Auch Peter Grottian, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, hat noch kein ­Schreiben erhalten, hält die Lage aber für ernst: »Wir sind alle gut beraten, den Mund nicht zu weit zu öffnen, sondern solidarisch eine gemeinsame Strategie zu entwickeln in dem Wissen, dass das Risiko hoch ist.« Er freue sich sehr, dass die Atompolitik zu einem gemeinsamen Vorgehen von Menschen aus den Gewerkschaften, der Linkspartei, den sozialen Bewegungen und auch aus seiner Zunft, den Professoren, führe. »Das macht die andere Seite auch nervös«, so Grottian. Wie die Welt berichtete, bereitet den Behörden eine mögliche größere »Einflussnahme linksextremistischer Gruppen auf die bürgerliche Protestbewegung« Sorgen.
»Die Art und Weise, wie der Atom-Deal zustande gekommen ist, fand ich empörend, und sie war für mich der Hauptgrund zu unterzeichnen«, sagt Andrej Hunko. Die Immunität des Bundestagsmitglieds der Linkspartei ist aufgehoben worden, ebenso die von zehn weiteren Abgeordneten der »Linken« aus dem Bundestag, darunter Jan van Aken, Sevim Dagdelen und Diether Dehm, sowie weiteren aus verschiedenen Landtagen. Ihnen droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Die zuständige Staatsanwältin verdächtigt sie »einer Straftat zur öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, nämlich einer (gemeinschaftlich verübten) Störung öffentlicher Betriebe«. Dies sei der Fall, auch wenn auf der Strecke der Schienenverkehr ausgesetzt sei. Die Staatsanwaltschaft verweist auf das Urteil im sogenannten Süschendorf-Verfahren, bei dem es um eine Blockade von Robin Wood im Jahr 2001 ging, bei der die Castoren 18 Stunden lang aufgehalten wurden. Die Abgeordneten und Aktivisten des Bündnisses beraten in den nächsten Tagen, wie sie mit den Ermittlungsverfahren umgehen wollen.

Auch andere sind von polizeilichen Zwangsmaßnahmen betroffen. So sollten sich ein Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sowie mindestens vier weitere Atomkraftgegner in der ersten Oktoberwoche in der Polizeikaserne Lüchow einfinden, um Finger- und Handkantenabdrücke abzugeben und sich im Porträt und im Detail »zum Vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen wie z.B. Narben« fotografieren zu lassen. Keiner von ihnen ist je rechtskräftig verurteilt worden. Trotzdem behauptet die Polizei, dass »aus kriminalistischer Sicht von einer großen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen ist«. »Das nennen wir Vorverurteilung und Kriminalisierung«, sagt Wolfgang Ehmke, der Sprecher der Bürgerinitiative.
Für Aufregung sorgte auch die kürzlich im Hamburger Abendblatt veröffentlichte Aussage eines Beamten, der angab, dass die Polizei »bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte« einsetze, »die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren«. Vertreter des Anti-Castor-Bündnisses zeigten sich angesichts dieser Behauptung beunruhigt.
Der Atommüll aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague wird nach Informationen der Atomkraftgegner in diesem Jahr voraussichtlich am 7. November im Wendland eintreffen. Der Termin wurde offiziell nicht bestätigt, doch einzelne Informationen gelangten an die Öffentlichkeit, die mobilen Toilettenhäuschen sind in der Gegend für die Zeit ausgebucht, und die Polizeidirektion Lüneburg hat bereits eine Rubrik »Castortransport 2010« auf ihrer Website eingerichtet. Man kann also davon ausgehen, dass der zwölfte Transport hochradioaktiven Mülls ins Zwischenlager Gorleben am ersten Novemberwochenende stattfinden wird. Die Deutsche Polizeigewerkschaft befürchtet einen der größten und längsten Castor-Einsätze. 17 000 Polizisten werden zusammengezogen, 50 000 Demonstranten erwartet – wie viele agents provocateurs unter ihnen sein werden, wird sich wohl nur schwer feststellen lassen.