Wanderkirchenasyl und Abschiebung

Charter nach Istanbul

Ernüchternde Bilanz: Von den rund 450 Flüchtlingen im nordrheinówestfälischen Wanderkirchenasyl konnten bislang die wenigsten ihren Aufenthaltsstatus sichern.

Die Sache begann mit einem frühmorgendlichen Besuch: Um sie abzuschieben, wurden die Angehörigen der Familie Bag festgenommen, einen Tag später zum FrachtgutóTerminal des Düsseldorfer Flughafens transportiert und in eine rumänische Chartermaschine verbracht. Während die wöchentlichen Abschiebeflüge in der Regel unsichtbar für die übrigen Passagiere vonstatten gehen, demonstrierten an diesem Tag Mitte vergangenen Monats rund fünfzig Flüchtlingsunterstützer in der Schalterhalle.

Vielleicht hat ihre Intervention den Anstoß gegeben, dass eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen noch wenige Minuten vor dem Abflug nach Istanbul zu den Bags durchdrang. Das Gericht hatte anerkannt, dass Fatma Bag wegen ihres Engagements als Sprecherin des nordrheinówestfälischen Wanderkirchenasyls in der Türkei akut gefährdet sei. Fatma Bag durfte das Flugzeug im letzten Augenblick verlassen. Ihr Mann Seyit und ihre Kinder Zoehre und Vahap wurden nach Istanbul verfrachtet, wo die Flughafenpolizei sie zwölf Stunden lang festhielt. Anschließend verließen sie, weitaus schlimmere Repressalien fürchtend, die Stadt.

Es war das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass Flüchtlinge aus dem Wanderkirchenasyl mit Gewalt außer Landes geschafft wurden. Bereits am 11. Januar war Yusuf Demir, ein im Bielefelder Kirchenasyl lebender kurdischer Kriegsdienstverweigerer, abgeschoben worden, nachdem er dem Bundesgrenzschutz bei einer Ausweiskontrolle in die Hände gefallen war. Seit dem Beginn des Wanderkirchenasyls im Januar 1998 hatten die kurdischen Teilnehmer zwar wiederholt das Anlaufen der Abschiebemaschinerie erleben müssen, doch konnte bis auf einen Fall der Transport zum FrachtgutóTerminal verhindert werden.

Nach einem zweiwöchigen Hungerstreik in der besetzten Landesgeschäftsstelle der Grünen hatten die Flüchtlinge im Januar 1999 unter massivem Druck einem Kompromissvorschlag des Innenministeriums zugestimmt. Dafür, dass sie eine erneute Einzelfallprüfung einräumten und damit ihre Hauptforderung nach einem kollektiven Bleiberecht faktisch aufgaben, hatte das Ministerium eine Prüfung »oberhalb der Aktenlage« zugesichert.

Für das Ministerium bedeutete diese Unterwerfung unter das Gesetz und den Gnadenakt seiner wohlwollenden Auslegung einen Sieg. Für die Flüchtlinge sieht das Ergebnis bisher ernüchternd aus. Von den rund 450 Illegalisierten, die verteilt auf knapp hundert Kirchengemeinden beider Konfessionen leben, ist die Einzelprüfung nur im Ausnahmefall positiv verlaufen. Etwa für die Hälfte brachte sie zwar eine vorübergehende Legalisierung mit sich, doch währte diese meist nur wenige Wochen. Immerhin schafften es etwa 50 von ihnen, ihren Aufenthaltsstatus in dieser Zeit über Asylfolgeanträge und Petitionen soweit zu verfestigen, dass von einer tatsächlichen Legalisierung gesprochen werden darf.

Die Mehrzahl der Flüchtlinge ist somit erneut illegalisiert. Mehr denn je sind sie nun von Abschiebung bedroht. Denn im Oktober 1999 hatte Innenminister Fritz Behrens (SPD) im Westdeutschen Rundfunk erklärt, dass die Einzelfallprüfungen bis Jahresende abgeschlossen sein sollte. Sodann würde abgeschoben, wenn auch nicht unbedingt »an Heiligabend«. Zur gleichen Zeit machte das Ministerium gegenüber den evangelischen Kirchenleitungen Rheinland und Westfalen klar, dass die Entscheidung der Ausländerbehörden nun ohne »Hinhalten« umzusetzen seien. Nach einem Gespräch mit dem Ministerium forderte der rheinische Landeskirchenrat JörnóErik Gutheil die Presbyterien brieflich auf, den Zuflucht gewährenden Gemeinden und den Flüchtlingen selbst die »Möglichkeiten« einer »begleiteten Rückkehr« schmackhaft zu machen. Der Druck von oben, der erodierende politische Widerstand und die Strapazen der bloßen Zufluchtgewährung ließ manche Gemeinden auf den Schmusekurs in Richtung humaner Abschiebung einschwenken, während andere Kirchenbehörden ó etwa das katholische Bistum Aachen ó entschieden auf Seiten der Flüchtlinge blieben.

Seit den Abschiebungen von Yusuf Demir und der Familie Bag mehren sich die Anzeichen, nach denen die rotógrüne Landesregierung die Zügel weiter anzieht. So zeigt sich das Innenministerium seit einigen Wochen in Petitionsangelegenheiten stur; in einem Fall setzte es einen Beschluss des Petitionsausschusses erst gar nicht um. Damit torpediert Düsseldorf offensichtlich im Vorfeld kommender Abschiebungen die für viele Flüchtlinge letzte Möglichkeit, nach dem Ausschöpfen aller juristischen Mittel noch einmal Hinderungsgründe für eine Abschiebung geltend zu machen und ihren Aufenthaltsstatus wieder abzusichern.

Was die Flüchtlinge aus dem Wanderkirchenasyl nach ihrer Abschiebung erwartet, deutet sich in der Geschichte Yusuf Demirs an. Ein Mitarbeiter des Flüchtlingsrats Niedersachsen hat ihn anderthalb Monate nach der Abschiebung im Zentrum für Folteropfer der türkischen Menschenrechtsstiftung aufgesucht, wo er nach wiederholten Misshandlungen durch die Polizei behandelt wurde. Yusuf Demir berichtete, dass er nach der Festnahme am Flughafen zunächst der Istanbuler Polizei übergeben, dann verhört und geschlagen worden war. Dabei hatte man ihm Fotos vom Wanderkirchenasyl vorgelegt und ihn aufgefordert, Namen zu nennen. Nachdem er seiner Einberufung zum Militär nicht gefolgt war, wurde er in Izmir erneut festgenommen und nach der Kampagne in Deutschland befragt. Die Polizisten bezeichneten das Wanderkirchenasyl als eine Aktion der PKK ó und die Türkei als seine letzte Station. Nach der Freilassung misshandelte die Polizei ihn noch einmal auf offener Straße.

Die Denunziation des Wanderkirchenasyls als Komplott der PKK scheint den türkischen Behörden ganz besonders am Herzen zu liegen. Ein kurdischer Überläufer, der vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir wegen PKKóMitgliedschaft angeklagt war, hatte einem Gerichtsprotokoll zufolge ausgesagt: »Außerdem war die terroristische Vereinigung PKK dabei, in Deutschland und in Europa in den Kirchen eine große Aktion vorzubereiten, um der Türkischen Republik Probleme zu bereiten und um religiöse und zivile Einrichtungen auf ihre Seite zu bekommen.« Anschließend, so heißt es im Protokoll weiter, habe er die Namen mehrerer kurdischer Teilnehmer des Wanderkirchenasyls genannt und sie als PKKóFunktionäre bezeichnet, die »mit der Realisierung des Projekts in Köln und Osnabrück« beauftragt gewesen seien.

Es liegt auf der Hand, dass alle jetzt und künftig abgeschobenen Teilnehmer des Wanderkirchenasyls durch diese Verschwörungstheorie in besonderem Maße gefährdet sind. »Über sie wird in den türkischen Medien berichtet und es werden Fotos von ihnen veröffentlicht. Das Wanderkirchenasyl wird dabei als Aktion dargestellt, mit der der türkische Staat im Ausland schlecht gemacht werden soll. Die Teilnehmer am Wanderkirchenasyl sind eine gefährdete Risikogruppe«, kommentierte Eren Keskin vom Vorstand des türkischen Menschenrechtsvereins im November. Wiederholt haben die Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl und ihre Unterstützer seitdem darauf hingewiesen. Im Wissen um dieses Risiko wurden die ersten Abschiebungen vollzogen.