Trotz Pandemie finden weiter Zwangsräumungen statt

Kein Winter ohne Räumungen

In Berlin wurde das zuvor geduldete Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht aufgelöst. Auch andere Besetzungen von Obdachlosen scheiterten.

»Zwangsräumungen sind keine Kältehilfe!« lautet die Parole auf einem großen Transparent, das auf der Fassade des Hauses Hauptstraße 1 im Berliner Ortsteil Lichtenberg zu sehen ist. Es verweist auf das wenige Meter entfernte Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht, das das Bezirkamt in der Nacht zum 6. Februar von der Polizei auflösen ließ. Das Lager der bis dahin dort geduldeten etwa 100 obdachlosen Menschen wurde mit Verweis auf den bevorstehenden Kälteeinbruch geräumt. Trotz Dauerfrost organisierten linke Gruppen in der Folge mehrere Demonstrationen und Kundgebungen. Die Auflösung des Camps werteten sie weniger als Maßnahme zur Vermeidung einer lebensgefährlichen Situation für die Camp-Bewohner denn als Räumaktion im Sinne von Investoren (»Die Situation war erdrückend«).

Wenn Obdachlose in den vergangenen Monaten versuchten, Wohnraum zu besetzen, wurden sie zumeist nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt.

Die Berliner Senatorin Elke Breitenbach (»Die Linke«), deren Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales dem Bezirk bei der Räumung Amtshilfe leistete, warf dem Bezirksamt vor, viel zu spät auf die »katastrophalen Verhältnisse auf dem Gelände« rea­giert zu haben. Diese Kritik teilen viele der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner. Auch diejenigen, die die vom Bezirk angebotenen Plätze in beheizten Hostels als Ausweichorte angenommen hatten, sprachen von einer Räumung.

Die Kritiker der Aktion weisen darauf hin, dass die Räumung Platz schaffe für die geplanten hochpreisigen Eigentumswohnungen an der Rummelsburger Bucht. Unter dem Namen »My bay« (deutsch: »Meine Bucht«) werden sie im Internet zum Kauf angeboten. Im vergangenen Jahr wurden auf dem Areal bereits einige Wagenplätze wie der »Sabot Garden« geräumt. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptstraße 1 sollen in den kommenden Monaten ausziehen. Ihnen wurde im November gekündigt, nachdem sie sich monatelang dagegen gewehrt hatten. »Als Begründung wurden unterschiedliche Mängel der Häuser aufgeführt, die nur dadurch entstanden sind, weil Padovicz diese hat verwahrlosen lassen«, sagte eine Mieterin der Taz. Der Investor Gijora Padovicz ist nicht erst seit der Räumung des queerfeministischen Hausprojekts Liebigstraße 34 für den Kauf großer Immobilien und die Verdrängung linker Wohnprojekte im Berliner Ortsteil Friedrichshain bekannt. Die Zeitung Mie­ter­echo berichtete bereits in den neunziger Jahren über den umtriebigen Investor.

Wenn Obdachlose in den vergangenen Monaten versuchten, Wohnraum zu besetzen, wurden sie zumeist nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt. Bereits Ende Oktober zogen in Berlin Wohnungslose unterstützt von Mieterorganisationen in mehrere Wohnungen in einem ehemaligen Schwesternwohnheim der Charité in der Habersaathstraße 46. Sie wurden nach wenigen Stunden von der Polizei geräumt, obwohl in dem Gebäudekomplex 85 gut erhaltene Wohnungen seit Jahren leerstehen und die zuständige Bezirksverordnetenversammlung Mitte bereits zweimal die Beschlagnahme der Wohnungen gefordert hatte (»Es gibt kein Recht auf Leerstand«)

In Offenbach (Hessen) wurden in der Nacht zum 20. Dezember wohnungslose Menschen von der Polizei aus einem seit 2019 leerstehenden Gebäude in der Waldstraße geräumt. Die Initiative »Los! Offenbach solidarisch« kritisierte in einer Pressemeldung: »Den unter Zwang geräumten Personen, die dort Schutz vor der Kälte und Rückzug gesucht haben, wurde beides genommen. Sie gehören zu den zahlreichen Wohnungslosen, die während der Ausgangssperre nicht nur in ihrer Notsituation von staatlicher Seite allein gelassen werden, sondern zudem auch unter den Maßnahmen besonders leiden.«

Trotz ständiger Appelle, zu Hause zu bleiben, werden Menschen in diesem Winter vor die Tür gesetzt, denn anders als im ersten Lockdown gibt es derzeit kein Moratorium für Zwangsräumungen wegen fehlender Mietzahlungen. So wurde der Theatermacher und Mitgründer der Initiative »Recht auf Stadt – Regensburg«, Kurt Raster, im Januar aus seiner Regensburger Wohnung geräumt. in der er über 35 Jahre gelebt hatte. Obwohl die Räumung ­unter Verweis auf eine mögliche Selbstmordgefahr zunächst ausgesetzt worden war, gab der Mieter schließlich seine Wohnungsschlüssel doch ab, da er bei weiterem Widerstand eine Unterbringung in einer Psychiatrie fürchtete. Eine von seiner Initiative gestartete Petition, die ein Moratorium für die Zwangsräumungen forderte, erhielt bis Re­daktionsschluss nur etwa 430 Unterschriften. Es wird zwar viel über wohnungslose Menschen geredet, aber wenig über das System, das sie ­immer wieder aufs Neue produziert. Indes verlautbarte »Haus & Grund Rheinland-Westfalen«, ein Interessenverband von Hauseigentümern, dass die Pan­demie nicht dazu führen dürfe, »dass Vermietern ihre Rechte abgeschnitten werden«. Er berief sich dabei auf ein Urteil des Landgerichts München, wonach Zwangsräumungen in Einzelfällen möglich seien.