In Bulgarien demonstrieren Tausende gegen Korruption

Die Wut der Rückkehrer

In Bulgarien protestieren derzeit Tausende gegen Korruption und die Regierung. Aus dem Ausland zurückgekehrte Bulgaren spielen dabei eine wichtige Rolle.

Seit zwei Wochen wird in Bulgarien demonstriert. Die Proteste haben sich mittlerweile auf das ganze Land aus­geweitet, auf große Städte wie die Hauptstadt Sofia, Plowdiw, Warna, Burgas oder Russe, aber auch viele kleinere Orte. Trotz der Ankündigung, das Kabinett umzubilden, reißen die Proteste nicht ab. Staatspräsident Rumen Radew, der der oppositionellen Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) nahesteht, hat sich mit den Protesten solidarisiert. Am 9. Juli waren ein Antikorruptionsbeauftragter und ein Sicherheitsberater Radews an dessen Amtssitz wegen des Verdachts auf Korruption und Verrat von Staatsgeheimnissen festgenommen worden.

Mittlerweile protestieren auch im Ausland lebende Bulgarinnen und ­Bulgaren, unter anderem in Wien, London, Brüssel und Berlin. Die Proteste richteten sich zunächst gegen Korruption und mafiöse Strukturen, inzwischen hört man immer öfter die Forderung, die Regierung unter Ministerpräsident Bojko Borissow von der Partei »Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens« (GERB) solle zurücktreten. Auch die Polizeigewalt gegen Protestierende wird kritisiert.

Angefangen hatte alles mit einer ­Aktion des Vorsitzenden der kleinen Partei »Da, Bulgaria« (Ja, Bulgarien), Christo Iwanow, der von 2014 bis 2015 Justizminister war. Er veröffentlichte am 7.Juli ein Live-Video, das zeigt, wie er sich mit einem Schlauchboot auf dem Schwarzen Meer dem Gelände der Villa Ahmet Dogans näherte, eines Mitbegründers der Partei »Bewegung für Rechte und Freiheiten« (DPS) und ehemaligen Mitarbeiters der bulgarischen Staatssicherheit. Iwanow wollte darauf aufmerksam machen, dass der öffentliche Strand vor der Villa gesetzwidrig abgesperrt ist und von staatlichen Sicherheitskräften bewacht wird. Mitarbeiter eines Sicherheitsdiensts griffen Iwanow am Strand an und versuchten, ihn und das Schlauchboot wieder ins Wasser zu befördern. Schließlich kamen zwei Polizisten hinzu, um Iwanows Ausweis zu kontrollieren.

Immer wieder haben Bulgarinnen und Bulgaren gegen Korruption, aber auch gegen illegale Bauvorhaben in Naturschutzgebieten protestiert. Die letzten größeren Proteste gab es 2018, als in Pirin ein Nationalpark einem Skigebiet weichen sollte. Anfang 2013 hatten schon einmal große Proteste gegen die erste Regierung unter Borissow stattgefunden. Diese trat damals infolge der Proteste zurück.
Bulgariens Bevölkerung schrumpft rapide, viele wandern aus. Wer bleibt, landet oft in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen (Jungle World 22/2019). Raia Apostolova, eine bulgarische Soziologin und Redakteurin der linken ­Online-Zeitung Diversia, sieht den einzigen Ausweg aus der gegenwärtigen sozioökonomischen und politischen Krise in einer starken linken Partei. Diese müsste für eine progressive Steuerreform und den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eintreten, sagt Apostolova im Gespräch mit der Jungle World. Zudem müsste sie verhindern, dass weitere öffentliche Güter privatisiert werden.

Dem aktuellen Bericht von Transparency International zufolge ist Bulgarien das korrupteste Land der EU. Auf dem Pressefreiheitsindex von »Reporter ohne Grenzen« belegt es Platz 111 von 180. Borissow regiert das Land mit ­Unterbrechungen seit Juli 2009, zweimal musste er sein Amt bereits auf­gegeben. Für seine dritte Amtszeit bildete er 2017 eine Koalition mit dem rechtsextremen Wahlbündnis »Vereinigte Patrioten« (Jungle World 42/2017). Im März kommenden Jahres soll eine Parlamentswahl stattfinden. Am Dienstag stellte die BSP einen Misstrauensantrag gegen die Regierung. Dieser blieb erfolglos.

Zu ersten gewaltsamen Ausschreitungen kam es, als am Dienstagabend ­voriger Woche wütende Protestierende versuchten, in die einstige Zentrale der früheren kommunistischen Staatspartei einzudringen. Dort befinden sich inzwischen die Arbeitsräume der Parlamentsabgeordneten. Die Protestierenden schlugen die Scheiben der Eingangstür ein, wurden aber von der Polizei aufgehalten.
Apostolova zufolge ist auffällig, dass viele zurückgekehrte Auswanderinnen und Auswanderer an den Protesten teilnehmen. Bürgerinnen und Bürger, die über längere Zeit im Ausland gelebt haben, seien eine wachsende soziale Klasse in Bulgarien. Diese äußere bei den Protesten am deutlichsten Kritik. Häufig könne man bei den Protesten zudem Schilder sehen, auf denen steht: »Ich protestiere, damit ich nicht auswandern muss.« Viele Bulgarinnen und Bulgaren fürchteten die soziale Unsicherheit, die sowohl mit einem Leben im Ausland einhergehe als auch damit, in Bulgarien zu bleiben.

Die Renten in Bulgarien sind sehr niedrig. Die Gesundheitsversorgung, die Pflege älterer Menschen und die Betreuung von Menschen mit Behinderungen sind mangelhaft. Apostolova sagt, an den Protesten nehme eine Vielzahl von Gruppen teil. In den Medien würden die Menschen auf der Straße oft als intelligente und kreative Jugendliche dargestellt; es sei von einer Art Generationenkonflikt die Rede. Sie teilt diese Diagnose nicht: »Es ist klar, dass die Demonstrierenden aus verschiedenen Altersgruppen stammen. Was sich jedoch als eine unglaublich wichtige Gruppe von Protestierenden ­herausstellt, ist ein antikapitalistischer Block, der eine sozialistische, kommunistische und linke Politik in den Bereichen Ökologie, Bildung, Ökonomie, Fürsorge und Sexualität fordert. Hierauf sollten die mediale und die politische Aufmerksamkeit gelenkt werden.«