Die Unterbrechung der Saison traf den Ostfußball hart

Der Letzte macht das Licht aus

Die pandemiebedingten Unterbrechungen der Saison im Männerfußball trafen die ohnehin abgeschlagenen Vereine im Osten besonders hart.

Der Appell war dramatisch: »Dieser offene Brief stellt einen gemein­samen Hilferuf des Ost-Fußballs – ›unseres‹ Fußballs – dar, der von ­Anfang an in der ›DFB-Familie‹ wohl eher wie ein Stiefkind behandelt wurde«, hieß es in einem Schreiben, das sich unter dem Titel »Im Osten geht die Sonne unter« an den Deutschen Fußballbund (DFB) und die Deutsche Fußballliga (DFL) richtete. Darin forderten ehemalige DDR-Fußballstars wie Peter Ducke (Carl Zeiss Jena), Rainer Ernst (BFC Dynamo), Ronald Kreer (Lokomotive Leipzig), Hans-Jürgen »Dixie« Dörner (Dynamo Dresden) und Jürgen Sparwasser (1. FC Magdeburg), in dieser Saison die Abstiege in den ersten vier Ligen auszusetzen.
Während sich viele Fans darin einig sind, dass die vergangene Spielzeit im wahrsten Sinne des Wortes eine Seuchensaison war, war sie für die Traditionsvereine östlich der Elbe eine komplette Katastrophe. In der kommenden Saison wird keiner der 14 Vereine, die in der letzten Oberliga­saison der DDR 1990/1991 spielten, in einer der beiden ersten Bundes­ligen vertreten sein. 30 Jahre nach dem Beitritt zur BRD beschränken sich die blühenden Landschaften auf die zwei ostdeutschen Fußballmetropolen mit Anschluss an den Westen (1. FC Union in Berlin-Köpenick und RB Leipzig) sowie ein lila-weißes Wehrdorf im Grenzgebiet zur Tschechischen Republik (Erzgebirge Aue).

In der kommenden Saison wird keiner der 14 Vereine, die in der letzten Oberligasaison der DDR spielten, in einer der beiden ersten Bundesligen vertreten sein.

Ansonsten bleibt nur eine Trümmerlandschaft. Der Nachfolgeverein der Betriebssportgemeinschaft Stahl Brandenburg, Achtplatzierter in der letzten Oberligasaison, existiert schon seit Jahrzehnten nicht mehr. »Aus dem Vereinsregister gelöscht«, heißt es bei Wikipedia lapidar. Die Neugründung des Ausbildungsvereins des ehemaligen Nationalspielers Steffen Freund dümpelt in den Niederungen der brandenburgischen Amateurklassen herum. In derselben misslichen Lage befinden sich auch die Nachfolger von Vereinen wie dem FC Vorwärts Frankfurt (Oder) und BSG Stahl Eisenhüttenstadt. Sie sind abgeschlagen – ohne eine Perspektive, jemals wieder in den bezahlten Fußball zu kommen.

Ähnlich ergeht es dem ehemaligen Serienmeister der Oberliga, dem BFC Dynamo aus Berlin-Hohenschönhausen. Hängengeblieben in der viertklassigen Regionalliga Nordost, konnte nicht einmal die exzellente Jugendarbeit die »Ruhmreichen« in den vergangenen drei Jahrzehnten retten. Der letzte Meister der höchsten DDR-Liga, Hansa Rostock, phasenweise noch der einzige sportliche Leuchtturm in den fünf neuen Bundesländern, steckt seit der Saison 2012/2013 in der Dritten Liga fest. Prominente Namen wie Energie Cottbus, Carl Zeiss Jena oder Chemnitzer FC haben sich zu Fahrstuhlmannschaften entwickelt. Zu ambitioniert für die Regionalliga, fehlt ihnen das wirtschaftliche Fundament, um in der Dritten Liga langfristig die Klasse zu halten oder ihr gar nach oben zu entfliehen. Die erste Mannschaft des FC Rot-Weiß Erfurt musste Insolvenz anmelden und die Teilnahme am Spielbetrieb der Regionalliga ­beenden. Wegen der hohen Miete künftig kann die Mannschaft kaum noch in ihrer traditionellen Heimstätte spielen, dem gerade runderneuerten Steigerwaldstadion.

Die beiden sachsen-anhaltischen Vereine, der Hallesche FC und der 1. FC Magdeburg, teilen nicht nur den Hass aufeinander, sondern auch eine gemeinsame Erfolgsstory. Dank einer kompetenten Vereinsführung gelang es ihnen im vergangenen Jahrzehnt, sich eine stabile wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Entsprechend stellten sich Erfolge ein. Beide Fußballclubs haben die Nie­derungen der Amateure hinter sich gelassen und können zumindest von dem ­einen oder andere Ausflug in die zweithöchste Klasse träumen. 2019/2020 reichte es bei beiden allerdings nur knapp für einen Klassen­erhalt in der Dritten Liga.

Die Erste Bundesliga bleibt auch für diese beiden Vereine unerreichbar – von internationalen Wettbewerben wie zu DDR-Zeiten, als etwa Magdeburg 1974 Europapokalsieger wurde, ganz zu schweigen. Solche prickelnden Ereignisse können nur im benachbarten Leipzig bestaunt werden. Der von einem Limonadenkonzern geförderte Neuling in der Stadt wird in den nächsten Jahren um die Meisterschaft und regel­mäßig in der Champions League mitspielen. Doch trotz oder wegen des Erfolgs sehen Rasenballsport (RB) Leipzig weder seine Fans noch jene, die »das Konstrukt« noch mehr ­hassen als jeden traditionellen Derbygegner, als ostdeutschen Verein an. Versuche, die dauernörgelnden ­Zonenbewohner als willige Konsumenten für das wüst in die Landschaft gepflanzte Fußballprodukt zu gewinnen, wie die Einladung der DDR-Kultband »Silly« zur Aufstiegsfeier, sorgen eher für ein verschmitztes Lächeln bei den Fans und der Konkurrenz. Die Bandmitglieder trugen bei besagtem Auftritt jeweils Trikots der Vereine 1. FC Magdeburg, Dynamo Dresden und Union Berlin und sorgten damit für einen mittleren Eklat.

Trotzdem funktioniert das Projekt RB nach einigen Anlaufschwierig­keiten wie geplant. Die Anziehungskraft, die der Verein in kürzester Zeit bis weit in das Umland von Leipzig ausübte, zeigt, wie opportunistisch die Bevölkerung östlich der Elbe ist – Erfolg verleiht Flügel. Im Schatten von RB kämpfen in Leipzig die beiden Traditionsvereine 1. FC Lokomotive und BSG Chemie um Punkte in der viertklassigen Regionalliga. Als Meister der Staffel Nordost stieg Lok nicht direkt in die 3. Liga auf, sondern musste sich in Play-offs dem SC Verl aus der Regionalliga West geschlagen geben. Nach zwei Unentschieden scheiterte Lok in den wichtigsten Partien der vergangenen Jahrzehnte an der Auswärtstorregel und bleibt dadurch weiterhin im Amateurbereich hängen.

Etwas weiter südlich, im Elbtal, dort, wo der böse Ball regiert, tragen die Fans ebenfalls Trauer. Der Abstieg aus der Zweiten Liga schmerzt nicht nur sportlich. Während die anderen Teams den Spielbetrieb nach der Coronazwangspause bereits wiederaufnahmen, saß die Mannschaft von Dynamo Dresden wegen mehrerer positiver Testergebnisse in Quarantäne und musste als einziges Team ohne Vorbereitung neun Spiele in 29 Tagen absolvieren. Fairplay sieht anders aus. Dynamos Linksverteidiger Chris Löwe rief während ­eines Interviews eine wütende Rede ins Mikrophon, deren Kernpunkt ­besagte, mit Borussia Dortmund, Schalke 04 oder Bayern München wäre nicht so verfahren worden. Das ist nicht von der Hand zu weisen.

Sicher dürfte dagegen sein, dass weder der offene Brief der DDR-Stars noch die Klage von Dynamo Dresden wegen »Wettbewerbsverzerrung« Erfolg haben werden. Sicher ist auch, dass in Dresden bis auf weiteres keine Montagsspiele mehr stattfinden werden. Das freut zumindest Pegida. Ansonsten können sich die netten Kellerkinder von drüben wenigstens über die Sympathie der bundesdeutschen Entscheidungsträger freuen. Der Abstieg von Dynamo Dresden tue ihm »wirklich sehr weh«, sagte DFB-Präsident Fritz Keller in einem MDR-Interview und gab den Ostvereinen gleich noch einen wertvollen Tipp mit auf den Weg: Sie könnten sich doch perspektivisch als Aus­bildungsvereine betätigen. Schließlich verliere der deutsche Fußball auch wichtige Talente an andere Sportarten, wenn die ostdeutschen Traditionsvereine nicht mehr in den oberen Ligen vertreten sind. Und tatsächlich: Noch mehr Kampf­sportler und Hooligans kann der Osten wirklich nicht gebrauchen.