Ein Frankfurter Stadtmagazin stört sich an der liberalen Drogenpolitik der Stadt

Frankfurt intravenös

In Frankfurt am Main stört sich ein Stadtmagazin am Drogenmilieu im Bahnhofsviertel und verlangt ein härteres Durchgreifen. Studien und langjährige Beobachter des Viertels geben ein anderes Bild der Lage.

Das Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main ist ein berüchtigter Ort. Zwischen Rotlicht, Drogen und hippen Restaurants zeigen sich die Zustände in der Bankenmetropole in geballter Form. Insbesondere der lockere Umgang mit Drogen, der sogenannte Frankfurter Weg, ist umstritten. Immer wieder richten sich Kampagnen gegen die Drogenpolitik im Bahnhofsviertel.

Dieses Mal ist es das Szenemagazin Journal Frankfurt, das den sogenannten Frankfurter Weg – die Stadt hatte in den frühen Neunzigern »Druckräume« eingerichtet – und die sozialen Missstände im Bahnhofsviertel angreift. Die Chefredakteurin Ronja Merkel schreibt in der jüngsten Titelgeschichte von »betrunkenen und drogenkranken Menschen« und einem »Dealer-Problem«, auch im Editorial beschwert sie sich über das »versiffte Viertel« und das »weichgespülte Betäubungsmittel­gesetz«. Ein »schwindendes Sicherheitsgefühl« mache sich bemerkbar. Merkels Schlussfolgerung: Frankfurt habe einen neuen Tiefpunkt erreicht.

»Bei den allermeisten, die mit Drogen dealen, war die ursprüngliche Motivation, ihren eigenen Konsum zu finanzieren.« Bernd Werse vom Schildower Kreis

Drogenhändler und -konsumenten tauchen in der Schilderung der Chef­redakteurin lediglich als Ärgernis auf. Weshalb Menschen Drogen konsumieren oder damit handeln, dieser Frage geht Merkel ebenso wenig nach wie der, ob das Bauchgefühl von wachsender Unsicherheit mit tatsächlich wachsender Gefährdung zusammenhängt. Stattdessen ruft Merkel nach Lösungen, die sich so in Wahlprogrammen von CDU und AfD befinden könnten: mehr Polizei, eine strengere Justiz.

Einen anderen Ansatz verfolgt der Schildower Kreis. Er will nach eigener Darstellung auf die »schädlichen Folgen der Drogenprohibition aufmerksam machen und legale Alternativen zur repressiven Drogenpolitik aufzeigen«. Der Frankfurter Sozialwissenschaftler Bernd Werse ist Sprecher des Netzwerks, in dem sich Wissenschaftler, Juristen, Lehrer und Sozialarbeiter mit der ­Drogenpolitik befassen. »Mit einem repressiveren Standpunkt kehrt man das Problem unter den Teppich und nimmt implizit mehr Drogentote in Kauf«, sagt er im Gespräch mit Jungle World. Das zeigten auch Untersuchungen aus Städten wie Nürnberg und München, wo die Drogenszene repressiv angegangen werde.

Eine Bürgerbefragung der Stadt Frankfurt aus dem Jahr 2018 verdeutlichte, dass sich das Sicherheitsgefühl verbessert hatte. Werse schließt aus eigenen Beobachtungen und Gesprächen, es habe in den vergangenen Jahren keine besondere Veränderung in der Drogenszene in Frankfurt gegeben. Aber die Sozialstruktur in ihrer Umgebung habe sich verändert: »Im Bahnhofsviertel ist wohl auch die Gentrifizierung ein Grund dafür, dass die Klagen zu­genommen haben«, so Werse. Ein Vorgehen gegen die Drogenszene an einem Ort führe oft nur dazu, dass diese sich in andere Teile der Stadt verlagere. Das wisse man auch bei der ­Polizei und in der Lokalpolitik, so der Sozialwissenschaftler.

Melanie Tepper und Sophia Schreiber sehen das ähnlich. Sie leben beide ­direkt am Karlsplatz, einem der beliebtesten Treffpunkte der Drogenszene. Für sie gehören Menschen, die sich spritzen, zum Alltag, doch ihnen ist es wichtig, sie nicht pauschal als Problem zu betrachten. »Man kann mit ihnen reden«, so Schreiber. Tepper ergänzt: »Ich denke, wir brauchen keinen Ruf nach mehr Repression, sondern den Mut, neue Wege in der Drogenpolitik zu gehen.« Sicher seien die Anblicke nicht angenehm, die manche Ecken des Frankfurter Bahnhofsviertels böten, sagt Schreiber; es könne emotional belastend sein, das Elend mitzuerleben. Dennoch sei es wichtig, diese Menschen als handelnde Individuen wahrzunehmen statt als Problem.

Eine Ahnung, weshalb Menschen zu Drogen greifen, liefert die Erhebung »MoSyD – Die offene Drogenszene in Frankfurt am Main 2018«. Das Centre for Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt erstellt diese Studie regelmäßig, im Jahr 2018 nahmen 150 Personen teil. Die Mehrheit der Befragten begann schon vor dem 18. Lebensjahr, Drogen wie Ecstasy, Speed, Kokain oder Heroin zu konsumieren, der intravenöse Konsum begann im Durchschnitt mit Anfang 20. Trotz der Jahre oder Jahrzehnte in der Szene haben viele Drogennutzer Kinder. 61 Prozent der ­befragten Menschen in der offenen Drogenszene sind Eltern.

Und auch wenn Ronja Merkel und andere nach mehr Repression rufen – Kontrollen gibt es bereits häufig. 67 Prozent der Befragten gaben an, innerhalb des vergangenen Monats mindestens einmal von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Personen ohne deutschen Pass wurden demnach etwa dreimal so häufig kontrolliert wie die­jenigen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Mehr als 85 Prozent der Befragten nutzten Angebote der Drogenhilfe im Viertel, darunter die Druckräume, die mehr als die Hälfte regelmäßig ­besuchte. Dieses Angebot gäbe es ohne die vermeintlich lasche Drogenpolitik in Frankfurt wohl kaum.

Viele Drogennutzer sind mit der Szene gealtert. Noch 1991 lag der Altersschnitt bei unter 30 Jahren, 2018 bei über 40. Den wenigsten Konsumenten dürfte also mit Repression beizukommen sein. Sie gehören fest zur Drogenszene. Das gilt auch für viele Drogenhändler. Bei manchen handelt es sich zwar um sogenannte gewerbsmäßige Dealer. »Bei den allermeisten, die mit Drogen dealen, war die ursprüngliche Moti­vation, ihren eigenen Konsum zu finanzieren«, berichtet jedoch Bernd Werse. »Dass das Elend so groß ist, hat vielfach damit zu tun, dass die Drogen verboten sind. Würde man den Leuten einen ­legalen Zugang verschaffen, wären die Probleme sicher nicht mehr so gravierend, inklusive der Probleme mit Dealern.« Den Frankfurter Weg aufzugeben und Drogenkonsumenten und -händler zu verjagen oder wegzusperren, um das Frankfurter Bahnhofsviertel wieder eher als Ausgehquartier zu etablieren, in dem die Armut nicht mehr beim Feiern stört, dürfte also nicht die Lösung sein.