Covid-19 in Libyen

Drohnenkrieg und Pandemie

In Libyen eskalieren die Kämpfe, während sich das neuartige Coronavirus verbreitet. Die internationalen Unterstützer der Bürgerkriegsparteien befeuern den Konflikt weiter.

Der Schock kam plötzlich. Bis zum 25. März war kein einziger Fall der Lungenkrankheit Covid-19 gemeldet worden, doch bereits vier Tage später erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO Libyen zu einem »Hochrisikoland«. Am 12. April wurden 25 Infektionen und ein Todesfall in Libyen bestätigt. Die niedrigen Zahlen trügen, Libyen baut wie viele andere Länder gerade erst Testkapazitäten auf. Weniger als 600 Tests wurden bis zum 6. April vorgenommen, da diese von der WHO extern bereitgestellt werden mussten. Beim ersten bekannten Todesfall durch Covid-19 wurde die Krankheit erst nach dem Ableben der 85jährigen Betroffenen erkannt.

Im libyschen Bürgerkrieg konkurrieren zwei Regierungen um Macht und internationale Anerkennung. Dies verschlimmert die Pandemie, die sich ohnehin nicht territorial begrenzen lässt. Zudem hat sich der Bürgerkrieg zu einem internationalen Konflikt ausgeweitet, in den ausländische Regierungen Waffen, Geld und mittlerweile auch Kämpfer schicken, ohne Rücksicht auf ein von den UN wiederholt eingefordertes Waffenembargo.

»Es ist lächerlich, ich reibe nun meine Hände mit Desinfektions­mittel ein, bevor ich losgehe, um Mörsergranaten abzuschießen.«
Ein GNA-Kämpfer aus Tripolis

Die international anerkannte »Regierung der nationalen Übereinkunft« (GNA) in der Hauptstadt Tripolis unter Ministerpräsident Fayez al-Sarraj unterstützen Katar und militärisch vor allem von die Türkei, die Luftabwehrsysteme und Artillerie geliefert und seit Dezember mehr als 2000 Söldner aus Syrien eingeflogen hat. Der Staatsapparat der GNA ist abhängig von Milizen.

Auf der anderen Seite steht der Anführer der sogenannten Libyschen Nationalen Armee, Khalifa Haftar, der bereits seit 2014 das gesamte Land erobern will und seit April 2019 versucht, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen. Haftar unterstützen die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Saudi-Arabien und – eher zurückhaltend – Frankreich; zudem hat Russland seit vorigem Herbst unter anderem Hunderte Söldner der Wagner-Gruppe zu seiner Unterstützung entsandt. Al-Sarraj kontrolliert vor allem die dicht besiedelte Küstenregion um die Hauptstadt Tripolis, Haftar hingegen den ölreichen Osten und Süden des Landes und damit die meisten Ressourcen.

Bereits im Januar hatten die jeweiligen Unterstützerstaaten der libyschen Kriegsparteien auf der Berliner Libyen-Konferenz eine Absichtserklärung unterzeichnet, derzufolge ein Waffenembargo und ein Waffenstillstand eingehalten werden sollten. Das geschah nicht. Ein temporärer Waffenstillstand, den die UN Mitte März forderten, wurde trotz Zusagen beider Bürgerkriegsparteien ebenfalls nicht verwirklicht.

Im Gegenteil, die Kämpfe eskalieren inmitten der sich ausbreitenden Pandemie. Nach Angaben von Spiegel Online griffen mit der GNA verbündete Milizen am 25. März eine Luftwaffenbasis Haftars nahe Tripolis an, dessen Truppen im Gegenzug mehrere Kleinstädte im Westen des Landes eroberten; Haftars Einheiten beschießen weiterhin Tripolis mit Artillerie. In der Nacht von Sonntag auf Montag fanden türkische Drohnenangriffe auf Sabratha statt, mit der GNA verbündete Truppen rückten nach Zusammenstößen mit Haftars Verbänden auf die westlich von Tripolis gelegene Stadt vor, in der nunmehr Racheakte der gegen Haftar kämpfenden Truppen befürchtet werden.

Um der Pandemie Einhalt zu gebieten, haben beide Kriegsparteien in den von ihnen kontrollierten Städten Ausgangssperren verhängt, in Tripolis gilt sie 19 Stunden pro Tag. Nachdem am 6. April ein weiterer Krankenhauskomplex in der Hauptstadt bombardiert worden war, verkündete Yacoub al-Hillo, der Uno-Nothilfekoordinator für Libyen, in den fünf vorangegangenen Wochen seien bei den Kämpfen 27 Gesundheitseinrichtungen beschädigt worden, 14 seien mittlerweile geschlossen. »Sollte Libyen irgendeine Chance im Kampf gegen Covid-19 haben, muss der anhaltende Konflikt sofort beendet werden«, verlautbarte al-Hillo in einer Erklärung.

Nichts deutet auf ein solches Ende hin, insbesondere die ausländischen Unterstützer der beiden libyschen Kriegsparteien denken gar nicht daran, den Kampf auch nur auszusetzen, damit Maßnahmen gegen die Pandemie ergriffen werden können. Eine wichtige Rolle spielt dabei die besondere und neue Art der Kriegsführung in Libyen: Wahrscheinlich sei Libyen der weltweit größte Schauplatz eines Drohnenkriegs, so der Uno-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassan Salamé, der Anfang März von seinem Posten zurücktrat. Allein im Jahr 2019 wurden weit über 1000 Drohnenangriffe gezählt. Auf Seiten der GNA setzt die Türkei Drohnen insbesondere aus der Firma von Recep Tayyip Erdoǧans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar ein, den regierungsnahe Medien zum »Paten der türkischen Drohnen« erklärten. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen Haftar mit chinesischen Wing-Loong-Drohnen.

Der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik schrieb Anfang März in einem Kommentar, bewaffnete Drohnen verkörperten einen Trend zu militärischen Aktionen, bei denen die Risiken und Kosten der intervenierenden Mächte minimiert werden. Diese würden dadurch ermutigt, sich auch in Konflikte einzumischen, in denen keine Kerninteressen auf dem Spiel stehen. Mit Instrumenten wie Drohnen und Söldnern strebten intervenierende Staaten auch nach der Möglichkeit, die eigene Verantwortung zu verheimlichen und zu leugnen. Das gelinge, weil die Großmächte diese Verschleierungstaktik einer steigenden Zahl sich einmischender Staaten durchgehen ließen.

Diese risikoarme, indirekte Form der militärischen Intervention ist umso nützlicher in der Zeit der Covid-19-Pandemie: Truppen zu bewegen, gefährdet die eigenen Soldaten, die sich mit dem Erreger infizieren könnten. Mit Drohnen und Kampfflugzeugen kann weiterhin unvermindert Krieg geführt werden, der Einsatz verlagert sich sozusagen ins Homeoffice. Drohnenpiloten arbeiten aus der Ferne vor Bildschirmen, meist ohne das Land zu betreten, in dem sie über Leben und Tod entscheiden. Und im Bodenkrieg akzeptieren Söldner bei entsprechend hoher Bezahlung auch die Gefahren der Covid-19-Pandemie als Berufsrisiko. Die Journalistin Rebecca Murray berichtet von ihrem Besuch in Misrata im März: »Kämpfer an der Front tragen Gesichtsmasken, während sie aufeinander schießen.«

Die fast täglichen Bombardierungen durch Drohnen und Kampfflugzeuge haben gravierende Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, weswegen der Direktor der libyschen Gesundheitsbehörde NCDC mitteilte, Libyen sei »nicht in der Lage, das Virus zu bekämpfen«. Die beiden Kriegsparteien beschuldigen sich gegenseitig, durch das Einfliegen ausländischer Söldner das neuartige Coronavirus zu verbreiten. Truppen der GNA instruierten ihre Kämpfer, Waffen und Fahrzeuge, die ihnen in die Hände fallen, nicht zu berühren, solange sie nicht desinfiziert seien. »Es ist lächerlich«, sagte ein GNA-Kämpfer aus Tripolis dem Sender Voice of America zufolge kürzlich am Telefon, »ich reibe nun meine Hände mit Desinfektionsmittel ein, bevor ich losgehe, um Mörsergranaten abzuschießen.«

Die Ölhäfen im Osten des Landes sind seit mehr als vier Monaten stillgelegt. Haftar hatte dies kurz vor der Berliner Konferenz angeordnet, um Druck auf Europa auszuüben, damit es seine diplomatischen Bemühungen beende. Das ausbleibende Geld aus dem Ölexport fehlt beiden Kriegsparteien nun für den Kampf gegen die Covid-19-Pandemie.

Am 6. April ließ Haftar sowohl die Gas- als auch die Wasserversorgung für Tripolis abdrehen, ohne seine Rolle dabei zuzugeben. Am Montag gab es Anzeichen dafür, dass zumindest die Wasserversorgung temporär wieder funktionieren könnte. Am 12. April wurde ein Lager mit medizinischen Produkten in Tripolis von einem Luftangriff getroffen.

In den libyschen Lagern – in einigen von ihnen ist Folter an der Tagesordnung – müssen viele Flüchtlinge ausharren, die auf der Überfahrt nach Europa von der libyschen Küstenwache abgefangen wurden. Dicht gedrängt leben Zehntausende auf engstem Raum unter katastrophalen hygienischen Bedingungen. Einmal eingeschleppt, würde sich das Virus dort in Windeseile verbreiten. Schlimm getroffen hat es diejenigen, die bereits auf See sind: Werden sie aus Seenot gerettet, dürfen sie seit dem 10.April auch in Libyen nicht mehr von Bord gehen.