Die ­Debatte über Pornos und Gewalt

Das Problem heißt Männlichkeit

Die Vorfälle von »Monis Rache« haben wieder einmal gezeigt, dass es bei sexueller Gewalt kein linkes »wir« gibt.

Auf zwei Festivals mit linkem Anspruch wurden heimlich Video­aufnahmen in Klos und Duschen gemacht, die später auf einer ­Online-Pornoplattform auftauchten. Als dies bekannt wurde, waren viele empört und forderten Konsequenzen. Jacinta Nandi fand, dass viele ­Linke das Problem nicht verstehen.

 

Jacinta Nandis Text »Ich bin auch Täter« ist sehr mutig. Die Autorin nimmt die Debatte über die heimlich auf den linken Festivals »Fusion« und »Monis Rache« produzierten Videos, die auf die Pornoplattform X-Hamster gestellt wurden, zum Anlass, um über den eigenen Konsum von Pornovideos und ihre konfliktreichen Gefühle zu schreiben. Der Text geht da hin, wo es wehtut, und berührt einen. Aber vieles daran ist falsch. ­Damit ist natürlich gemeint, dass inhaltlich einiges nicht richtig ist. Doch der wirkliche Skandal ist, dass ihr Artikel – was Nandi sicherlich nicht beabsichtigt hat – eine enorme Entlastung von Männern und vor allem männlicher Sexualität leistet.

Um die müsste es aber bei sexueller Gewalt im Allgemeinen und beim Fall von »Monis Rache« im Besonderen hauptsächlich gehen. Es ist zum Haare­raufen, dass der erste Text zu den Vorfällen, der das Verhältnis von Gewalt und Sexualität ernst nimmt, eigene Anteile anerkennt und das alles in Verbindung mit der eigenen Entsolidarisierung setzt, von einer Frau stammt. Dies sagt einiges aus über eine Linke, besonders ihre Männer, die männliche Sexualität oft weder angemessen begreift noch problematisiert. Denn es gibt gewaltige Unterschiede zwischen dem, was Nandi bei sich feststellt, und den Vorfällen bei »Monis Rache« im Besonderen sowie von rape culture, also Gesellschaften, in denen Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt verbreitet sind und weitgehend toleriert oder geduldet werden, im Allgemeinen.

Nandis erster großer Fehler ist, beim Thema Pornographie die Gewalt in ­ihrer Produktion und die dargestellte Gewalt und Erniedrigung gleichzusetzen. Wenn die Autorin von ihrem Folter­pornokonsum schreibt, dass sie »wie ein Täter« sei, weil sie während der Masturbation hofft, dass der dargestellte Zwang echt ist, macht das Wörtchen »wie« den ganzen Unterschied. Denn es bleibt unklar, ob diese Hoffnung auch nur Teil einer Phantasie ist, oder ob Nandi tatsächlich den realen Zwang gutheißt. Genau das haben nämlich Henning F. und seine Kunden bei »Monis Rache« getan. Sie fanden es nicht nur eine geile Vorstellung, dass die Szenen durch einen realen Übergriff entstanden sind, sondern sie haben diese Übergriffe selbst begangen oder machten sich zu Komplizen.

Mit der Feststellung dieses Unterschieds wird nicht bestritten, dass sich der Mainstream der Pornographie sowohl bei der Produktion als auch bei den Inhalten in der Grauzone aus realer Gewalt und gewaltvollen Darstellungen bewegt. Das wurde zum Beispiel durch den kürzlich hochgekommen Skandal bei der größten Internetporno­seite Pornhub deutlich, die Filme aus Produktionen gezeigt hatte, deren Darstellerinnen Opfer von Menschen­handel sein sollen. Ob aber zum Beispiel eine Vergewaltigungsszene so freiwillig entstanden ist, wie das im patriarchalen Kapitalismus nun mal möglich ist, oder beim Abfilmen eines realen Übergriffs, ist ein sehr großer Unterschied. Zum einen natürlich für die Beteiligten, aber eben auch für die Subjekte, die den Porno konsumieren.

Auf der Subjektseite muss es bei der Frage nach Porno, Sexualität und Gewalt um die Bedeutung der sexuellen Erniedrigungs- und Gewaltphantasien und ihr Verhältnis zur gesellschaftlichen Realität sowie der eigenen Sexualität gehen. Und genau hier liegt die zentrale Differenz zwischen männlichen und weiblichen Subjekten, die in Nandis Artikel zwar aufscheint, aber auch stets wieder unsichtbar gemacht wird. Wenn die Autorin beispielsweise ihre Vorliebe für die Darstellung von Gewalt an Frauen mit der eigenen Betroffenheit von sexuellen Übergriffen in ein Verhältnis setzt, stellt sich die Frage, warum sie darin plötzlich keine Frau mehr, sondern nur noch ein geschlechtsloses »Wesen voller Verbrechen« sein soll. Mindestens genauso fragwürdig ist, wen das ominöse »wir« in ihrem abschließenden Aufruf meint. Wer müsste »tief in uns drinnen« eine Art Me-too-Bewegung starten, um an den Zuständen etwas zu ändern? Die meisten (linken) Männer zumindest machen keine der von Nandi beschriebenen Erfahrungen und sowohl Weiblichkeit erniedrigende (Porno-)Phantasien als auch reale sexuelle Gewalt spielen für sie eine vollkommen andere Rolle.

Jede Statistik und Alltagserfahrung zum Thema sexuelle Gewalt zeigt, dass es fast ausschließlich (heterosexuelle Cis-) Männer sind, die Übergriffe begehen, und dass diese Männer keine »Perversen«, »Pornosüchtigen« oder »Sadisten« sind, sondern vor allem einfach Männer. Nicht alle Männer sind Täter, aber fast alle Täter sind Männer, und zwar nicht nur bei Exzessen wie bei den heimlichen Aufnahmen auf den Dixiklos von »Monis Rache«, sondern tagtäglich bei den kleinen und großen Übergriffen, die vor allem Frauen er­leiden müssen. Welche Pornos diese Männer konsumieren, ist für diesen Zustand, abgesehen von der Frage der Gewalt in der Pornoproduktion, absolut zweitrangig. Denn Phantasie und Handlung hängen miteinander zusammen, stehen aber in keinem unmittelbaren Verhältnis. Ob ein Mann in der Realität sensibel mit Grenzen umgeht, lässt sich nicht daran erkennen, ob er Vergewaltigungsphantasien hat oder diese als Porno kon­sumiert. Männer werden nicht dadurch vertrauenswürdiger, dass sie solche Phantasien »widerlich« und »pervers« finden und romantische Softpornos bei Kerzenschein präferieren.

Die alte feministische These, dass »Pornographie die Theorie und Vergewaltigung die Praxis« sei, war deshalb auch schon immer falsch. Sie skandalisiert männliche Sexualität nicht zu hart, sondern zu wenig. Denn sie geht davon aus, dass die sexuelle Lust am realen Übergriff erst durch die Lust an der phantasierten Erniedrigung gelernt werden müsste. Außerdem bietet sie Männern die Ersatzhandlung an, sich von den »schmutzigen« Phantasien loszusagen, um wieder ein »reines« Subjekt zu werden. Doch in der kritischen Sexualwissenschaft besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das ­unmöglich ist. Pornos können bestimmte Bilder von Abläufen und Praktiken ­anbieten und verstärken. Doch welche Art von Sexualität das Subjekt begehrt, hängt weniger mit seinem Medienkonsum als mit einer grundlegenden sexuellen Konstitution zusammen, die schon in den frühesten Beziehungen angelegt und beständig umgearbeitet wird.

Dieser Befund wird oft als Argument für die Entdramatisierung von Pornokonsum gebraucht – zu Recht. Aber es ist der Umkehrschluss, der eine wirklich beschäftigten sollte: Dass nicht Pornokonsum, sondern die grundlegende sexuelle Konstitution die Lust am Übergriff hervorruft und verfestigt, bedeutet nichts weiter, als dass Jungen und Männer die gewaltsam unterwerfende »Vereinigung« mit Frauen relativ ­unabhängig vom Einfluss der Medien begehren – schon lange bevor sie jemals einen (Vergewaltigungs-)Porno zu Gesicht bekommen haben.

Als Beispiel ein paar keineswegs ungewöhnliche Erfahrungen, die vielen (heterosexuellen) Männern, so auch dem Autor, nicht unbekannt sein dürften: Nicht Pornos bringen einen dazu, als Jugendlicher über kleine Grenzüberschreitungen zu »flirten« oder beim Sex mit der Freundin eine Mischung aus Nähebedürfnis und Aggression, Lust und Verachtung zu empfinden. Sie resultiert aus Angst vor Abhängigkeit und Angst vor Weiblichkeit. Nicht wegen Pornos, sondern weil man als Mann sozialisiert wurde. Vor allem herrscht Angst vor der Abhängigkeit von Weiblichkeit, obwohl und gerade weil man Frauen begehrt. Der Sozialpsychologe Rolf Pohl nennt diesen (­sexuellen) Autonomie- und Abhängigkeitskonflikt »das Männlichkeits­dilemma« und sieht in ihm den tiefsten Grund für die sexuelle und intime ­Gewalt, die von Männern ausgeht.

Bei vielen (Hetero-)Männern hat dieses Dilemma oft weniger drastische Folgen: Man unterstellt Frauen einen Nähe- und Beziehungswunsch und entzieht sich, statt mit ihnen darüber zu reden, schaut gewaltvolle Porno­graphie, um das ambivalente Begehren zu bannen und um die eigene Aggres­sion in realen Beziehungen zu Frauen nicht spüren zu müssen. Oder man verschwindet, nach dem Orgasmus sofort auf dem Klo, weil man die Nähe nicht mehr erträgt. Das ist alles nicht schön, aber noch keine Gewalt. Trotzdem teilen viele (Hetero-)Männer »tief in sich drinnen« die grundlegende sexuelle Konstitution, die in den meisten Vergewaltigungen und anderen Übergriffen in die Tat umgesetzt wird.

Nandis letzter großer Fehler ist es deshalb, Sexualität und Gewalt als Gegensätze zu beschreiben. In einer ­patriarchalen Gesellschaft ist zwar nicht jeder Sexualakt, aber jede Sexualität auch gewaltvoll, besonders die männliche. Das war mal eine feministische Binsenweisheit. Die Frage ist also nicht das Ob, sondern das Wie. Wie begreifen Linke dieses Problem und wie gehen sie damit um? Die Männer jedenfalls machen es so wie eh und je: Relativierung, Täterschutz und allgemeines Desinteresse an Reflexions-, Schutz- und Unterstützungsstrukturen sind an der Tagesordnung. Wird Ignoranz unmöglich, wie bei den Vorfällen im Zusammenhang mit »Monis Rache«, verlieren sich die einen in einem Dauerzustand ambivalenter Verunsicherung und Betroffenheit, während die anderen sich selbst berufen sehen, ein »Mackermassaker« zu veranstalten und den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Hinter all diesen Umgangsweisen steht jedoch das gleiche Motiv: (Linke) Männer identifizieren sich mit Männern, die Übergriffe begehen. Sie erkennen eigene Anteile in den Taten und wissen dann entweder nicht, wohin mit dieser Erkenntnis (Ratlosigkeit, Ambivalenz, Relativierung), oder weisen alles aggressiv von sich (Dämonisierung, »Mackermassaker«, Kurzzeitaktionismus).

Nandis Reflexionen über sich selbst, Gewalt und Pornographie stehen deshalb in einem schreiend ungleichen Verhältnis zur Bedeutung von männ­licher Sexualität für rape culture und die Position, Haltung und Praxis linker Männer darin. Das ist aber nicht der Autorin, sondern vorrangig eben jenen (linken) Männern vorzuwerfen, die (ihre) männliche Sexualität nicht angemessen kritisieren und politische Konsequenzen daraus ziehen.

Denn die meisten Frauen und Queers wissen ganz genau, von wem die Gewalt ausgeht, auch wenn sie vielleicht nicht immer ganz verstehen, woher die (sexuelle) Lust am Übergriff kommt. Die meisten linken Männer hingegen begreifen weder das eine noch das andere, aber nicht, weil sie es nicht verstehen können, sondern weil sie es nicht verstehen wollen. Radikaler Antisexismus fängt deshalb da an, wo ­dieser Skandal nicht mehr hingenommen wird und sexuelle Gewalt nicht mehr zum Problem »der Linken« oder »der Betroffenen« gemacht wird, sondern zum Problem ihrer hauptsächlichen Verursacher und der patriarchalen Gesellschaft, die hinter ihnen steht.