Ein Gespräch mit Jana Zöll über die Kampagne #Risikogruppe


»Wir müssen da jetzt alle durch«

Interview Von Peter Nowak

Nicht nur ältere Menschen sind in der Coronakrise in besonderer Gefahr. Darauf weist die Kampagne #Risikogruppe hin, der sich auch die 35jährige Jana Zöll angeschlossen hat. Die in Leipzig arbeitende Schauspielerin und Inklusionsberaterin fürchtet, dass die Pandemie schon bald die Erfolge der Inklusion zunichte machen könnte.

Was würde eine Ansteckung mit dem Coronavirus für Sie bedeuten?

Wie bei anderen auch kann man das natürlich auch bei mir nur schwer vorhersagen. Da ich aber eine ausgeprägte Form von Osteogenesis imperfecta (Glasknochen), eine Körpergröße von 90 Zentimeter und starke Skoliose habe, ist mein Lungenvo­lumen entsprechend geringer. Die Kraft beim Abhusten fehlt im Fall einer Erkrankung, eine Dauerbelastung durch Husten würde zu Rippenbrüchen führen. Insgesamt ist das Risiko einer Lungenentzündung erhöht. Wenn ich mich also anstecke, ist der Verlauf wahrscheinlich ein schwerer. Außerdem vermute ich, dass im Fall des Falles eine Beatmung bei mir zu Brüchen sämtlicher Rippen führen würde. Auch wenn ich im Prinzip nicht krank bin, Covid-19 würde für mich wohl Lebensgefahr ­bedeuten.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie bereits jetzt auf Ihren Alltag?

Sechs Personen assistieren mir in Blockdiensten rund um die Uhr bei all den Dingen, die ich aufgrund meiner Behinderung nicht alleine bewältigen kann. Diese Assistenz ist lebensnotwendig, aber sie ist aufgrund der Ansteckungsgefahr nun auch ein Risiko. Meine Assistentinnen sind daher noch mehr als andere Menschen dazu angehalten, ihre Kontakte zu reduzieren. Bei jenen Assistentinnen, die in großen Wohngemeinschaften wohnen, muss ich darüber nachdenken, ob ich sie im Dienst behalten kann oder nicht. In die völlige Isolation, die wegen der Ansteckung jetzt wohl für mich am sichersten wäre, kann ich mich aber nicht begeben.

Wie hat sich Ihr Freizeitverhalten verändert?

Normalerweise gehe ich viel tanzen. Ich arbeite als Schauspielerin und Performerin und bin somit viel unterwegs, hier in der Stadt und in ganz Deutschland. Das fällt alles auf unbestimmte Zeit weg. Und ich befürchte, dass all das für Menschen aus den Risikogruppen deutlich länger wegfällt als für andere Menschen. Momentan ist das noch nicht so schlimm für mich. Für alle steht das Leben still, ich verpasse nichts. Ich habe derzeit fast mehr Kontakt, weil auf einmal alle wieder telefonieren oder viel im Internet unterwegs sind. Aber wenn das Leben für die anderen weitergeht und ich noch immer stillhalten muss, wird es schwer für mich. Mir macht die Vorstellung Angst, dass dann die zur Risikogruppe zählenden Menschen, die teilweise jahrzehntelang um Teilhabe an der Gesellschaft gekämpft haben, in Vergessenheit geraten, weil sie nicht mehr auf der Straße sichtbar sind.

Haben Sie Unterstützung von Freundinnen und Freunden oder Nachbarn beispielsweise bei der Besorgung von Lebensmitteln?

Derzeit regele ich noch alles über meine Assistenz. Aber ich habe Angst vor dem Moment, wenn die Krankheit durch mein Team geht und möglicherweise alle gleichzeitig krank werden. Ich hoffe, dass mein Sicherheitsnetz aus Freundinnen und Freunden und Familie dann hält.

Was hat sich im Umgang mit Ärzten und bei der Behandlung in Krankenhäusern geändert?

Nicht viel. Aber ich bin da auch speziell. Ich versuche immer, möglichst ohne auszukommen, und habe auch jetzt vor allem Angst davor, überhaupt ins Krankenhaus zu müssen und dass es mir da womöglich noch schlechter geht. Allerdings hoffe ich darauf, dass schnell mehr über das Virus herausgefunden wird und bald Medikamente und Impfstoff zur Verfügung stehen.

Es wird viel darüber diskutiert, ob die Kontaktbeschränkungen für die gesamte Bevölkerung verhältnismäßig sind. Wie beurteilen Sie die Diskussion?

Das ist schwierig zu beurteilen, weil niemand wirklich etwas Genaues weiß und es 100 Millionen Meinungen gibt. Aber solange das so ist, müssen wir, finde ich, von dem ausgehen, was im schlimmsten Fall die meisten Menschen schützt. Ich würde gerne sagen: Es geht um Menschenleben und deshalb muss man alles Menschenmögliche tun. Aber in anderen Bereichen, wenn es um andere Menschenleben geht, wird ja leider auch nicht so konsequent gehandelt. Und ich kann auch eine gewisse Grundskepsis bei so plötz­lichen und radikalen Einschnitten durch die Politik verstehen. In diesem Fall aber, wo ich auch persönlich betroffen bin, bin ich sehr froh, dass es diese Regeln gibt. Dass es wirklich ernst ist, merkt man vielleicht auch daran, dass die Beschränkungen auch große wirtschaftliche Einschnitte bedeuten. Das würde nicht geschehen, wenn es nicht wirklich, zumindest potentiell, eine große Gefahr gäbe.

Es wird an die Bevölkerung appelliert, die Beschränkungen aus Solidarität mit den Menschen zu akzeptieren, die bei einer Ansteckung in Gefahr wären. Wie empfinden Sie diese Appelle?

Erstmal bin ich über diese Appelle sehr froh und auch darüber, dass sie stellenweise zu fruchten scheinen. Aber es erkranken oder sterben auch immer mehr Menschen, die keiner Risikogruppe zugeordnet wurden. Am Ende weiß man gar nicht, für wen man es tut. Vielleicht sogar für sich selbst. Eigentlich sitzen wir doch alle im selben Boot. Wir wissen es einfach noch nicht. Mir gefällt es allerdings gar nicht, wenn in den Medien wieder verstärkt von den »Schwachen« und »Kranken« die Rede ist. Die Risikogruppe besteht nicht ausschließlich aus Kranken und schon gar nicht aus Schwachen.

Empfinden Sie es als unsolidarisch, wenn sich Leute nicht an die Beschränkungen halten und beispielsweise in Gruppen draußen aufhalten?

Ja, schon. Es ist für uns alle nicht leicht, aber wir müssen da jetzt alle durch. Menschen, die sich nicht verletzlich fühlen oder die Tragweite nicht verstehen können oder wollen, sind derzeit eine große Gefahr für andere. Es macht mich wütend, wenn ich draußen spazieren gehe und ­Jogger einfach auf die Straße rotzen, ohne einen Moment über die Folgen für andere nachzudenken. Das heißt für mich momentan, dass ich überlege, ob ich sogar auf die erlaubten Spaziergänge verzichten muss. Aber die Situation ist mit der Verschärfung der Maßnahmen zum Glück besser geworden.

Welche politischen Forderungen hat die Kampagne »Risikogruppe«?

Ich kann nicht für die Gruppe sprechen. Ich finde es gut, dass keine generelle Ausgangssperre verhängt wurde und somit auch Faktoren wie häusliche und sexuelle Gewalt berücksichtigt wurden. Man könn­te noch viel konsequenter einige Arbeitsbereiche einschränken und sollte Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören, konsequent das Homeoffice ermöglichen. Man darf auch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nicht vergessen und was für sie beispielsweise die verstärkte Isolation bedeuten kann oder auch der Wegfall von Thera­pien oder mögliche Engpässe in der Versorgung mit Medikamenten.

Was halten Sie davon, den Menschen zu applaudieren, die in der Pflege arbeiten?

Wir sehen jetzt deutlich, dass die pflegenden Berufe dringend mehr Wertschätzung brauchen. Und nein, da hilft jetzt kein Klatschen, sondern es braucht bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Die Zusammenpferchung von Risikopatienten in Wohnheimen sollte dringend überdacht und Assistenzmodelle sollten unterstützt werden. Wir brauchen Notfallpläne für Assistenzteams, die zusammenzubrechen drohen. Und wir alle sollten uns nochmal mit dem Intensivpflege- und Rehabi­litationsstärkungsgesetz auseinandersetzen.

Sie spielen auf die jüngsten Gesetzesänderungen an, wonach ­Intensivpatienten nur noch im Ausnahmefall in der eigenen Wohnung betreut werden dürfen?

Mit der Covid-19-Pandemie wird es deutlich mehr Beatmungspatienten geben; davor scheint mir auch keiner gefeit zu sein. Also sollten sich jetzt alle, auch Politikerinnen und Politiker, darüber Gedanken machen, ob sie Lust haben, den Rest ihres ­Lebens fremdbestimmt im Pflegeheim zu verbringen.