Neonazis aus Deutschland und Österreich spielen Grenzschutz in Griechenland

Wenn Rechte reisen

Extreme Rechte aus Deutschland und Österreich reisten ins türkisch-griechische Grenzgebiet, um die EU-Außengrenze gegen vermeintliche »Invasoren« zu verteidigen. Erwünscht waren sie dort aber nicht.

»Nie wieder 2015« – unter diesem Motto riefen extreme Rechte aus ganz Europa dazu auf, gegen Geflüchtete an der türkisch-griechischen Landgrenze und auf Lesbos vorzugehen. Von der harten Politik der griechischen Regierung fühlten sie sich offenbar bestätigt und ermutigt. Die griechische Grenzpolizei setzte am 2. März Tränengas und sogar scharfe Munition gegen Menschen ein, die den Fluss Evros überqueren wollten, um von der Türkei das griechische Ufer zu erreichen. Forensic Architecture, eine unabhängige Kunst- und Rechercheagentur mit Sitz am Centre for Research Architecture der Londoner Universität Goldsmiths, bestätigten die Authentizität mehrerer Videos, die den Geflüchteten Mohammed al-Arab zeigen, dessen Schusswunde am Hals versorgt wird. Al-Arab starb später an der Verletzung.

Vielen Menschen auf Lesbos sind die Gräueltaten der Nazis aus den vierziger Jahren aus Zeitzeugen­berichten der Eltern und Großeltern bekannt.

Dass AfD-Politiker angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 einen Schießbefehl an der EU-Außengrenze forderten, löste damals fast allgemeine Empörung aus. Nun wird an der EU-Außengrenze geschossen. Währenddessen teilten extreme Rechte in Chat-Gruppen Bilder von Vermummten, die mit Pyrotechnik, Waffen und griechischen Fahnen posieren. n der türkisch-griechischen Grenzregion hielt sich mutmaßlich auch eine der Leitfiguren der extrem rechten »Identitären Bewegung« (IB), Martin Sellner, für etwa zwei Tage auf – bis er von der griechischen Regierung des Landes verwiesen wurde. Dies berichtete die griechische Tageszeitung Ekathimerini.

Ein von der IB produziertes und am 10. März veröffentlichtes Video wirkt eher gestellt. Es wird suggeriert, dass es an der griechisch-türkischen Grenze gedreht worden sei, aber wo genau und wie nah an der Grenze bleibt unklar. Zu sehen sind die immer gleichen IB-Mitglieder, die mit dem Feldstecher die Umgebung beobachten. Ab und an passieren griechische Militärfahrzeuge. Ein Jeep mit einer deutschen Behördenflagge auf der linken und mit der griechischen auf der rechten Seite rauscht zu elektronischer Popmusik über Schotterpisten. Kommentiert werden die Aufnahmen von den IB-Mitgliedern Philip Thaler und Till-Lucas Wessels. Sie sprechen von einer drohenden »Invasion« und wünschen sich eine »Remigration«. Am Ende des Videos verteilen IB-Mitglieder Süßigkeiten an griechische Soldaten. Sellner kommentierte auf Twitter, offenbar während der Rückreise von diesen Aufnahmen, es gebe für ihn vor Ort nichts zu tun, die Griechen machten das großartig. In der Grenzregion zur Türkei sollen sich bewaffnete Bürgerwehren gebildet haben. Auf Unterstützung aus Deutschland und Österreich scheinen sie nicht angewiesen zu sein.

Auch der IB-Aktivist Mario Müller reiste in Begleitung von Jonathan Stumpf, einem ehemaligen NPD-Kader, in die Ägäis. Nach Information des Kollektivs »Recherche Nord« veröffentlicht Stumpf unter dem Pseu­donym »Johannes Scharf«. Eine seiner Publikationen heißt »Der weiße Ethnostaat« und greift auf biologistische Rassentheorien und die Ideologie der white supremacy zurück. Müller berichtet vor Ort für die extrem rechte Zeitschrift Compact. Medienberichten zufolge griffen Anfang März in Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, lokale Antifaschistinnen und Antifaschisten die Gruppe an und verletzten Stumpf am Kopf. Auf dem Videoportal Bitchute sprach Stumpf von einem »guten Kampf« und bestritt zugleich, er sei auf die Insel gereist, um zu kämpfen. In der Telegram-Chatgruppe des extrem rechten Live-Streamingkanal FSN TV erhielt er dafür enormen Zuspruch und wurde als Held gefeiert. »Stabil geblieben – größten Respekt«, schreibt FSN TV an seine Follower. Unter extrem Rechten kursiert ein Selfie von Stumpf mit Platzwunde am Kopf an der Seite Müllers. Untertitelt ist es mit den Worten »Heroes of our time«.

Das Engagement deutscher extremer Rechter auf Lesbos ist historisch betrachtet besonders makaber. Vielen Menschen dort sind die Gräueltaten der Nazis aus Zeitzeugenberichten der Eltern und Großeltern bekannt. Nicht nur der Angriff lokaler Antifaschistinnen und Antifaschisten auf Müller und Stumpf zeigte den Unmut über deren Auftritt auf der Insel. Es kam zu tumultartigen Szenen, die Gruppe von Stumpf wurde auf der Haupteinkaufsstraße von Mytilini von Passantinnen und Passanten beschimpft. Auch wenn inzwischen bei vielen Inselbewohnern das Ressentiment gegen Geflüchtete sowie deren Unterstützerinnen und Unterstützer bedenkliche Ausmaße erreicht – die Nachkommen der Besatzer sind bei ihnen deshalb noch lange nicht willkommen.