Einige deutsche Städte und ­Kommunen wollen mehr Geflüchtete aufnehmen

Land in Sicht

Die Bundesregierung möchte bis zu 1 500 minderjährige Geflüchtete, die sich derzeit in Griechenland aufhalten, unter Beteiligung weiterer EU-Staaten aufnehmen. Einigen deutschen Kommunen, die sich in den vergangenen Jahren zu »Sicheren Häfen« erklärt haben, reicht das nicht. Sie bieten an, mehr Menschen aufzunehmen. Ob das rechtlich möglich ist, ist umstritten.

»Aufgrund der Situation in den griechischen Flüchtlingslagern haben das Bündnis ›Städte Sicherer Häfen‹ und weitere deutsche Kommunen ihre Bereitschaft signalisiert, im Rahmen eines Sofortprogramms bis zu 500 unbegleitete Minderjährige unter 14 Jahren aufzunehmen.« So steht es in einem Schreiben, mit dem sich die Oberbürgermeister aus sieben deutschen Städten am 5. März an die Bundesregierung wenden. Sie fordern diese auf, »unverzüglich die rechtlichen Möglichkeiten für die Unterbringung zu schaffen«. Die sieben Städte gehören zu den insgesamt 138 Kommunen, die sich seit 2018 zu »Sicheren Häfen« erklärt haben. Die Anregung dazu gab das Bündnis »Seebrücke«, das sich im selben Jahr gegründet hatte und sich für sichere Fluchtwege, staatliche Seenotrettungsmissionen und eine geschützte Aufnahme durch die Kommunen einsetzt.

Bundesländer hätten die Kompetenz, eigenständig Aufnahme­entscheidungen für Geflüchtete zu treffen, so Juristen.

Am Montag vergangener Woche erklärten SPD und Union nach langen Verhandlungen, 1 000 bis 1 500 der Geflüchtete aufnehmen zu wollen, die derzeit unter katastrophalen Bedingungen an der griechisch-türkischen Grenze ausharren. Dabei gehe es vor allem um Menschen, die entweder »wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind«, heißt es von den Regierungsparteien. Zudem seien die meisten der Kinder Mädchen. Markus Doga, Sprecher der Organisation Seebrücke, sagte der Jungle World, dass das Bündnis die Aufnahme jedes einzelnen Menschen begrüße: »Aber in Griechenland sitzen aktuell mehr als 40 000 Menschen fest, das ist keine ernstzunehmende Entlastung.« Das Vorhaben der Koalitionsparteien nannte er »lächerlich« und bezeichnete es als »reine Symbolpolitik«. Zuvor hatten die Koalitionsparteien im Bundestag einen Antrag der Grünen abgelehnt, der vorsah, bis zu 5 000 Geflüchtete aufzunehmen. Sie begründeten dies damit, dass es »eine europäische Lösung« brauche und ein alleiniges Vorgehen Deutschlands ein falsches Signal setze.

Auch der jetzige Beschluss ist an die Bedingung geknüpft, dass sich weitere EU-Staaten an der Aufnahme beteiligen. In einer sogenannten »Koalition der Willigen« sollen sich aufnahmebereite Staaten zusammenschließen, ohne dass es dafür die Zustimmung aller 27 EU-Staaten bräuchte. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, es gebe Anzeichen, dass sich weitere Länder beteiligen würden, darunter Frankreich. Mehrere EU-Staaten haben sich bereits bereit erklärt, ingesamt 1 600 Kinder aufzunehmen. Ramona Lenz von der Menschenrechtsorganisation Medico International ist dennoch skeptisch. »Die Aufnahme der Menschen ist an so viele Bedingungen geknüpft, dass eigentlich damit gerechnet werden kann, dass diese nicht erfüllt werden«, sagte sie der Jungle World.

Sie hält die Städte für »die einzige Hoffnung in dem Wahnsinn«. Eine Stadt, die sich an dem vor zwei Wochen verfassten Appell an die Bundesregierung beteiligte, ist Rottenburg am Neckar. Oberbürgermeister Stephan Neher (CDU) sagte der Jungle World, die Kommunen signalisierten, »dass wir sehr wohl in der Lage sind, solche Zustände nicht hinzunehmen«. Rottenburg gehört zu den 13 Kommunen, die sich im Juni 2019, zusätzlich zur Teilnahme an dem Verbund »Sichere Häfen«, zu dem Bündnis »Städte Sicherer Häfen« zusammengeschlossen haben. Mittlerweile gehören diesem rund 50 Kommunen an. Das Bündnis soll zu einer besseren Vernetzung der Städte untereinander beitragen und den Druck auf den Bund erhöhen, eine sichere Ankunft in Deutschland zu ermöglichen. Eine ihrer wichtigsten Forderungen an die Bundesregierung ist, den Kommunen die Möglichkeit zu geben, Geflüchtete unabhängig vom bestehenden Verteilungsschlüssel aufzunehmen.

Bisher ermöglichte die Bundesregierung dies jedoch nicht. Bereits im Juni 2019 wollte Stephan Neher (CDU), der seit 2008 Oberbürgermeister von Rottenburg ist, 53 Geflüchtete, die wegen eines Anlegeverbots der italienischen Regierung wochenlang auf dem Rettungsschiff »Sea-Watch 3« ausharren mussten, in Rottenburg aufnehmen. Von der Bundesregierung erhielt er allerdings keine Zusage. »Eine direkte Aufnahme von Kommunen sei nicht möglich«, so Neher. Der Oberbürgermeister sagt, dass angesichts der Größe seiner Stadt, die rund 46 000 Einwohnerinnen und Einwohner hat, der Bund besser in der Lage sei, Identitäts- und Sicherheitsprüfungen vorzunehmen. Einige Kommunen, die dem Bündnis »Städte Sicherer Häfen« angehören, sehen das Neher zufolge allerdings anders. Sie wünschen sich auch eine direkte Aufnahme durch Kommunen.

Nach Paragraph 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes bedarf es des Einvernehmens mit dem Bundesinnenministerium, um Geflüchteten Aufenthalt in einem Bundesland zu gewähren. Die Grünen haben kürzlich ein Rechtsgutachten eingeholt, demzufolge Bundesländer auch eigenständig Geflüchtete aufnehmen dürfen. Grundlagedafür sei die im Grundgesetz festgeschriebene Eigenstaatlichkeit der Bundesländer. Dem Gutachten zufolge könne die Aufnahme von Geflüchteten durch die Bundesregierung nicht verhindert werden und die Bundesländer hätten das Recht, besonders vulnerable Personen aufzunehmen.

Auch Helene Heuser zufolge haben die Bundesländer die Kompetenz, eigenständig Aufnahmeentscheidungen zu treffen. Dies, so die Juristin an der Universität Hamburg, dürfe auch unabhängig von einem Asylverfahren erfolgen. Sie nimmt zwar zur Kenntnis, dass für die Aufnahme durch die Länder nach dem Aufenthaltsrecht ein Einvernehmen mit dem Innenministerium erforderlich ist, hält die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung allerdings für fragwürdig. Zudem sei der Spielraum des Ministeriums, ein solches Einvernehmen zu verweigern, auch dem Aufenthaltsgesetz zufolge begrenzt. Denn dieses soll lediglich der »Wahrung der Bundeseinheitlichkeit« dienen und damit gewährleisten, dass die Aufnahmebedingungen in den Ländern sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden. »Das Prinzip fordert, etwaige Hindernisse für die Erteilung des Einvernehmens durch entsprechende Hinweise auszuräumen«, so Heuser.

Das Bündnis »Städte Sicherer Häfen« möchte sich auf einem Koordinierungstreffen im März über das weitere Vorgehen beraten. Neher glaubt, dass das Bündnis durchaus in der Lage sei, Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Dass bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im September »ein gewisses Umdenken« eingesetzt habe, als dieser ankündigte, jeden vierten aus Seenot geretteten Menschen aufnehmen zu wollen, rechnet Neher auch den Bemühungen der Kommunen zu. Dabei haben er und neun weitere Städte, die im Juni 2019 einen offenen Brief an den Innenminister verfassten, bis heute keine Antwort erhalten, wie der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) Anfang des Jahres verriet. Dennoch sei es wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten und noch mehr Städte dazu zu bewegen, dem Bündnis beizutreten: »Man soll merken, dass auf den unteren Ebenen diese Politik der Bundesregierung nicht geteilt wird.«