In Hanau gedenken sehr unterschiedliche Gruppen der Opfer

Blumen und Fahnen

Nach dem Anschlag von Hanau wird der Opfer gedacht – in getrennten Gedenkveranstaltungen.

Normal ist am Samstagmittag noch immer nichts in der Hanauer Innenstadt. Die Straße Heumarkt ist zum großen Teil von der Polizei abgesperrt. Hier, in der »Midnight Shishabar«, hatte Tobias R. am späten Mittwochabend seine rassistische Mordserie begonnen. An den Kreuzungen, die zur Straße führen, liegt ein Meer von Blumen. Dazwischen stehen Grabkerzen und kleine Schilder, auf denen »Liebe für Alle« oder »Euer Hass entzweit uns« steht. Immer wieder kommen Menschen am Tatort vorbei, die meisten von ihnen haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Verbitterung und Trauer ist ihnen anzusehen, wenn sie auf die Shisha-Bar schauen.

Während der Auftaktkundgebung sprachen fast ausschließlich Menschen, die rechten Terror in ihrem direkten Umfeld erlebt haben oder sich in der einen oder anderen Form mit der Aufarbeitung solcher Taten beschäftigen.

Etwas von der Verbitterung nehmen und zeigen, woher der Rassismus kommt, wollten die Veranstalter der Demonstration, die am Samstag auf dem Friedensplatz begann. Dem Aufruf des antirassistischen Bündnisses »We’ll Come United«, etlicher Initiativen zur Aufarbeitung des NSU-Terrors, darunter das »Tribunal NSU-Komplex auflösen«, und des linken Migrantenvereins DIDF sowie kurdischer Vereine waren etwa 6 000 Menschen gefolgt.

Während der Auftaktkundgebung sprachen fast ausschließlich Menschen, die rechten Terror in ihrem direkten Umfeld erlebt haben oder sich in der einen oder anderen Form mit der Aufarbeitung solcher Taten beschäftigen. Aynur Satır Akça verlor bei einem Brandanschlag in Duisburg im Jahr 1984 sieben Familienangehörige. Sie sprach darüber, wie der Anschlag damals von Behörden und Medien heruntergespielt wurde. Aus Halle angereist sprach Izzet Cagac, der Betreiber des Imbisses, in dem beim Attentat am 9. Oktober ein Gast ermordet wurde. Die meisten Redenerinnen und Redner kritisierten die deutsche Innenpolitik. Opfer seien, wie etwa im Zusammenhang mit den Morden und Bombenanschlägen des NSU, regelmäßig verdächtigt worden, selbst die Täter zu sein, was für diese oft schwerwiegende persönliche Konsequenzen hatte. Polizei und Geheimdienste seien durchsetzt von Nazis und Innenminister Horst Seehofer (CSU), der an seinem 69. Geburtstag Witze über 69 Abschiebungen nach Afghanistan machte, habe die rassistische Stimmung noch befeuert.

Mario von »We’ll Come United« sagte, dass man in Hanau gut vernetzt sei, weil viele Mitglieder des Bündnisses aus der Stadt kommen. Bei der Demonstration wollte man die Betroffenen sprechen lassen. »Es ist unsere Praxis, wie auch die von anderen Gruppen wie dem Tribunal NSU-Komplex auflösen, das zur Sprache zu bringen, was Angehörige und Freunde fühlen und was sie auch von der Politik erwarten«, sagte Mario der Jungle World.

Auch Silas Kropf hätte zunächst am Samstag in Hanau sprechen sollen, der Sinto kommt aus Hanau und war bis 2019 Mitglied im Vorstand von Amaro Drom, einem Verein, in dem sich Roma selbst organisieren. Er habe dafür sensibilisieren wollen, dass unter den Opfern auch »Mitglieder der Community der Sinti und Roma« waren, sagte er der Jungle World. Dies sei in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Seinen Redebeitrag sagte Kropf allerdings ab. Er habe den Eindruck, die Demonstration wolle nicht »für Zusammenhalt und Geschlossenheit werben«, sondern »einen weiteren Keil in die Gesellschaft« treiben.

Er findet, »Deutschland und alle Deutschen« seien in anderen Reden »unter Generalverdacht« gestellt worden. Das passe nicht zu Hanau, wie er es kenne. »Wut auf die Gesellschaft, auf staatliche Organe oder auf die Politik«, dafür habe er Verständnis. Aber Kropf sieht die Gefahr, dass die »Wut in Hass umschlägt« und so die gesellschaftliche Spaltung noch zunehme.

Am Sonntag fand noch eine weitere Demonstration anlässlich des rassistischen Massakers statt. Diesmal zogen nach Schätzungen der Polizei bis zu 10 000 Menschen ebenfalls vom Tatort am Kurt-Schumacher-Platz in die Innenstadt. Es sprachen neben Faruk Arslan, der beim rassistischen Brandanschlag von Mölln am 22. November 1992 drei Familienmitglieder verlor, auch der türkische Botschafter Ali Kemal Aydın und Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sowie Sprecher der christlichen, muslimischen und jüdischen Gemeinden Hanaus.

Auf der Demonstration dominierten türkische Fahnen in allen Größen. Es wurde nicht nur viel und lautstark »Nazis raus« gerufen, sondern auch »Allah o akbar«. Auch sollen Plakate gegen die syrisch-kurdische YPG und die PKK gezeigt worden sein. Das mehrere Opfer des Anschlags Kurden waren, schien kaum zu interessieren.

Es ist nicht auszuschließen, dass viele Hanauerinnen und Hanauer es mit den politischen Differenzen zwischen türkischen und kurdischen Organisationen nicht gar so genau genommen haben und beide Veranstaltungen besuchten. Zugleich machten die beiden Demonstration deutlich, wie diese Differenzen dazu führen, dass unter den vom rassistischen Terror Betroffenen ein gemeinsames Gedenken unmöglich wird.