Die Parlamentswahl im Iran bieten keine echten Wahlmöglichkeiten

Stagnation statt Revolution

Für die Machthaber im Iran läuft es nicht gut. Von den Parlaments­wahlen am 21. Februar erwartet kaum jemand Verbesserungen, die Proteste dauern an, das Regime ist inkompetent und zerstritten.

Zurzeit gelingt dem iranischen Regime gar nichts mehr. Nach dem Tod ihres bekanntesten Militärführers Qasem Soleimani Anfang des Jahres sollte dessen Beerdigung eine Machtdemons­tration der Islamischen Republik in ihrem 41. Jahr werden, vergleichbar nur mit dem Massenaufmarsch bei der Grablegung des Staatsgründers Ayatollah Khomeini. Dann aber kam es zu einer Massenpanik mit über 50 Toten. Einen Tag nach dem Ende der Beerdigungsfeierlichkeiten schoss die nervöse Flugabwehr der Revolutionsgardisten eine in Teheran startende ukrainische Passagiermaschine ab und bestritt den Fehler auch noch tagelang. Die den USA martialisch angedrohten Vergeltungsschläge fielen mit ein paar offensichtlich angekündigten Raketen auf einen US-amerikanischen Stützpunkt sehr schwach aus und waren eher symbolisch. Solche Ereignisse offenbaren ein versagendes Gesamtsystem, in dem immer mehr Rädchen nicht mehr ineinandergreifen.

Seit der Staatsgründung 1979 sind noch nie so viele Kandidaten für die Parlamentswahl gestrichen worden.

Die Staatsrepräsentanten berauschen sich zwar an den von ihnen selbst inszenierten Massenaufmärschen, aber auch die Propagandamaschine läuft nicht mehr rund. So twitterte der iranische Außenminister Mohammed ­Javad Zarif zu den Bildern vom Begräbnis Soleimanis, dessen Ermordung werde weltweit Wut und Groll gegen die USA »in einer Größenordnung, die in jüngster Zeit ohne Beispiel sei«, auslösen. Das »Ende der bösartigen US-Präsenz in Westasien« habe begonnen. Nicht einmal eine Woche später rissen Demonstranten in iranischen Städten Plakate des getöteten Generals von den Wänden.

Nichts fügt sich mehr in die Erzählung von der siegreichen Islamischen Republik, die wirtschaftlich erschöpften und politisch frustrierten Iranerinnen und Iraner gehen demonstrieren, sobald ein Funke die Wut entzündet. Auch in den vom Iran beeinflussten Nachbarstaaten Syrien, Irak und Libanon hat sich der Machtanspruch der Ayatollahs auf seinem Höhepunkt plötzlich als brüchig erwiesen. Der Libanon mit seiner von der Hizbollah eingesetzten Regierung taumelt dem Staatsbankrott entgegen, der syrische Diktator Bashar al-Assad ist de facto ebenfalls pleite und die Iraker hören einfach nicht auf, gegen den iranischen Einfluss zu demonstrieren – Soleimanis imperiales Erbe scheint schnell zu verfallen. Nun folgt die nächste Unannehmlichkeit für die Islamische ­Republik: Am 21. Februar sind Parlamentswahlen.

Die Wahlen mögen nach westlichen Maßstäben eine Farce sein, bedeutungslos sind sie dennoch nicht. Die Islamische Republik ist in ihrem Staatsaufbau nicht mit anderen autoritären Diktaturen wie etwa in Syrien zu vergleichen. Ihr vergleichsweise größeres Potential, auch schwere innenpolitische Unruhen zu überstehen – wie es vor allem im Jahr 2009 bei der »Grünen Bewegung« deutlich wurde, hat sie der Existenz mehrerer Machtgruppen zu verdanken, die wie Trabanten um das Zentrum in Gestalt des Revolutionsführers Ali Khamenei kreisen.

Diese plurale Machtstruktur erlaubt es, bis zu einem gewissen Grad, Erschütterungen aufzufangen und Interessen auszugleichen. Auch die Illusion einer Reformierbarkeit des Systems konnte so lange Zeit aufrechterhalten werden. Dafür stehen die notorischen »Moderaten« und »Reformer«, denen auch Präsident Hassan Rohani angehört. Über 20 Jahre lang, seit der ersten Präsidentschaft von Mohammed Khatami in den neunziger Jahren, haben die Apologeten der Islamischen Republik immer wieder Reformen versprochen, die nie gekommen sind und die auch nie kommen konnten, schließlich steht das gesamte Machtgefüge der Islamischen Republik gegen einen grundsätzlichen Umbau des Staates. Alles andere konnte und sollte nur Kosmetik sein.

Damit haben die Reformer eine wichtige Rolle für die Islamische Republik erfüllt, sowohl nach innen als auch nach außen. Die Dynamik zwischen Reformversprechen und dem Kurs der sogenannten Hardliner, gerne garniert mit politischen Querschlägern wie dem ehemaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad, könnte nun an ihr Ende gekommen sein. Auch das ist ein Zeichen der tiefgehenden Krise im Iran. Die Niederschlagung der Proteste im Herbst 2019 mit der Abriegelung ganzer Städte, dem breiten Einsatz militä­rischer Gewalt und Hunderten von Toten war eine neue Stufe der Repression. So wird die Aufrechterhaltung des bisherigen Systems mit zumindest formalen Wahlen schwierig – der Iran müsste sich zu einer offene Diktatur wandeln.

Es gab Gerüchte und Spekulationen, dass Qasem Soleimani und der Revolutionsführer an eine napoleonische ­Lösung gedacht haben. Sicher kann man immerhin sagen, dass nur Soleimani den persönlichen Nimbus für so einen Staatsstreich von Innen mitgebracht hätte. Aber dieser Weg ist nun versperrt, und die politische Klasse im Iran macht mit Inkompetenz und offener Korrup­tion auch keinen viel besseren Eindruck als diejenigen in Bagdad oder Beirut. Personal und Institutionen funktionieren immer schlechter.

Zumindest werden die Parlamentswahlen dafür sorgen, dass man sich für eine Weile keine fruchtlosen Gedanken mehr über »Reformer« und »Moderate« im Iran machen muss. Im neuen Parlament werden sie kaum noch vertreten sein. Das liegt an einer speziellen Verfassungskonstruktion der Is­lamischen Republik, der Institution des Wächterrates. Dieses Gremium aus zwölf handverlesenen Klerikern kontrolliert die Einhaltung der revolutionären Normen, auf denen der Staat gegründet ist. Mit ihm kann der religiöse Führer Wahlen steuern und Beschlüsse der gewählten Regierung widerrufen lassen. Wer in der Islamischen Republik als Kandidat auf eine Wahlliste gelangen will, muss seine Kandidatur vom Wächterrat bestätigen lassen. Für die gegenwärtigen Parlamentswahlen sind bisher von rund 14 000 Kandidaten, die sich zur Wahl stellen wollten, nur die Hälfte zugelassen worden. Die Streichung von der Kandidatenliste hat auch einzelne Hardliner betroffen, in der Masse geht sie aber zur Lasten der Moderaten und Reformer, die somit in weiten Teilen des Landes gar nicht zur Wahl stehen. Seit der Staatsgründung 1979 sind noch nie so viele Kandidaten disqualifiziert worden. Die Frage, wie viele Kandidaten von welcher Richtung überhaupt zugelassen werden, beantworten interne Machtkämpfe innerhalb des heillos zerstrittenen Establishments. Insofern sind die Wahlen für den Machtapparat der Islamischen Republik tatsächlich bedeutsam, bestimmte Personen können hier ihren Führungsanspruch demonstrieren, andere Fraktionen bekommen signalisiert, dass sie sich keine Hoffnung zu machen brauchen. Parlamentswahlen im Iran sind ein Aushandlungsprozess innerhalb des Regimes, dazu kommt die Korruption. Manche kaufen sich auch einen Kandidatenplatz beim Wächterrat.

Diesmal zeichnen sich ein paar interessante Entwicklungen ab: Rohanis Verbündete werden so weit an den Rand gedrängt, dass schon Überlegungen zum Wahlboykott aufgekommen sind. Ein Großteil der Abgeordneten, auf die sich der Präsident zur Zeit stützt, darf sich nicht zur Wiederwahl stellen. Rohani hat als Zeichen des Protestes dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Macht des Wächterrates bei der Kandidatenbestätigung beschneiden soll. Das ist allerdings auch nur ein symbolischer Akt, der Wächterrat müsste seiner eigenen Entmachtung schließlich zustimmen.

Mehr Protest ist von den sogenannten Moderaten und Reformern nicht zu erwarten, schließlich hat Khamenei bereits drohend gemahnt, in der Kritik nicht zu weit zu gehen, nachdem Rohani vor einer bloß noch »zeremoniellen Wahl« gewarnt hatte.

Und so deuten sich Machtverschiebungen an: Ali Larijani, seit 2008 Parlamentssprecher und einer der prominentesten Politiker des Iran, hat sich nicht zur Wiederwahl gestellt. Was das bedeutet, weiß bisher niemand – eine Entmachtung der einflußreichen Familie oder eine Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr? Alis Bruder, Sadeq Larijani der zehn Jahre lang den Justizapparat kontrolliert hat, muss sich derweil mit Korruptionsvorwürfen herumschlagen.

Neuer Parlamentssprecher könnte Mohammed Bagher Ghalibaf werden, der Bürgermeister von Teheran, ein ehemaliger Polizeichef und General der Revolutionsgarden – vielleicht ein Anwärter auf den Posten eines neuen starken Mannes. So oder so werden die letzten Monate von Rohanis Präsidentschaft mit einem dann gänzlich feindselig gestimmten Parlament noch weniger produktiv verlaufen als die Jahre zuvor.

Die Wahl wird kaum Überraschendes bieten, schon mangels Alternativen. An den Kommunalwahlen haben voriges Jahr in Teheran nur sieben Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Seine Klientel wird das Regime aberzur Wahl mobilisieren, das Bild der geschlossen für die Islamische Republik eintretenden Massen soll ja aufrechterhalten werden.

Was freie Wahlen ergäben, ist Spekulation. Eine Forschergruppe aus den Niederlanden befragte im März 2019 online immerhin mehr als 200 000 Iranerinnen und Iraner, wie sie bei einem freien Referendum über die Staatsform des Landes abstimmen würden (siehe Seiten 4 und 5). Die Umfrage ­ergab, dass 79 Prozent der Islamischen Republik eine Absage erteilen würden.

Die im US-amerikanischen Exil lebende Journalistin und Dissidentin Masih Alinejad, die mit ihren innovativen Kampagnen gegen die Zwangsverschleierung bekannt geworden ist, sammelt gerade unter dem Hashtag #RedInkBoycott Videos von Iranern und Iranerinnen, die mit einem rot gefärbten Zeigefinger erklären, warum sie an diesen Wahlen nicht teilnehmen werden, und an getötete Demonstranten erinnern.