Der Hamburger Prozess gegen »die Drei von der Parkbank« hat begonnen

Eine Frage der Hochsicherheit

Anfang dieses Monats begann der Prozess gegen »die Drei von der Parkbank« in Hamburg. Die Verteidigung wirft der Hamburger Polizei vor, einen der Angeklagten monatelang rechtswidrig überwacht zu haben.

Das war eine Überraschung: Am vorvergangenen Dienstag kam heraus, dass Felix R. vor seiner Festnahme acht Monatelang rund um die Uhr observiert worden war, bis hin zur Bewegungskontrolle mit einem GPS-Peilsender. Von den zahlreichen Berichten und Bilddateien, die der Staatsschutz anfertigte, taucht nur ein Bericht in den Prozessakten auf. In diesem geht es um den Tag der Verhaftung, den 8. Juli 2019.

An diesem Tag stürmten kurz nach Mitternacht fünf Zivilpolizisten auf eine Parkbank in einer kleinen Grünanlage in Hamburg-Eimsbüttel zu und nahmen die engangierten Linken Felix R., Ingmar S. und Lykke D. fest. Der Pressestelle der Hamburger Polizei zufolge hatten die drei Verhafteten sich »verdächtig« verhalten. Im linken Milieu der Hansestadt stieß diese Darstellung auf Unglauben, denn sich in einer der in Hamburg raren lauen Sommernächte in einem kleinen Park aufzuhalten, ist nicht ungewöhnlich. Die Beamten durchsuchten die drei. Später gaben sie an, in einem Rucksack Grillanzünder, Handschuhe und vier Brandsätze gefunden zu haben, mit Benzin gefüllte Halbliterplastikflaschen, an denen mit Kabelbindern Lunten befestigt gewesen seien.

Am vorvergangenen Dienstag kam heraus, dass die nicht in Unter­suchungshaft sitzende dritte Person seit ihrer Festnahme am 8. Juli
»die ganze Zeit« observiert wird.

Die Person, der die Polizei den Rucksack zuordnete, soll einen Zettel mit vier Adressen bei sich gehabt haben: die Hamburger Adresse des börsennotierten Immobilienunternehmens Vonovia, das viele Wohnhäuser in Hamburg besitzt und dem vorgeworfen wird, Mieterhöhungen rabiat durchzusetzen und bei der Instandhaltung der Wohnungen zu sparen; die des Firmenparkplatzes von Vonovia; die einer Filiale der Maklerfirma Großmann & Berger; und die der Villa der Hamburger Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Dorothee Stapelfeldt (SPD). Die vier Adressen liegen einige Kilometer von der Parkbank entfernt in drei unterschiedlichen Stadtteilen.

Die beiden anderen Personen hatten nach Angaben der Polizeipressestelle Wechselkleidung in ihren Rucksäcken. Seit dem G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 gilt es als Hinweis auf geplante Straftaten, wenn linke Aktivistinnen und Aktivisten Ersatzkleidung mit sich führen. Bereits in den ersten  Polizeiberichten nach den G20-Protesten war zu lesen, Verdächtige hätten auffällig oft Wechselkleidung dabei, um sich zu tarnen. Bei den großen Öffentlichkeitsfahndungen der Polizei wurden in der Regel Fotos der Gesuchten in unterschiedlicher Kleidung ins Netz gestellt, oft an verschiedenen Tagen aufgenommen, und eine Tarnung durch Wechselkleidung behauptet.

Der Generalstaatsanwaltschaft erscheint besonders verdächtig, dass die Angeklagten zwar funktionierende Feuerzeuge und zusätzlich Streichhölzer mitführten, nicht aber Zigaretten oder Ähnliches. Wegen des Zeitpunkts der Verhaftung spekuliert die Generalstaatsanwaltschaft, die Beschuldigten hätten Anschläge zum Jahrestag des G20-Gipfels geplant.

Zwei der drei Personen sitzen seit über sechs Monaten in Untersuchungshaft, was nach Paragraph 121 der Strafprozessordnung nur erlaubt ist, »wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen«. Die Begründung in diesem Fall: Die zwei würden nicht an ihren Meldeadressen wohnen.

Die dritte Person musste nicht in Untersuchungshaft, weil Meldeadresse und Wohnort übereinstimmen. Im ­Oktober wurde das Wohnprojekt durchsucht, in dem sie wohnt. »Es handelte sich um eine Durchsuchung des Staatsschutzes aus einem laufenden Ermittlungsverfahren heraus und diente zum Auffinden von schriftlichen Unter­lagen«, sagte der Polizeisprecher Ulf Wundrack der Taz. Einem auf Indy­media veröffentlichten anonymen Bericht zufolge wurde nicht nur das Zimmer der Beschuldigten durchsucht. »Das LKA benahm sich auf gewohnte Weise daneben. Zeugen wurden nicht zugelassen und weitere Räume betreten«, heißt es in dem Bericht. Offenbar fahndet der Staatsschutz nach einer vierten Person, um ihr den vierten Brandsatz zuzuordnen.

Bereits im August sagte ein Staatsschutzermittler der Welt, die Festnahme der drei Personen sei ein großer Fahndungserfolg. »Wir haben ins Herz der anarchistischen Szene gestochen«, wird er anonym zitiert. Schon häufiger klang durch, nach den Zufallsverhaftungen bei den G20-Protesten wolle der Staatsschutz auch bekannte linke Aktivistinnen und Aktivisten überführen. »Wir haben die Nadel im Heuhaufen gesucht und gefunden«, behauptete der Staatsschützer. Zudem räumte er ein, dass die Angeklagten am Tag vor der Festnahme permanent observiert worden seien.

Der Hamburger Polizeipräsident, Ralf Martin Meyer, hatte die Langzeitobservation von R. im Herbst 2018 persönlich angeordnet. Da kannte Meyer das so­genannte BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2016 ­sicherlich schon. Das Gericht hatte unter anderem die Regelungen zu längerfristigen Observationen im Bundeskriminalamtsgesetz für nicht verhältnismäßig erklärt. Die Bundesländer mussten ihre Polizeigesetze entsprechend ändern.

Das neue Hamburger Polizeigesetz (Jungle World 41/2019) gilt seit Dezember. Darin heißt es, dass eine längerfristige Observation der richterlichen Anordnung bedürfe. Diese dürfe »um jeweils nicht mehr als drei Monate« verlängert werden, »soweit die Voraussetzungen für die Maßnahme noch vorliegen«.

Die Verteidigung wirft Meyer vor, die Verschleppung der Gesetzesnovellierung in Hamburg ausgenutzt und verfassungswidrig gehandelt zu haben. Sie beantragte, die aus der Observation gewonnenen Erkenntnisse dürften vor Gericht nicht genutzt werden. Die Vorsitzende Richterin, Sandra Paust-Schlote, lehnte den Antrag ab, da Meyer gemäß der im Herbst 2018 gültigen Rechtslage gehandelt habe. Generalstaatsanwalt Ralf Schakau sagte: »Ich habe mir nicht die Mühe gemacht zu durchdringen, ob das rechtswidrig ­gewesen sein kann.« Bei der Verhandlung kam auch heraus, dass die nicht in Untersuchungshaft sitzende dritte Person seit ihrer Festnahme am 8. Juli »die ganze Zeit« observiert wird.

Die drei hätten sich »zu einem Verbrechen verabredet«, behauptet die Generalstaatsanwaltschaft in der Anklageschrift. Auf der Website einer ­Solidaritätsgruppe heißt es: »Die vermeintlichen Straftaten bezeichnet die Generalstaatsanwaltschaft als geplante Brandstiftungen sowie eine geplante schwere Brandstiftung. Die Unterscheidung in Brandstiftungen und eine schwere Brandstiftung basiert darauf, dass bei einem der vermeintlichen Ziele eine akute Gefährdung für Leib und Leben von Menschen auf Grund­lage von Spekulationen fabuliert wird.« Wegen des Mitführens von Brandsätzen werde einem Beschuldigten ein Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Die beiden anderen Personen sollen Beihilfe zum Verstoß gegen das Waffengesetz geleistet haben. Im Falle ­einer Verurteilung drohen den Angeklagten bis zu elf Jahren und drei ­Monaten Haft.

Die Angeklagten äußern sich der Solidaritätsgruppe zufolge »weder zu den Anklagepunkten noch zu den Ermittlungen«. Die Generalstaatsanwaltschaft könne nur versuchen, sie mit Hilfe der Ermittlungsergebnisse zu überführen. »Dass die Haustür der Wohnanschrift einer Hamburger Senatorin konkretes Anschlagziel gewesen sein soll, basiert auf reiner Spekulation«, schreibt die ­Solidaritätsgruppe. Selbst wenn »die Tür ein geeignetes Ziel gewesen sein könnte«, heiße dies »noch lange nicht, dass diese auch angezündet werden sollte und Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden« sollten.

Der Prozess findet im Hochsicherheitssaal 237 des Hamburger Land­gerichts statt, wegen »der gewaltigen Resonanz aus dem linksextremistischen Spektrum«, wie das Hamburger Abendblatt einen Staatsschützer zitiert. Dieser spielte damit auf eine Serie von Brandstiftungen und Farbbeutelwürfen an, mit denen nicht nur in Hamburg gegen die Verfolgung der Angeklagten protestiert wird. Trotz der schikanösen Einlasskontrollen an den ersten Prozess­tagen, bei denen sogar Schuhsohlen durchleuchtet wurden, kam es im Gerichtssaal zu Solidaritätsbekundungen. Die Vorsitzende Richterin Paust-Schlote drohte daraufhin am vorvergangenen Dienstag: »Wenn das hier Überhand nimmt, kann ich den Saal auch räumen lassen.« Generalstaatsanwalt Ralf Schakau forderte die Richterin auf, gegen die Solidaritätsbekundungen vorzugehen. Alexander Kienzle, einer der Verteidiger, konterte, Schakau solle nicht den Ablauf stören, eine Deeskalation sei nötig. Schakau erwiderte: »Genau diese Art Deeskalation ist es, die den Nährboden für ex­tremistische Taten bereitet!«

Bereits Anfang des Monats hatte Torsten Voß, der Leiter des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, der Zeit gesagt: »Der Linksextremismus wird zunehmend militant – er ist auf dem Weg, die Schwelle des Linksterrorismus zu erreichen.« Am 13. Dezember war nach Polizeiangaben Dienstlimousine, in der Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) mit seinen Bodyguards und seinem zweijährigen Sohn saß, mit Steinen und mit Farbe gefüllten Behältnissen beworfen worden. Dabei entstand kein Personenschaden. Das Bekennerschreiben beginnt mit der Widmung: »Für die Parkbankcrew«.