Schreiben im Biogewimmel

Lahme Literaten

Kolumne Von Magnus Klaue

Folge 29: Nature Writing.

Auch wenn anthropozentrische Egoisten es nicht wahrhaben wollen: Der Wunsch des homo sapiens, sich aktiv und selbst­bestimmt in jenes Biogewimmel zurückzuverwandeln, aus dem die eigenen Ahnen einst in Form von Amöben und Lurchen gekrochen sind, wird immer stärker. Kohleintolerante Oberschichtbengel mobben ihre Oma, weil die im Winter die Heizung auf drei dreht, Millionärstöchter fühlen sich von Hartz-IV-Empfängern angepöbelt, die ihr Steak bei Aldi kaufen, Berliner Dachterrassenbewohner sind mit tollwütigen Stadtwölfen per du, und Bruno Latour empfiehlt der Menschheit, auf den Kompost umzuziehen, weil da sowieso schon vieles lebt. Kein Wunder, dass die papierene Zivilisationstechnik des Schreibens in Verruf gerät. Während pädagogische Bemühungen, gegenüber der artikulierten Sprache den spontanen Lebenslaut zu rehabilitieren, noch immer vom kapitalistischen Verwertungszusammenhang im Zaum gehalten werden, ist die Literatur, die sich bekanntlich keinem ökonomischen Zweck unterwirft, schon weiter. Der avancierteste Versuch, die literarische Sprache von der ­gesellschaftlichen Geste in eine Naturbefangenheit auf zweiter Stufe zu überführen, nennt sich Nature Writing und ist erfolgreich, weil er an seinem eigenen Gegenstand vollzieht, was er propagiert: die Einschmelzung des Widerständigen, Spröden in einem Biodiversitätsbrei, der vorspiegelt, im Medium postmoderner Universalpoesie der Ursuppe der Schöpfung nahe­zukommen.

Eine konsistente Poetik des Nature Writing fehlt bislang. Doch der Verlag Matthes & Seitz, in dessen Programm Lesenswertes und Obskures zum Thema erscheint, verleiht mit dem Bundesamt für Naturschutz seit 2017 jährlich einen Preis für Nature Writing; 2019 teilte ihn sich die Chemikerin Martina Kieninger, die mit der Chemie in ihrer Prosa Ähnliches anstellt wie Durs Grünbein mit der Schädelkunde, mit Daniela Danz, deren kunsthistorisch inspirierte Dichtung sich wie ein provinzieller Ableger von Raoul Schrott liest. Vermittelt über den angloamerikanischen Raum, wo Henry David Thoreau als Nature Writer gilt, rechnen die Freunde des Nature Writing auch Jean-Jacques Rousseau und Carl von Linné, Charles Darwin und Adalbert Stifter zu dieser Tradition, die damit einen naturkundlichen Akzent erhält, der ihre Zugehörigkeit zur Ideologie des Anthropozän verschleiert. Wer Alexander von Humboldt und Darwin mit Wilhelm Lehmanns restaurativer Naturlyrik und den Human-Animal Studies unter ein und denselben Oberbegriff fasst, nimmt der aufklärerischen Naturbeschreibung ihr Erkenntnismoment und löst sie auf in bloße Dichtung. Entsprechend ­figurieren in der Gegenwart die beeindruckenden Gedichte und Prosatexte der Übersetzerin Esther Kinsky neben Lesefibeln über Hanf und Algen, die Vagabundendichtungen Jürgen von der Wenses neben Bakterienatlanten und Slow-Living-Trips ins innere Bengalen allesamt als Nature Writing. Die große Anzahl lesenswerter Texte, die unter dem Begriff versammelt sind, obwohl sie miteinander nichts gemein haben, dient als Ventil für das kollektive Bedürfnis, das literarische Subjekt hinter dem Subjekt der Natur, auf die es sich einzulassen vorgibt, verschwinden zu lassen. Das ändert nichts daran, dass jene Natur im Zeitalter von Ökologie und Klimaneutralität stärker als je gesellschaftlich vermittelt ist. Spätestens wenn die erste Anthologie mit Windradlyrik mit einem Nachwort von Bruno Latour erscheint, werden über diesen Widerspruch die ­ersten Dissertationen verfasst.