Popkulturreferenzen in der Nazipersiflage »Jojo Rabbit«

Blitzkrieg Pop

»Jojo Rabbit« ist ein klamaukiger Film über den Nationalsozialismus, in dem die nazideutsche Provinz ziemlich poppig daherkommt.

Irgendwo auf der Welt legt ein Urjude Eier. Aus denen schlüpfen seine fledermausartigen Nachkommen, die dann mit Schlangenzungen nach Blut lechzen und mit Dreizack und Hörnern Jagd auf Nazijungen machen. Bei all dem versprühen sie den Geruch von Rosenkohl. Nur der nationalsozialistische Widerstand kann diesen Kreaturen Einhalt gebieten, allen voran ein Führer mit vier Hoden, ausgestattet mit der Kraft der Gedankenmanipulation. So geht es zu im Kopf des zehnjährigen Hitlerjungen Jojo Betzler aus Falkenheim. Es ist 1945, der Russe steht vor der Tür und die Rekrutierung kleiner Hitlerpimpfe ist in vollem Gang.

Taika Waititi hat es wieder getan. In seinem neuesten Film widmet sich der Regisseur erneut Monstern und der germanischen Legendenbildung, diesmal jedoch ohne Chris Hemsworth und Marvel wie zuvor in seiner »Thor«-Verfilmung. In »Jojo Rabbit« hat der 10jährige Jojo (Roman Griffin Davis) in seiner Phantasie Adolf Hitler als Freund, was zu gnadenloser Selbstüberschätzung und Faktenresistenz beim kleinen Nazi führt. Waititi selbst legte Bart an und mimt den imaginären Hitler. Damit beschert er der Kinogeschichte eine Nazikomödie und eine Hitlerkarikatur, die denen Ernst ­Lubitschs und Charlie Chaplins in nichts nachstehen.

»Jojo Rabbit« holt das Genre des Weltkriegsfilms endlich aus seiner filmästhetischen Eintönigkeit heraus.

In den frühen Vierzigern entlarvten Chaplin und Lubitsch die Inszenierung der Nazis. In Chaplins »The Great Dictator« wird ein Diktator namens Adenoid Hynkel, der den Phantasiestaat Tomania regiert, durch eine Verkettung aberwitziger Umstände mit einem pazifistischen, jüdischen Veteranen verwechselt, in Lubitschs »To Be or Not to Be« spielt eine polnische Theatertruppe im besetzten Warschau in den Rollen eines Gestapotrupps samt Hitlerdouble buchstäblich um ihr Leben.

Die Darstellung Hitlers als Witz­figur stärkte die Moral der US-amerikanischen Truppen. Lubitschs Theaterschauspieler bringen es während ihrer Proben zum Stück »Gestapo« auf den Punkt, wenn sie Hitler als »nur einen Mann mit einem winzigen Bart« bezeichnen. In den frühen Vierzigern waren in den USA die Ausmaße deutscher Verbrechen noch unklar. Beide Filmemacher bereuten später die verharmlosende Darstellung der Kriegszeit. Deren Nutzen zur Mobilmachung indes wird ebenso wie deren Komik filmhistorisch bis heute gewürdigt. Gemein ist beiden Filmen, dass sie ihren komischen Reiz aus dem Prozess der Einbildung gewinnen. Zwei Filmfiguren müssen sich einbilden und überzeugend darstellen, ein größenwahnsinniger Diktator zu sein, ­einschließlich des andauernden – wie es auf Englisch heißt – »Heil­hitlering«.

Doch Waititi geht noch einen Schritt weiter. Bei ihm ist die Hitlerfigur gänzlich ein Produkt der Ima­gination, lediglich Phantasma eines zutiefst verunsicherten Jungen. »Jojo Rabbit« spinnt den parodistischen Imaginationsgedanken seiner filmischen Vorgänger fort, indem er auf die Einbildungskraft der Deutschen abhebt, die aus den Untiefen ihres Selbst jenen mordlüsternen Antisemiten hervorholten und den Braunauer Landschaftsmaler die ­Initiative ergreifen ließen.

Der nach einem Unfall traumatisierte Jojo befürchtet, wegen seiner körperlichen und geistigen Unzulänglichkeit vom geliebten Vater verstoßen zu werden. Die ihm fehlende Vaterliebe kompensiert Jojo mit seinem imaginären Hitler. Jojos Vater ist desertiert und ließ Frau und Sohn zurück. Alle unterdrückten Aggres­sionen dem feigen Verräter gegenüber sowie alle Anzeichen körperlicher und geistiger Versehrtheit und den daraus resultierenden Selbsthass projiziert der Sohn auf Juden.

Doch dann kommt es zum Feindkontakt: Jojo entdeckt zufällig das jüdische Mädchen Elsa Korr (Thomasin McKenzie), das in einer Kammer hinter seiner Zimmerwand wohnt, wo Jojos Mutter Rosie (Scarlett Johansson) ihr Unterschlupf gab. Er ist überzeugt davon, dass die Untergetauchte ihm entweder die Kehle aufschlitzen oder ihm mindestens die Spitze seines Pillermanns klauen wird – logisch, denn diese benutzen Rabbis als Ohrstöpsel.

Selbst die abstruseste Nazipropaganda glaubt der seelisch verwirrte Jojo und verspricht sich von seiner Loyalität ewigen Ruhm im tausendjährigen Reich, oder eben einen Platz in Hitlers Leibgarde. Ähnlich verblendet rennt dann auch Yorki (Archie Yates), der dicke und äußerst sympathische beste Freund Jojos stellvertretend für viele Hitlerjungen in einer Papieruniform den Russen entgegen. Bei all dem bleibt die Sympathie für Jojo ungebrochen, dank der Darstellung von Roman Griffin Davis, der für diese Rolle für einen Golden Globe nominiert wurde.

Mit »Jojo Rabbit« ist Waititi nach eigener Aussage jedoch auch dem ­alltäglichen Leben im »Dritten Reich« auf der Spur. Jener Wahn, den Jojo repräsentiert, brauchte schließlich auch eine Kultur als Nährboden. So versucht der Neuseeländer mit dem Soundtrack, den Interieurs und den Kostümen ein Lebensgefühl, gewissermaßen eine Popkultur Nazideutschlands plastisch zu machen. Aus diesem Grund leuchtet aus den Figuren Sam Rockwells und Scarlett Johannsons noch das Denken der Weimarer Republik heraus. Rockwell mimt einen burlesken ehemaligen Hansdampf, den die ­SS-­Bürokratie in der Provinz als ­Offizier eingemottet hat. Jojos ­Mutter ist eine im Herzen singende, swingende Rebellin, deren Tanz­schuhe an Chaplins »Gold Rush« von 1925 erinnern.

»Jojo Rabbit« ist aber auch ein Film, der das Genre des Weltkriegsfilms endlich aus seiner filmästhe­tischen Eintönigkeit herausholt. Ein Blick auf das für den Oscar nominierte Szenenbild hilft zum besseren Verständnis: Hier dienen Heim und Interieur der Regie hervorragend dazu, das Innenleben der Charaktere auszustellen: Irre Art-Deco-Tapetenmustern und das eklektische Dekor haben viel mit den Figuren zu tun. Es ist jedoch noch mehr der Außenraum, der dem neuseeländischen Regisseur die Möglichkeit bietet, endlich eine akkuratere Filmversion Nazideutschlands zu entwerfen. In den tschechischen Städten Žatec und Úštěk fand er farbenfrohe Fassaden, eine lockere Bauweise und Landschaften, die einen luftigen, idyllischen Eindruck von einer deutschen Provinzstadt im Zweiten Weltkrieg erregen. Waititi war es wichtig zu zeigen, dass ein Teil der Deutschen trotz des Kriegs angenehm lebte, scherzte und modisch bunt gekleidet in der Sonne Rad fuhr, gerade in den entlegenen Provinzen, die der NSDAP zum Sieg verholfen hatten.

Die meisten Filme über den Nationalsozialismus wirken bedrückend: braune und grüne Kostüme, entsättigte Farben, unheilvolle Filmmusik. Nicht so bei Waititi. Er versucht das Lebensgefühl der Landbevölkerung zwischen den »Goldenen Zwanzigern« und dem »Wirtschaftswunder« der Fünfziger erlebbar zu machen, indem er in den Bildern auf Vergangenes verweist und dazu Rockmusik laufen lässt, die aus der Zeit danach stammt. Dieser Anachronismus vollzieht die Verzahnung und Widersprüchlichkeit von kultureller Geschichte nach, und provoziert so Gedanken an ähnliche kulturelle Paradoxien: volkswagenfahrende Hippies beispielsweise.

Dem, der nicht verfolgt war, drohte zwischen Mercedes-Autos und Uniformen von Hugo Boss kein Unheil, dem lag nichts schwer im subsistenzwirtschaftlich gefüllten Magen. Unbekümmerte konnten auf einen »Kraft duch Freude«-VW sparen und am kulturellen Leben Nazideutschlands teilhaben. Im wenig beachteten Pop-Deutschland der Nazis schimmerten in unbekümmerten Haushalten zwischen Hitlers und Goebbels »Gottbegnadetenliste«, der »Feuerzangenbowle« und Zarah Leander auch – je nach urbaner Anbindung – verbotene deutsche Künstler oder Duke Ellington, Dizzy Gillesby oder Billie Holiday hervor. Taika Waititi nimmt diesen Umstand mit seinem Soundtrack auf und persiflierte ihn mit deutschen Versionen englischer Popsongs. Schon zu Beginn des Films winken Kriegsmütter frenetisch Hitler nach, während die Idole ihrer Nachkriegstöchter, die Beatles, eingedeutscht locken: »Komm gib mir deine Hand!« Damit nimmt Waititi sowohl die ästhetische Klammer seines Films als auch die Manie ­seines kleinen deutschen Mannes namens Jojo gekonnt vorweg: »Oh komm doch, komm zu mir. Du nimmst mir den Verstand … «

Jojo Rabbit. USA 2019. Buch und Regie: ­Taika Waititi. Darsteller: Roman Griffin Davis, Taika Waititi, Thomasin McKenzie, Rebel Wilson, Sam Rockwell, Scarlett ­Johansson