Laborbericht

Entnazifizierung im Weltall

Kolumne Von Svenna Triebler

Himmelskörper sollten nicht im Duktus der NS-Esoterik benannt werden

Eigentlich sind die äußeren Regionen des Sonnensystems ja genau die Gegend, in die man Nazis gerne schicken würde. Dort auf andere Weise Rechtsex­tremes zu platzieren, ist hingegen eine schlechte Idee, ebenso wie bei der Benennung von Himmelskörpern (oder von sonst irgendetwas) auf Online-Abstimmungen zurückzugreifen.

Genau das hat jedoch das Team der Raumsonde »New Horizons« getan, die nach ihrem Fototermin beim Kleinplaneten Pluto im Jahr 2015 einen weiteren Brocken weit draußen im All passierte. Der hatte zunächst die prosaische Bezeichnung 2014 MU69 ­erhalten; für den Vorbeiflug der Sonde am Neujahrstag 2019 sollte aber ein knackigerer Name her. Von etwa 34 000 Einreichungen kamen 37 in die engere Auswahl, darunter der Vorschlag »Ultima Thule«. Laut eigener Aussage hatte der für die Erstellung der Shortlist zuständige Planetologe Mark Showalter den Begriff bis dahin noch nie gehört. Immerhin hat er dann herausgefunden, dass Thule bei den alten Griechen die Bezeichnung für eine sagenumwobene Insel weit im Norden war und im Lauf der Jahrhunderte mit dem lateinischen Vorsatz »ultima« zum Synonym für ferne Gegenden jenseits der bekannten Welt wurde. Eine »wunderschöne Metapher für das, was wir tun«, befand Showalter.

Weniger bedeutsam erschien ihm, dass so ein mythisches nordisches Land geradezu dazu einlädt, von Nazis übernommen zu werden. Die rechtseso­terische Thule-Gesellschaft, gegründet 1918 und eine der Keimzellen der NSDAP, vermutete dort die Urheimat der »arischen Rasse«, und auch heutzutage noch beziehen sich Rechtsextreme weltweit auf ­diesen Fascho-Fantasy-Quatsch. Das »New-Horizons«-Team habe diese Assoziationen »sorgfältig gegen die historische Bedeutung abgewogen«, so Show­alter, und sich letztlich entschieden, »Ultima Thule« zur Abstimmung zuzulassen.

Beim Online-Voting landete der Name zwar nur auf Platz sieben, was für das Team der Nasa aber ausreichte, sich auf die Bezeichnung festzulegen. Sie sei ja ohnehin nur als Spitzname gedacht, bis in Abstimmung mit der Internationalen Astronomischen Union eine endgültige Entscheidung getroffen ­werde, rechtfertigte man sich anschließend, als sich dann doch einige öffentliche Kritik regte.

Es lässt sich zwar nur darüber spekulieren, wie groß der Einfluss der netzaffinen Nazis auf die Abstimmung war, das Ergebnis dürfte aber ganz in ­ihrem Sinne gewesen sein. Zu früh gefreut, möchte man da sagen, denn im November fiel die endgül­tige Entscheidung: 2014 MU69 heißt von nun an Arrokoth, das Wort für Himmel in der Powhatan-­Sprache, die vor der Kolonisation an der Nordatlantikküste Amerikas gesprochen wurde. Immerhin holte sich die Nasa dafür die Zustimmung der Nachkommen ein. So viel politische Sensibilität ist ja offenbar nicht selbstverständlich in einem Forschungs­zweig, dem es an Bodenhaftung zu irdischen Be­langen mangelt.